Notizen zu Peter Stothard
In diesem Jahr wird die Jury des renommierten Booker Prize von Sir Peter Stothard geleitet. Stothard schreibt für das Times Literary Supplement und ist auch für The Times tätig; er ist Buchautor, Juror und derzeit macht ein interessantes Interview mit ihm die Runde. In diesem Interview mit dem Guardian zeigt sich Stothard betrübt über die Vielzahl literarischer Blogs, die die seriöse Literaturkritik zum Nachteil der Literatur ertränkten. Für die eine oder andere Seite hat er durchaus Lob übrig, aber im Großen und Ganzen fehle der Mehrheit der Blogs und Rezensionen ein durchdachter Aufbau und eine vernünftige Argumentation. Das Thema ist für die großen Köpfe der Branche schon länger ein Aufreger und wird also in der einen oder anderen Variante immer wiederkehren. Die Frage ist nun: Berechtig oder nicht?
Sachlich gesehen liegt Stothard gar nicht so verkehrt; von all den Bloggern haben viele keinen entsprechenden professionellen Hintergrund. Es sind sehr wohl Kultur- und Geisteswissenschaftler oder Germanisten dabei, doch sie machen nicht das Gros der Blogger aus. Die Rezensionen entstehen auf der Basis von Gefallen und Nicht-Gefallen; manche sind sehr gut geschrieben, gut begründet, manche sind es nicht. Und trotzdem sind die Blogger keine Wettbewerber, die dem gestandenen Literaturkritiker die Butter vom Brot nehmen. Das wird zwar gerne so gesehen, aber ich erkenne auch auf den zweiten Blick nicht, warum das so sein sollte.
Ich erinnere mich noch an eine Reise vor einigen Jahren: Ein gemütliches Hotel mit einer gut sortierten Zeitungsauslage in der Lounge. Was ich darin unter anderem gelesen hatte, war ein gut geschriebener Artikel über John Updike mit vielen Informationen aus seinem Leben und über sein Werk. Den Artikel fand ich seinerzeit ausgezeichnet, aber das Buch von Updike habe ich dennoch nie gelesen. Es interessierte mich schlicht nicht und passte nicht in mein literarisches Radar. Im Gegenzug habe ich von den meisten Büchern, die ich lese, niemals einen Kommentar in den großen und kleinen Feuilletons der Zeitungen gelesen. „Meine“ Bücher passen nicht in das literarische Radar namhafter Literaturkritiker.
Immer und immer wieder: Zauberwort Zielgruppe
Man sollte schlicht einmal nachfragen, wen die Literaturktitik, wie sie Peter Stothard leistet, erreicht und wen die erreicht, die er kritisiert. Schaut man da genauer hin, findet man nicht viel Schnittmenge. Und damit meiner Meinung nach auch keinen Grund, sich fürchterlich aufzuregen. Auch Stothard hatte oder hätte damals vielleicht über Updike geschrieben. Aber hätte er mich ebenso ausführlich über Martha Grimes, Bill Bryson, Neal Stephenson, Bruno Morchio, Horst Eckert, Batya Gur oder Bernhard Jaumann informiert? Um es kurz zu machen: Hätte er nicht. Was ich über diese Autoren und ihre Bücher wissen will, muss ich mir an anderer Stelle beschaffen.
Ob es nun gefällt oder nicht, diese andere Stelle ist das Internet. Da sind bloggende Leser, die mit mir die literarischen Interessen teilen und die zum Beispiel Buchtitel, die mich interessieren, schon gelesen haben oder die mich auf Autoren und Buchtitel neugierig machen. Autoren und Titel wohlgemerkt, die in der hoch gelobten Literaturkritik in der Regel keinen Platz haben. Zum Einen, weil die Kritiker gar nicht so viel lesen können wie Bücher erscheinen und zum Anderen, weil die Kritiker nicht nur der Menge wegen sehr stark selektieren.
Mit den Hobby-Rezensenten läuft es für mich als Suchende auch nicht anders als mit den Anhängern der bekannten Kritiker: Man hat irgendwann den Bogen raus, wessen Kritik am ehesten weiterhilft. Man erkennt die, die jeden Roman ganz gerne feiern und filtert sie zügig aus. Man erkennt die, die überhaupt in denselben Genres unterwegs sind und die, die ähnliche Maßstäbe anlegen. Ich selber kenne noch dazu meinen eigenen Entdeckergeist und daraus ergibt sich sehr oft eine spannende Büchermischung aus Neuem, Uraltem, Wiederentdecktem und Testläufen.
Daran, dass Zeitungen die Feuilletons beschneiden und weniger Platz für eine professionelle Kritik einräumen ist sicher nicht auf die Blogger zurückzuführen. Stothard meint: „… newspaper editors and other people in the media are saying they don’t need to give that space to books pages because it’s all online.“ — das könnte eher ein Hinweis sein, dass es Medienmenschen gibt, die den Unterschied zwischen den Zielgruppen aus Bequemlichkeit ignorieren, weil sie Geld sparen wollen. Dummerweise ist es nun aber so: Profi-Kritiker und Buchblogger ergänzen einander. Sie stehen sich nicht im Weg, weil sie für unterschiedliche Interessenten schreiben. Beschneiden die Zeitungen den Platz für die klassische Buchkritik, verlieren sie freilich Leser … haben aber selbst am Ast gesägt (sofern sie den Literaturkritikern nicht ebenfalls den Weg ins Internet öffnen).
Die sauertöpfische Miene von Stothard und seinen Kollegen kann wieder in den Keller: Die Literaturkritiker verlieren ihre Leser schon nicht, wenn sie weiterhin für diese Leser da sind. Die Blogger haben lediglich die Vielfalt vergrößert und zusätzliche Informationsressourcen erschlossen, die vorher nicht da waren. Nicht zuletzt, weil die Literaturkritik nicht für alle Sparten, Genres und Autoren da sein konnte und wollte. Das nimmt ihr im Prinzip auch keiner krumm; sie braucht sich nur nicht zu wundern, wenn sich jemand einen Schokoladenriegel im Nachbarladen kauft, wenn der eigene Laden keinen Schokoladenriegel anbietet.
Foto: Thought Catalog (unsplash)