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Andreas Ruby, Yuma Shinohara (Hrsg.) – Swim City

Andreas Ruby, Yuma Shinohara (Hrsg.) – Swim City

Pünktlich zur Badesaison geht in der Schweiz eine kleine Besonderheit los: Man springt in diesem Land nicht nur in die Seen, sondern auch in die Flüsse. Man lässt sich ein kleines oder großes Stück treiben und fängt wieder von vorne an. Für Fans größerer Strecken, wie sie auf der beispielsweise auf der Thur zurückgelegt werden, haben einige Leute gar Schlauchboote. Man braucht nur jemanden, der auf das Vergnügen verzichtet und alle an einem verabredeten Ort wieder abholt. Für die kurzen und keineswegs unattraktiveren Strecken braucht man einfach nur eine Stadt mit Fluss.

Gerade dieses Flussbaden in den Städten ist so speziell und beliebt, dass es ein eigenes Sachbuch für dieses Pänomen gibt: „Swim City“.⁠ Es entstand anlässlich der gleichnamigen Ausstellung im Schweizer Architekturmuseum in Basel.

Eine Badekultur kommt zurück

Swim City erzählt natürlich von den Anfängen des Flussbadens, das zumindest lokal eine lange Tradition hat. Zum Vergnügen, zum sauber werden und sauber machen, als Lebensraum — die Flüsse lagen schließlich vor der Haustür. Eine Zeitlang verschwand das Bad im Fluss fast überall allerdings. Neue Moralvorstellungen griffen um sich, später machte die Industrie das Baden unmöglich. Die Wasserqualität gab das Badevergnügen über einige Jahrzehnte nicht mehr her. Dank Umweltschutz änderte sich das glücklicherweise wieder.

Parallel dazu begriffen Städte ihre Ufer wieder mehr als Lebensraum für ihre Bürger und richteten zugänglichere Ufer ein. Nicht wenige wurden während der Industrialisierung verbaut oder zumindest im Zugang eingeschränkt. Deren Renaturierung durch Grünanlagen, Promenaden und sanftere Übergänge zum Wasser hin ist wichtiger Schritt auf dem Weg zum Flussbaden für alle. Das Schweizer Phänomen ist so beliebt und bekannt geworden, dass inzwischen Städte wie New York, London, Berlin oder Tokyo herkommen und sich für ähnliche Projekte orientieren.⁠

Ist das denn nicht gefährlich?

Tatsächlich stand das Flussbaden aus Sicherheitsgründen auch schon auf der Kippe. Flussbaden ist nicht überall reiner Gaudi. Strömungen, Wehre oder Stromschnellen sind nichts für’s Baden. Fehlende Schwimmkenntnisse ebenso. In den 1930er Jahren ertranken bis zu 400 Menschen jährlich und die Politiker wollten das Schwimmen gleich ganz verbieten. Dass es nicht so weit kam, verdankt die Schweiz unter anderem der SLRG, die Schweizerische Lebensrettungsgesellschaft, die daraufhin extra gegründet wurde. Die Gründer überzeugten die Veranwortlichen, Schwimmen als Volkssport zu erhalten. Im Gegenzug erarbeitete man unter anderem Schwimmkurse, Aufklärung und Flusskarten.

Viele Städte geben solche Karten heraus, stellen Infotafeln auf und erklären, wo man in den Fluss kann und wo man auch wieder raus muss. In Bern zum Beispiel ist das ziemlich wichtig. In Zürich darf man nicht überall schwimmen — nur ein Mal im Jahr ist das für einen offiziellen Event erlaubt. Trotzdem funktioniert das Flussschwimmen bei den Schweizern sehr gut. Man muss sich an mehr Regeln halten als in der Badi und da das neudeutsch „Urban Swimming“ hier so verbreitet ist, kann man sich dazu überall gut informieren.⁠

Ach, könnt‘ ich doch in die Bibliothek schwimmen

Mit diesen Voraussetzungen ist ein „Schwumm“ immer drin. Als Nachmittagsplausch, als kurze Abkühlung in der Mittagspause oder gar als Arbeitsweg. Klamotten in den wasserdichten Wickelfisch (oder eine andere wasserdichte Lösung) packen und dann zur Arbeit treiben lassen — oder nach Hause, je nachdem. Wer hat’s erfunden? Dieser Wickelfisch ist, ihr ahnt es, natürlich eine Schweizer Erfindung.

Dieses Buch ist, zugegeben, etwas nerdig. Hier lobe ich mir sehr die Bibliothek, denn ich gebe zu: Gekauft hätte ich es nicht. Aber so ein Fund in den Regalen? Für ein Phänomen, von dem man selbst begeistert ist? Keine Frage! Natürlich wollte ich wissen, wie dieses spezielle Vergnügen hierzulande zustande kam! Dafür bekam ich ein Buch mit einer schönen, offenen Bindung, großartigen Fotos, einer guten Aufarbeitung lokaler Geschichte und das Ganze übrigens zweisprachig Deutsch-Englisch. Obendrein ein Ansporn, in den kommenden Jahren die genannten Flüsse alle mal anzubaden.

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Bibliografische Angaben

Verlag: Christoph Merian
Herausgeber: S AM Schweizerisches Architekturmuseum / Andreas Ruby, Yuma Shinohara
ISBN: 978-3-85616-889-6
Erstveröffentlichung: 2019


alle Fotos: S AM Schweizerisches Architekturmuseum

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