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Edmund Crispin – Mord vor der Premiere

Edmund Crispin – Mord vor der Premiere

Edmund Crispin - Mord vor der PremiereYseut Haskell, die schöne und provokative Schauspielerin, wird mit einer Kugel im Kopf aufgefunden. Keiner, der je mit ihr zu tun hatte, hat sie gemocht und über ihren Tod ist keiner wirklich traurig. Der Literaturkritiker Gervase Fen hat von Beginn an einen Verdacht, wer für den Mord in Frage kommt. Doch kann er es auch beweisen? Er ermittelt gegen die Polizei, die den Tod schon als Selbstmord abhaken will.

Rezension

Oxford, ausgerechnet Oxford … Just in der Provinz, in die schon die Anreise extrem mühsam ausfällt, wird der bekannte Regisseur Robert Warner sein neues Stück uraufführen. Im von Bombenangriffen geplagten London ist man anno 1940 vorsichtig geworden und mag nicht mehr jede Produktion annehmen. Zu den Anreisenden gehört Yseut Haskell, eine schöne, aber intrigante Schauspielerin. Für die kleine Bühne betrachtet sie sich hochnäsig als zu gut, konnte es aber mangels Alternativen nicht ausschlagen, im Stück ihres ehemaligen Geliebten trotz allem eine Rolle anzunehmen. Yseuts total nette Schwester Helen und der eigentliche Kassenmagnet Rachel West sind um Längen besser. Yseut wird der Truppe -wie gehabt- das Leben schwer machen. So sehr, dass es einem irgendwann reicht und sie erschossen im College aufgefunden wird.

Verdächtige gibt es bei so einem Todefall dann also genug; wäre da nicht das clevere Arrangement, das von der Polizei als Selbstmord interpretiert wird. Gervase Fen, Professor für Englische Sprache und Literatur, war nur wenige Minuten nach dem Vorfall am Tatort und findet die Arbeit der Polizei eher dürftig. Fast augenblicklich hat er einen Verdacht und beginnt, gegen die offizielle Sicht der Polizei zu ermitteln. Dabei könnte es so einfach sein; nachdem Sir Richard alle Varianten des Ablaufs als unmöglich ausgeschlossen hat, fasst der ermittelnde Inspektor zusammen:

“ ‚Der einzige Schluss, der sich ziehen lässt ist, […] ist der, dass es gar nicht passiert ist.‘ Er erinnerte sich plötzlich an seine Schulzeit und fügte hinzu: ‚Quia absurdum est.‘ „

Von Crispin muss man eigentlich nur ein Buch lesen und der Mann hat einen am Haken. Ein britischer Krimi at its best mit allen Zutaten, die den Klassiker ausmachen: Ein perfektes Rätsel, freche Dialoge, spöttische Seitenhiebe. Und ein nettes Sortiment an Verdächtigen, verführerisch gut überzeichnet ein jeder, sodass man den Mord mal der liebreizenden Helen mangels Alibi andichten mag, mal dem schwer verliebten Jüngling aus verschmähter Liebe. Gervase Fen posaunt immer wieder heraus, dass eigentlich nur einer als Täter in Frage kommt und foppt seinen Freund und Journalisten Nigel Blake am laufenden Band damit, dass dieser die so einfache Lösung nicht erkennen kann.

Fens guter Freund ist Sir Richard Freeman, Chief Constable von Oxford. Ein herrliches literarisches Gespann:

„Sir Richards größtes Interesse lag in der englischen Literatur und Fens bei der Arbeit der Polizei. Sie konnten stundenlang zusammensitzen und phantastische Theorien über die Arbeit des anderen ausarbeiten, wobei sie einen feinen Spott für die Kompetenz des Gegenübers entwickelten.“

So, wie Fen die Arbeit der Polizei zerpflückt und bereits den einen oder anderen Mord erfolgreich aufklären konnte, so intensiv befasst sich Sir Richard mit Fens Fachbuch über „Mindere Satiriker des XVIII. Jahrhunderts“ und spart Fen gegenüber keineswegs mit Kritik. Nicht zuletzt hat sich Sir Richard unter die Autoren begeben und selbst drei Werke zu literarischen Themen veröffentlicht.

Überhaupt steckt das Buch voller Querverweise, die den eigentlichen Beruf des Autoren deutlich durchblicken lassen (darunter Studium der modernen Sprachen, Organist und Krimi-Kritiker). Die Bücher, die in den Händen der Protagonisten auftauchen, sind samt und sonders real und Robert Warners Theaterstück lässt sich auf einen Schlagabtausch von Voltaire mit einer Briefe schreibenden Bewunderin zurückführen. Wer sich nicht direkt zum zweiten Band von Gervase Fen begibt, wird möglicherweise von Titeln abgelenkt wie „Keine Orchideen für Miss Blandish“ von James Hadley Chase (über das der Spiegel 1947 schrieb, es sei eines jener Bücher, wie sie in jeder Generation nur einmal oder zweimal geschrieben würden, eine Sensation auf dem Büchermarkt.).

Möchte mann Klappentext-Bingo spielen, könnte man es viellleicht damit probieren: „Wer Charlotte Macleod schätzt, wird Edmund Crispin lieben.“

Bibliografische Angaben

Verlag: DuMont
ISBN: 978-3-88897-930-9
Originaltitel: The Case of the Gilded Fly
Erstveröffentlichung: 1944
Deutsche Erstveröffentlichung: 1976
Übersetzung: Barbara Sibold

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