Mit dem Bergdorf Vals verbindet man als Außenstehender in der Regel zwei Dinge: Valser Wasser und die Therme im Ort. Deren Name ist ganz einfach „7132 Therme“, was fast gleichbedeutend ist mit einer Adresse, denn 7132 ist nichts anderes als die Postleitzahl von Vals.
Das Gebäude der Therme stammt vom Bündner Architekten Peter Zumthor, die Fassade bestehend aus tausenden von Gneis-Platten der Region. Von oben ist die Therme begrünt, sodass große Teile davon im Berg verschwinden. Im Innern fokussiert die karge Ausstattung das Erleben ganz auf das Wasse und dass die glatten Kanten und Wände trotzdem einladend wirken, liegt an der Zeichnung des Gneis, der Wegführung und Lichtspielen mit Lampen und den reflektierenden Wellen.
Eingeweiht wurde der Gebäudekomplex 1996, unter Denkmalschutz stand er bereits zwei Jahre später. Die Gedankengänge, die Zumthor beim Entwurf seiner ebenso spartanischen wie anziehenden Architektur geleitet haben, beschreibt der Betreiber der Therme auf der Website mit den folgenden Worten:
Berg, Stein, Wasser – Bauen im Stein, Bauen mit Stein, in den Berg hineinbauen, aus dem Berg herausbauen, im Berg drinnen sein –, wie lassen sich die Bedeutung und die Sinnlichkeit, die in der Verbindung dieser Wörter stecken, architektonisch interpretieren, in Architektur umsetzen?
Offenbar hat der junge Lucas Harari dieses „im Berg drinnen sein“ gespürt, als er die Therme mit seinen Eltern, beide Architekten, besucht hatte. Damals war Harari 13 Jahre alt. Der Eindruck, den der Bau auf ihn hatte, ließ ihn nie los und so machte er ihn Jahre später zum heimlichen Hauptdarsteller seiner Graphic Novel.
„Ihre Grundriss-Skizzen stimmen so nicht!“
Pierre hat gerade sein Architekturstudium abgebrochen, hat viel Zeit und nutzt sie für eine Reise nach Vals. Einzig sein alter Architekturprofessor und dessen Sohn wissen von der Reise. Der Gebäudekomplex der Therme fasziniert Pierre ungemein. Mit dem Zeichenblock in der Hand quert er die Becken, um Impressionen aus jeder Perspektive einzufangen.
Vor Ort stößt er nicht nur auf eine magische Atmosphäre, sondern auch magische Phänomene. Ein sehr alter Mann erzählt ihm von der Sage, der Berg öffne sich alle hundert Jahre und schlucke einen Fremden. Während des Ersten Weltkriegs habe er das mit eigenen Augen erlebt. In der Therme selbst öffnen sich Türen und verschwinden auch wieder. Der Bau erweist sich als rätselhaft und zeitgleich mit Pierre versucht ein renommierter Architekt, dem Geheimnis der Therme auf die Schliche zu kommen. Beide merken sie, dass Grundrisse und Baupläne nicht die ganze Wahrheit erzählen.
Die Magie der Architektur
Die Magie des Berges in Vals ist auch die Magie der Architektur von Zumthor. Ein so geradliniges Bauwerk ohne Dekoration und gestalterische Details löst eine ebenso starke Wirkung aus wie die archaischen Berge drumherum. Dass man gerne eine geheime Kraft vermutet, ist kein Wunder. Es ist hingegen eines, dass die Therme noch nie als Schauplatz für einen Film oder ein anderen Buch gedient hat.
In der Graphic Novel ist diese Ausstrahlung auf jeder Seite spürbar. Harari zeichnet so geradlinig wie Zumthor, färbt äußert sparsam in schwarz, grau, weiß und blau mit roten Akzenten. Und er versteckt ein Stück weit eigene Geschichte im Buch. Das abgebrochene Architekturstudium von Pierre zum Beispiel oder die rot-weiße Rakete von Tintin. Der Architektur-Vater, der im Buch zum Professor von Pierre wird, und dessen Sohn am Ende die Geschichte von Pierre erzählen wird. Das alles ist fabelhaft miteinander verwoben und am Ende ist man sich nicht sicher, ob tatsächlich Pierre die Hauptperson ist oder vielleicht doch das scheinbar lebendige Gebäude, halb selbst ein Fels, halb im Fels?
Bibliografische Angaben
Verlag: Edition Moderne
ISBN: 978-3-03731-182-0
Originaltitel: L’aimant
Handlettering: Michael Hau
Erstveröffentlichung: 2017
Deutsche Erstveröffentlichung: 2018
Übersetzung: Christoph Schuler
Foto: Global Image Creation – 7132 Hotel, Vals