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Christian Mähr – Knochen kochen

Christian Mähr – Knochen kochen

Christian Mähr - Knochen kochen

Matthäus Spielberger, Wirt der „Blauen Traube“ in Dornbirn, wird von seinem Schulkollegen Erasmus von Seitenstetten kontaktiert: Der aus verarmtem Adel stammende Biologe hat entdeckt, dass einer seiner Ahnen an einer rätselhaften Seuche – dem „Englischen Schweiß“ – verstorben war. Nun plant er im Geheimen dessen Exhumierung, um durch die Lösung dieses wissenschaftlichen Rätsels berühmt zu werden. Mithilfe der Stammtischrunde aus der „Blauen Traube“ wird im Wienerwald das Ahnengrab geöffnet. Doch das Gerippe hat mittlerweile mehrere Interessenten auf den Plan gerufen, und die Sache beginnt gründlich aus dem Ruder zu laufen.

Rezension

Als Wirt ist Matthäus Spielberger möglicherweise seltsame Besucher gewohnt. So seltsame Ideen wie die von seinem ehemaligen Schulkameraden Erasmus von Seitenstetten aber bekommt er sicher selten zu hören. Spielberger soll helfen, eine Gruft bei Wien zu öffnen und ein paar Knochen eines Vorfahren zu exhumieren. Heimlich, versteht sich. Der Grundstücksbesitzer, ein Verwandter, würde die Gebeine niemals freiwillig hergeben, von Seitenstetten aber will damit aber unbedingt seine akademische Karriere voran bringen. Der Vorfahr starb vor Jahrhunderten am so genannten Englischen Schweiß (den es übrigens tatsächlich gab) und könnte man heute die Erreger identifizieren, wäre das wissenschaftlich gesehen eine Sensation.

Die Energie für diese Aktion hat Spielberger eigentlich nicht. Was ihn antreibt, ist etwas anderes. Matthäus Spielberger träumt hin und wieder Szenen, die sich irgendwann tatsächlich abspielen werden. Und in einem dieser Träume sah er sich mit seinen Stammtischfreunden nun mal Knochen ausbuddeln. Spielberger berichtet dem Stammtisch von alledem und damit steht fest: Es wird gegraben. Was Spielberger träumt, sei prophetisch und dem muss stattgegeben werden. Wäre Spielberger nur fünf Minuten früher aus dem Haus gegangen, hätte er den Anruf aus Wien verpasst. Aber die Gabe, ein Malheur durch Prophetie zu vermeiden, ist ihm leider nicht gegeben.

Die Stammtischrunde mit dem früheren Chemieprofessor Lukas Peratoner, dem ständig Arien singenden Franz-Josef Blum und dem Holzschnitzer Lothar Moosmann steht geschlossen hinter Spielberger. Sie beratschlagen die Anfrage, besorgen die notwendigen Dinge und legen los. Aber so sehr sie auch überlegen und zumindest über das eigentliche Grundproblem orientiert sind, nämlich dass sie in das fremde Grundstück eines missliebigen Verwandten eindringen müssen, so wenig wissen sie über die anderen Beteiligten. Von Seitenstettens Frau zum Beispiel und deren Liebhaber, die Tochter des Hauses Spielberger oder dessen Lebensgefährte — keiner von denen hält den Mund und so pflanzt sich das Vorhaben an den ungünstigsten Stellen in die Ohren anderer. Die menschliche Schwäche des Schwätzens unterscheidet beim Verbrechen klar zwischen Profis und Amateueren. Dass der widerspenstige Grundstücksbesitzer, ein Herr von Wolfegg-Seitenstetten aus einer anderen Linie der Familie, von der Aktion Wind bekommt, ist noch das kleinste Problem.

Christian Mähr lässt seine kleine Heldenschar nach Kräften auflaufen. Alle meinen es gut, aber denjenigen Menschen, die ein wenig mehr Erfahrung mit Betrug und anderen halbseidenen Methoden aufwarten können, haben sie nichts entgegen zu setzen. Er zaubert ein schnelles Verwirrspiel, bei dem die Karten immer wieder neu gemischt werden, nicht zuletzt, weil hin und wieder Improvisation gefragt ist. Die Knochenjagd ist eine schräge Geschichte mit boshaften Hindernissen, die nicht auf den Kampf von Laien gegen Kriminelle abzielt. Es reicht, dass einfach niemand in dieser Geschichte ausreichend kriminell ist, um tatsächlich das Ruder übernehmen zu können. Es fehlt wahlweise an Rafinesse, an Schnelligkeit, an Voraussicht oder Skrupeln. Und so stolpern die Protagonisten gerne auch mal über ihre eigenen Füße.

„Hätte sich Gerald Ambrosius mehr mit den Dingen des Lebens beschäftigt und weniger mit alten Knochen, wäre er misstrauisch geworden. Dann hätte er aus Erfahrung gewusst, dass es eine Lage, die, gleich, wie sie sich wendet, nur gut ausgehen kann, nicht gibt. Egal ist dabei, was die Logik sagt. Wem das Schicksal eine Win-win-Situation vorgaukelt, den will es verderben.“

Zu Spielbergers Touren und der skurrilen Knochenjagd passt Mährs Stil bestens dazu. Er bietet einen Erzähler auf (so weit, so üblich), der die verschiedenen Handelnden im Überblick behält. Dieser Erzähler aber kontaktiert gerne mal den Leser, um ihn auf Probleme aufmerksam zu machen oder seine Meinung kundzutun. Seine „Chronistenpflicht gebietet es,“ einer Person etwas mehr Aufmerksamkeit zu schenken und er macht darauf aufmerksam, dass er bewusst auf die konkrete Adresse verzichten möchte, wo die infizierten Gebeine des Seitenstettschen Vorfahren in Wien gelagert werden, um niemanden zu ängstigen. Es kommt noch schlimmer, „die Tastatur sträubt sich gleichsam, die Worte anzunehmen“.

Es mag wie Klamauk klingen, aber wer genau schaut, sieht bei „Knochen Kochen“ deutlich mehr. Christian Mähr ist ein feiner Beobachter, der die Beweggründe seiner Figuren sanft entlarvt. Matthäus Spielberger entpuppt sich als wohl stolzer Vater auf die studierte Tochter, aber zum Glück studierte sie Kunstgeschichte, also nichts, wofür man tatsächlich einen Job bekommt, der ihre Arbeitskraft aus dem Familienbetrieb holen würde. Oder die Baronin Seitenstetten, ihres Zeichens die Gattin des ambitionierten Erasmus. Sie lebt nach wie vor mit den Konventionen vergangener Jahrhunderte und dirigiert die Mitstreiter vergnügt mit dem Hochmut des Hochadels, der Widerspruch nicht einmal zu kennen scheint. Es fasziniert, wie Mähr -manchmal ganz nebenbei- die oberflächlichen Schichten freilegt. Der Krimi mag ein skurriler Unterhaltungsfall sein, aber eigentlich versteckt er kluge Anmerkungen und Beobachtungen, die sich unter der humorvollen Decke wunderbar verbreiten können.

Bibliografische Angaben

Verlag: Deuticke
ISBN: 978-3-55206-305-1
Erstveröffentlichung: 2015

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