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Christof Gasser – Schwarzbubenland

Christof Gasser – Schwarzbubenland

Christof Gasser - Schwarzbubenland

Die freischaffende Journalistin Cora Johannis ist bekannt für ausgezeichnet recherchierte Reportagen sowie Sachbücher über Flüchtlingspolitik, Schlepperei und Menschenhandel. Beim Tagblatt schätzt man das zwar alles sehr, ist aber nicht bereit, ordentliche Honorare zu zahlen. Die geplante Reportage über Flüchtlingsströme und deren Profiteure in Politik, Behörden und Mafia geht an einen Journalisten, der sich bisher mit reißerischen Boulevardartikeln hervorgetan hat und der selbstredend weniger Honorar einstreichen wird.

Johannis, alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, überlegt also nicht allzu lange, als Daniel vom Staal bei ihr Recherchen zu seiner vor zwölf Jahren verschollenen Frau anfragt. Ganz so toll findet sie die Anfrage des Alt-Regierungsrats nicht, die Hintergründe des Verschwindens waren seinerzeit eigentlich ausreichend untersucht worden, wenn auch ohne Erfolg. Letztlich aber gibt vom Staals großzügige Entschädigung den Ausschlag für ihre Zusage.

Ein Medaillon taucht auf

Vom Staal ist überzeugt, dass Elisabeth noch lebt: Vor kurzem erhielt er per Post ein Halskettchen, das sie stets trug. Taucht es nun auf, muss also eine Verbindung zwischen ihr und der Briefschreiberin bestehen. Jene stammte offenbar aus dem kleinen (und fiktiven) Örtchen Gilgenberg im Schwarzbubenland. Johannis wird neugierig und tatsächlich: Die Gilgenberger geben ihr auf Anhieb das Gefühl, zu Recht misstrauisch zu sein.

Was nun folgt, lässt sich aus den Hinweisen erahnen, die Gasser bis zu diesem Punkt bereits gestreut hat. Darunter die namensgebende Region des Buchs, das Schwarzbubenland. Der Name leitet sich höchstwahrscheinlich vom Verb schwärzen ab und das ist nicht anderes als schmuggeln. Cora Johannis‘ Knowhow im Bereich des Menschenhandels wurde auch nicht umsonst erwähnt. Als Leser ahnen wir, wohin die Reise geht und trotzdem lässt sich Gassers Buch keinesfalls so vorhersehen, dass es langweilig würde oder dass sich die Schachzüge durchweg erahnen ließen. Er schaut den Leuten auf die Finger und stellt eine gefährliche Mischung aus Schweizerischer Organisation sowie kollektivem Wegschauen fest.

„Was spielt es für eine Rolle, für wen ich arbeite? Ich bewege mich im Rahmen des Gesetzes. Der Fall ist schon seit Jahren ad acta gelegt.“
„Das ist genau der Punkt. Er ist abgeschlossen und alle sind glücklich darüber.“

Ein Maulwurf ist aktiv

Die Nachforschungen von Johannis rühren an einer Organisation, die seit Jahren auf zwei Dinge vertrauen kann: Zum Einen darauf, dass jemand auf offizieller Seite häufig genug zur Seite schaut. Zum Anderen darauf, dass dasselbe auch in der Bevölkerung geschieht. Gilgenbergs hoher Frauenanteil aus Osteuropa ist natürlich Stammtisch- und Tratschthema, aber eben auch der Grund, sich vom Ort fernzuhalten. Eine Ausnahme bildet nur das Mittelalterfest auf der Ruine Gilgenberg, aber wie gut, dass sich die Gilgenberger selbst da nicht blicken lassen. Auf dem Fest treffen sich die im Prinzip die Nachbardörfer.

Die verschwundene Elisabeth stammte selbst aus Weißrussland, eine promovierte Soziologin und Wirtschaftswissenschaftlerin. Was in der Solothurner Gesellschaft hängenblieb, war allerdings nur, dass sie sich ihr erstes Geld in der Schweiz mangels eines ordentlichen Jobs als Bardame und Clubhostess verdient hatte. Dass eine Weißrussin einen Regierungsrat wirklich aus Liebe heiratet, kommt für die bornierte Gesellschaft gar nicht erst in Frage.

Aktuelle Zeitbezüge tragen auch international

In einem Interview mit der Solothurner Zeitung beklagte sich Gasser, dass das Schweizer TV so genannte „Regionalkrimis“ schnell als gemütliche und schlecht geschriebene „Gartenzaunmordgeschichten“ abtäte und sich wenig mit den Inhalten auseinandersetzte. So wie Monika Mansour mit ihrem Luzerner Totentanz (Link folgt am 13.9.) liefert auch Gasser hier einen Krimi ab, bei dem es schade ist, wenn der Blick auf die tragenden gesellschaftlichen Themen fehlt. Insofern tröstend, dass speziell beim Schwarzbubenland genug Leute genauer geschaut haben: Laut Jahresstatistik 2017 des Bundesamtes für Kultur war Gasser der erfolgreichste Schweizer Autor im Bereich Taschenbuch.

Auf das Schwarzbubenland wurde das Fernsehen aufmerksam, eine Berliner Produktionsfirma wohlgemerkt (keine Schweizer), das sich die Filmrechte sicherte. Und da spielt das regionale, so die Medienberichte, eine Nebenrolle. Was gefiel, waren zum Beispiel die Ermittlerfigur oder „eine Verschwörung  mit aktuellem Zeitbezug“. Mal schauen, wie das Schweizer TV demnächst über „Regionalkrimis“ berichtet.

Bibliografische Angaben

Verlag: Emons
ISBN: 978-3-96041-281-6
Erstveröffentlichung: 2017

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