Heute geht es zum Bücherbummel nach Jimbocho 神保町 in Tokyos Bezirk Chiyoda. Jimbocho, auch Jinbōchō oder Jinbocho geschrieben, ist das Bücherparadies schlechthin! Es ist ein ganzes Stadtviertel, in dem sich eine Buchhandlung an die andere reiht. Insgesamt sollen es über 170 Läden sein. Fraglos ist es das Bücherhandelszentrum Japans. Deshalb heißt das Viertel gerne auch 本の街 (hon no machi), also Bücherstadt.
Einige wenige Buchhandlungen bieten Neuware. Doch die allermeisten Geschäfte sind Antiquariate. Davon wiederum hat sich die Mehrheit in irgendeiner Form spezialisiert. Es gibt Buchläden für Holzdrucke, übersetzte ausländische Titel, Manga, Lyrik, Reiseliteratur, Theaterliteratur, Klassiker, Bildbände, Geschichtsbücher, Romane, japanische Klassiker, Sammelhefte …
Alles, was man sich vorstellen kann, findet man in Jimbocho.
Unterwegs in Tokyos Bücherparadies
„Ich kann ja kein Japanisch“ zählt definitiv nicht als Ausrede!
Jimbocho musste ich mir anschauen und mich faszinieren lassen. Von endlosen Stapeln unzähliger Bücher und, ja, auch von zahllosen handbeschrifteten Zetteln, von denen ich kaum etwas entziffern konnte. Das gehört zum Flair mit dazu. Eigentlich macht das sowieso nichts. Hier kann man auch ohne nennenswerte Sprachkenntnise Stunden damit zubringen, Bücher anzuschauen, durch die Läden zu stromern und die Stapelkünste der Händler zu bewundern. Ich untertreibe nicht: Stunden!
Wer tatsächlich einkaufen möchte, sollte sich mit Taschen eindecken. Einen entsprechenden Laden gab es übrigens in Bahnhofsnähe. Ob das Absicht ist?
Jimbocho, ein absoluter Publikumsmagnet
Angefangen hat die Erfolgsgeschichte ganz zufällig. Nach einem großen Brand im Jahr 1913, der das komplette Viertel in Schutt und Asche legte, eröffnete ein Professor dort einen kleinen Verlag. Aus diesem ging später der Verlag Iwanami Shoten hervor, den es bis heute gibt. Dessen Gründung wirkte als Initialzündung. Weitere Verlage kamen in den Folgejahren. Dazu passend siedelten sich Buchbinder, Buchhandlungen, Literaturagenten und eine Menge Cafés an. Infolgedessen gaben sich hier zahlreiche Künstler, Schriftsteller und Studenten zügig die Klinke in die Hand.
Geändert hat sich daran bis heute nichts. In der Umgebung von Jimbocho liegen viele Universitäten und Schulen. Der Zulauf ist dadurch ungebrochen. Alles passt zusammen: Die Betreiber der Bahnlinien von Toei Subway sagen nämlich, die Bahnstation Jimbocho sei nach dem großen Bahnhof in Shinjuku die zweitgeschäftigste Station ihres Bahnnetzes.
Ein Snack in Murakamis Kneipe
Cafés und Snacks gibt es weiterhin an jeder Ecke. Wer sich nirgendwo sonst reintraut, findet garantiert eine Kaffeehauskette aus Übersee oder einen Nachahmer davon.
Apropos Verpflegung: Die Website TimeOut Tokyo schwört Stein und Bein, das Lokal Tempura Imoya sei früher regelmäßig von Haruki Murakami frequentiert worden. Wenn das mal kein Grund ist, sich in eine japanische Kneipe zu wagen.
Auf der Jagd nach bibliophilen Schätzen
Selbstverständlich stehen in einem Viertel voller Antiquariate auch seltene und teure Werke zum Verkauf. Wenn man sich dafür interessiert, muss man nur noch wissen, wo.
Bei Kitazawa wurde in der Rubrik „Englische Literatur“ zum Beispiel gerade das vollständige Werk eines gewissen R. Crashaw in zwei Bänden von 1873 für 55.000 Yen (ca. 400 Euro) angeboten. Abhandlungen über Shakespeare stehen ab 4.000 Yen (30 Euro) aufwärts im Programm. Die Werke des Meisters selbst, „The plays and poems of William Shakespeare“, kosten in einer Ausgabe von 1821 satte 750.000 Yen (ca. 5500 Euro). Dafür wartet es natürlich auf „with the corrections and illustrations of various commentators“ und mit Goldschnitt, eben ein „very nice set“.
Ein Viertel voller Überraschungen
Jimbocho sollte man einfach auf sich zukommen lassen. Der persönliche Eindruck schlägt um Längen, was man über Jimbocho an Informationen findet. Nicht zuletzt, weil natürlich kein Antiquariat so adrett ist wie ein typischer Buchladen. Den Vergleich kann man vor Ort einige Male direkt ziehen. Nur wer will schon wieder einen blank gewienerten Buchladen sehen, wenn er nach Herzenslust stöbern kann?
Jimbocho heißt nämlich auch: Wandeln zwischen Stapeln links der Treppe, rechts der Treppe und geschnürten Paketen. Noch mehr völlig unübersichtlich scheinende Stapel lagern auf Tischen und Regalen und überhaupt allen freien Flächen. Manch ein Regal trotzt sichtlich tapfer der Schwerkraft. Unweigerlich frage ich mich, wie lange manche der Bücher hier schon liegen.
Erstes Ziel in Jimbocho: Yasukuni Dori
Die „Book Town“, liebevoll Jimbou abgekürzt, hat eine eigene Website und einen Twitter-Account. Wer auf der Website gezielt nach Titeln suchen möchte, muss allerdings Japanisch können. Die Datenbank mit inventarisierten Titeln steht nicht anders zur Verfügung.
Für einen ersten Überlick jedoch ist die Seite trotzdem hilfreich. Sie bietet einen Straßenplan des Viertels, der die Lage aller Buchhandlungen anzeigt. Schon auf den ersten Blick verrät der Plan ein wichtiges Detail: Am besten gespickt mit Läden ist eindeutig die Straße „Yasukuni Dori“.
Für fremdsprachige Titel muss man sich ein bisschen umschauen. Doch mit ein wenig Recherche findet man in der Regel wenigstens eine Buchhandlung, die in Frage kommt. Das bereits erwähnte Kitazwa wird von Tokyo Tokyo als der bedeutendste „englisch bookstore“ gelobt. Englisches gibt es auch bei Bondi Books und Italienisches bei Italia Shobo.
Irgendwo findet man ganz sicher auch deutsche Bücher. Beherrscht man ein wenig Katakana, stolpert man vielleicht durch Zufall über フランツ・カフカ, ハインリヒ・ハイネ oder gar ヨハン・ヴォルフガング・フォン・ゲーテ .
Fotos: Bettina Schnerr
Mehr über japanische Literatur findet ihr im Japan-Special!