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David Whitehouse – Die Reise mit der gestohlenen Bibliothek

David Whitehouse – Die Reise mit der gestohlenen Bibliothek

David Whitehouse - Die Reise mit der gestohlenen BibliothekBobby Nusku fristet seine Tage damit, Haare, Kleidungsstücke und weitere Spuren seiner verschwundenen Mutter zu sammeln und zu archivieren. Er fühlt sich im Haus seines grobschlächtigen Vaters und dessen wasserstoffblonder Freundin ziemlich einsam, besonders nachdem sein einziger Freund Sunny eines Tages wie vom Erdboden verschluckt ist. Die Freundschaft zum Nachbarsmädchen Rosa und ihrer Mutter Val, die Putzfrau in einem Bücherbus ist, gibt ihm Hoffnung und macht ihm Mut, sich gegen sein Schicksal aufzulehnen. Als alles drunter und drüber geht, machen sich Val, Rosa und Bobby gemeinsam mit dem sympathischen Outlaw Joe auf eine verrückte Reise mit Vals Bücherbus quer durch England. Im Gepäck haben sie nur das Nötigste: ihre Freundschaft und eine Menge guter Bücher.

Rezension

Bobby Nusku wird als Außenseiter groß. In der Schule gehänselt, daheim vom Vater verprügelt, von dessen Lebensgefährtin genervt ignoriert. Seit seine Mutter nach einem Autounfall verschwunden ist, fehlt ihm der Halt. Die Freundschaft zum Klassenkamerad Sunny ist nur von kurzer Dauer, als der nach einem schweren Unfall wegzieht. Auf einem seiner einsamen Streifzüge lernt Bobby Rosa und ihre Mutter Val kennen, die ein ganz anderes Paar abgeben, als er es von zu Hause kennt: liebevoll, zugewandt, interessiert und neugierig. Er freundet sich mit den beiden an und genießt die Ausflüge in den Bücherbus, den Val wöchentlich putzt. Das geht so lange gut, bis Val ihren Job verliert, weil der Bücherbus eingestellt wird, und bis Bobby vom Vater bei Val aufgestöbert wird. Daheim eskaliert die Situation und Val kapert den Bücherbus, um für die Kinder ein besseres Zuhause zu finden. Damit beginnt eine ziellose Fahrt durch England, bald begleitet von einem großen Medienecho und der Polizei, die die vermeintliche Kidnapperin verfolgen.

Schreib‘ ein Buch, in dem richtig viele Bücher vorkommen, so richtig echte Freundschaft, viele Kinder und ganz viel Bücherweisheiten, dann wird alles gut und jeder, der gerne liest, wird das Buch bedingungslos lieben. So ungefähr scheint mir das Konzept des Buches gewesen zu sein. Was fehlt, ist eigentlich nur noch einer dieser Buchtitel, die die halbe Geschichte bereits auf dem Cover erzählen und keinen Platz mehr für ein Titelbild lassen. Geholfen hat das Rezept mit den Bücherzutaten allerdings nicht. „Haarsträubend clevere Beschreibungen und geniale Pointen“ lobt der Klappentext, „haarsträubend“ alleine hätte gereicht.

Man merkt schon, warm geworden bin ich mit diesem Buch auf keiner Seite. Nimmt man alles zusammen, wirkt das alles doch sehr gewollt, bemüht clever und bemüht warmherzig. Die Ausgangssituation wird betont hässlich oder schwierig gezeichnet, damit die Erleuchtung durch die Bücher auf alle Fälle hübsch sonnig und liebevoll wirken kann. Der einsame Bobby hat seine Mutter verloren und vermisst sie natürlich. Der Vater ist ein gefühlskalter Mensch, der den Sohn wohl am liebsten weggeben würde. Seine Lebensgefährtin verschwendet nicht einmal ein Hallo an ihn, wenn sie ihn in der Stadt sieht. Bobbys Freund Sunny will Cyborg werden und fügt sich vorsätzlich schwere Verletzungen zu. Die schwerste rührt von einem Unfall her, der im Rahmen der ganzen Konstruktion einfach nur noch den Gipfel der seltsamen Einfälle markiert. Da wird so viel Besonderes angehäuft, dass es am Ende einfach zuviel ist.

Aus dieser traurigen Startsituation flüchten die drei, gabeln unterwegs noch den Ex-Soldaten Joe auf, der aus dem Gefängnis geflohen ist, und fahren nach Schottland, wo Joe ihnen ausreichend Platz in einem leeren Herrenhaus verspricht. Stück für Stück tauchen bei Bobby während der Reise die Erinnerungen an den Autounfall auf und er versteht irgendwann, was damals genau passierte. Es stellt sich ebenfalls heraus, dass sich nicht nur Bobby nach einem Vater sehnt, der ihn liebt. Joe hat dieselben Probleme und ficht stellvertretend für Bobby den Kampf mit dem Vater aus. Und dann geht es zu den Klippen im Süden, die Bobbys Mutter ihrem Sohn immer versprochen hat.

Natürlich endet alles irgendwie gut, muss auch, wenn die Personen so platt schwarz-weiß gezeichnet sind wie in einem Kinderbuch. Betont wird der Eindruck idealerweise durch ein Märchen, das am Ende eingeflochten ist: Die gesamte Geschichte wird auf wenigen Seiten mit Prinzessinnen, Waldmenschen, Drachen und Robotern nacherzählt. Die Version davor will im Prinzip die Fassung für Erwachsene sein und damit es niedlich bleibt, hat der verantwortliche Polizist, der das Grüppchen jagt, ein Bubengesicht und fühlt sich zu jung für seine Aufgabe. Im Nachhinein ist das wohl genau das Problem, das ich mit dem Buch hatte: Es sprach mich, so kindisch und überladen wie es war, gar nicht an. Ich wollte nicht betüddelt werden mit lieben Worten oder einer möglichst skurrilen Charaktersammlung, um die Werte von Freundschaft zu erkennen. Ich muss mich auch nicht gleich in einem geklauten Bücherbus suhlen, um Bücher zu mögen – was für eine Überdosis von allem!

Bibliografische Angaben

Verlag: Klett Cotta
ISBN: 978-3-60850-148-3
Originaltitel: Mobile library
Erstveröffentlichung: 2015
Deutsche Erstveröffentlichung: 2015
Übersetzung: Dorothee Merkel

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