Guy Delisle arbeitet einige Wochen lang in einem der isoliertesten Länder der Welt: Nordkorea. Pjöngjang ist für die Trickfilmindustrie keineswegs ein weißer Fleck auf der Landkarte; die Arbeit ist bereits günstiger als in China und Delisle kümmert sich als Supervisor darum, dass die koreanischen Zeichner die Filmabschnitte zwischen vorbereiteten Schlüsselszenen richtig auffüllen. Sein Reisetagebuch wurde eigentlich nur durch einen Zufall möglich. Delisle hatte eine Vereinbarung unterschrieben, seine Erlebnisse nicht zu veröffentlichen – allerdings für eine Firma, die wenige Jahre darauf nicht mehr existierte. So entstand am Ende doch der Comic über ein Land, aus dem insgesamt extrem wenig zu erfahren ist.
Rezension
Ein beruflicher Aufenthalt in Nordkorea muss schon vor dem Beginn eine schräge Erfahrung sein. Er bekommt zum Beispiel Merkzettel, was man mitnehmen darf (noch harmlos), unterschreibt die Vereinbarung, dass er hinterher nichts über Land und Leute veröffentlichen darf (seltsam) und wird darauf vorbereitet, dass er ohne einen Führer und einen Dolmetscher keinen Fuß vor die Tür setzen kann (äußerst merkwürdig). Comiczeichner Guy Delisle macht sich auf den Weg, bepackt mit leisen Befürchtungen. Wird er die Zeit dort aushalten, auch, wenn sie ohnehin kurz wird? Er packt bewusst George Orwells Buch „1984“ ein. Delisle kennt das Buch, aber „die erneute Lektüre in der letzten Bastion des Stalinismus lässt mich die Scharfsinnigkeit seiner Vorahnungen erst richtig ermessen.“
Viel Abwechslung bietet der Tagesablauf nicht. Delisle ärgert sich im Büro „ganz normal“ über schlechte Arbeit, die er korrigieren lässt. Sein Zeichner-Team wird er auf Nachfrage nur ein einziges Mal sehen. Dafür nutzt er umso mehr die Möglichkeit, sich mit den ausländischen Kollegen zu treffen und Stück für Stück erfährt er mehr über Arbeit und Leben in Nordkorea, ohne allerdings Land und Leuten nennenswert näher zu kommen. Das ist im Korsett der staatlichen Regeln nicht drin. Spaziergänge unternimmt er stets begleitet. Eine gewisse Hartnäckigkeit jedoch erlaubt Delisle, hin und wieder alleine oder mit Kollegen zu laufen – überwacht von Führern und Dolmetschern, die dieses Bisschen Distanz zulassen. Und das sind die einzigen Koreaner, mit denen Delisle während seines Aufenthalts einige Worte wechseln kann.
So unbehaglich es ist, aber Delisle arrangiert sich mit der Unvorhersehbarkeit der Ausflüge. Manche werden durch häufiges Nachfragen möglich, andere werden nie erfüllt, aber staatlich genehmigte Touristenstandards stehen ohne Vorankündigung auf dem Programm. Delisle besucht unter anderem das Museum der Freundschaft, rund zwei Stunden Fahrt von der Hauptstadt entfernt. Erreichbar über eine vierspurige blitzblanke Autobahn, die als reine Museumszufahrt von Pjöngjang aus gebaut wurde.
Über den Kontakt in nur Ausländern zugänglichen Restaurants erweitert sich sein Bekanntenkreis um die Mitarbeiter der NGO’s, zum Beispiel der UNO, die einzigen Ausländer, die ohne Führer frei durch die Stadt fahren dürfen. Delisle lernt, dass alles mögliche von einem Haufen „Freiwilliger“ getan wird: Kinder gießen Blumen, die Bürger helfen im Reisanbau oder kehren die einzige Autobahn des Landes. Ein stets förderlicher Zeitvertreib sind Schießstände: Delisle lernt die harmlose Variante kennen, alte russische Pistolen auf Ringscheiben; in der Stadt stehen die Schießbuden für das Volk, wo Pappkameraden mit japanischer und amerikanischer Uniform die Zielscheibe geben. Delisle erfährt, dass nicht einmal die Einwohner des Landes ohne Genehmigung von Dorf zu Dorf reisen können und dass die Bevölkerung am laufenden Band für irgendeinen staatlichen Feiertag Paraden und gemeinsame Aktionen einübt.
Der überdimensionierte Personenkult und die unglaublichen staatlichen Anweisungen, die Delisle beschreibt, sind eigentlich beängstigend; die gnadenlose Überdosis aber wirkt urkomisch und genau wie Delisle fragte ich mich, wieviel Indoktrinierung in den Köpfen wirklich steckt. Kann man anders, wenn man es nicht anders kennt? Er selbst kommt während seines Aufenthalts nicht dahinter, wie es hinter den Kulissen aussieht. Außer einigen Kratzern daran, wie zum Beispiel einen Mann, der hungrig einen Baum plündert, bekommt er nur eine polierte Fassade „zum Ruhe einer glorreichen Nation“ zu sehen.
Die Erlebnisse von Guy Delisle scheinen aus einer anderen Welt zu stammen und wirken so surreal, dass man’s fast nicht glauben kann. Umso trauriger, dass dieser Comic nicht der Phantasie entsprungen ist. Doch gerade deshalb finde ich, dass die Bilderwelt diese aberwitzige Realität perfekt vermitteln kann.
Bibliografische Angaben
Verlag: Reprodukt
ISBN: 3-938-51131-1
Originaltitel: Pyongyang
Erstveröffentlichung: 2003
Deutsche Erstveröffentlichung: 2007