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Chloe Benjamin – Die Unsterblichen

Chloe Benjamin – Die Unsterblichen

Chloe Benjamin - Die Unsterblichen

In New York leben die vier Geschwister der Familie Gold; das sind Varya, Simon, Klara und Daniel. Es ist 1969 und sie streifen gemeinsam durch das Viertel. Ihr Ziel: Eine Wahrsagerin. Für sie ist es das Abenteuer schlechthin, aus dem Haus zu schleichen und diese Frau aufzusuchen, die angeblich die Zukunft vorhersagen kann. Sie kann sogar sagen, wann man stirbt. Jedenfalls erzählt man sich das so.

Die Frau bespricht sich einzeln mit den Kindern und teilt ihnen tatsächlich Todesdaten mit. Ob die wohl ernst gemeint sind? Ernst nehmen das nicht alle Kinder, aber beschäftigen tun sie sich mit der Frage sehr wohl.

Lesbare Lebenslinien?

Das Buch macht nach diesem kurzen Vorspann einen Zeithüpfer in das Jahr 1978, in dem Vater Saul stirbt. Die ältesten Kinder studieren bereits, die beiden jüngeren leben noch zu Hause. Die Zäsur sorgt vor allem bei ihnen, Klara und Simon, für Aufbruchsstimmung. Sie ahnen, entweder kommen sie jetzt weg oder gar nicht. In San Francisco will Klara Magierin werden; Simon sucht sein persönliches Glück. Er ist homosexuell und weiß, dass er in New York keine Beziehung wird führen können.

Mit Simon, dem jüngsten, beginnt das Buch und es ist strikt nach dem Alter der Kinder aufgebaut. Der Tod eines Geschwisters löst jeweils die Geschichte des nächsten aus. Chloe Benjamin findet in dieser Chronologie die Lösung, einerseits die Familiengeschichte aufzulösen, andererseits auf jedes Kind einzeln eingehen zu können. Das macht das Gesamtbild in Teilen natürlich vorhersehbar, doch da es ihr um große Sinnfragen geht, ist es am Ende unerheblich.

Zwischen Pathos und Kleinklüngel

Die Geschichte der Familie Gold fächert sich zwischen den Jahren 1969 und 2010 auf und entsprechend viel gibt es zu sagen. Das bedeutet im Fall Gold auch, dass sich die Geschichte für meine Begriffe recht träge dahinzieht. Jeder kommt zu seinem erzählerischen Recht, doch es fehlen Elemente, die mich als Leser durch das Buch ziehen. Denn das große Programm, das die Wahrsagerin festgelegt hat, zieht Benjamin ohne Abweichungen durch.

Was bleibt, ist die große Sinnfrage: Kann man ein Leben vorherbestimmen oder nicht? Wie lebt man ein Leben überhaupt und wie lebt man es, wenn man ein vermeintliches Ende kennt?

Viele der Gold-Kinder repräsentieren während ihres Lebens Versuche, auf diese Frage zu antworten. Klara und Simon leben ihre Träume aus und suchen so Erfüllung. Daniel und Varya sind medizinisch tätig. Daniel als Militärarzt, Varya als Forscherin, die Alterungsphänomene untersucht. Sie spielen Varianten von Schöpfungsprozessen durch: Sie bekommen Kinder, verändern Genmaterial und hadern mit Gott. Sie beurteilen die Tauglichkeit anderer Menschen für das Militär zu einer Zeit, als der Wehrbefehl tatsächlich Kriegseinsatz bedeutete und damit vielleicht einen frühen Tod. Sie manipulieren als Magier die Wahrnehmung und täuschen.

„Niemand würde je solche Macht über ihn haben: kein Mensch, und auch kein Gott.“

Chloe Benjamin baut einen reichhaltigen Fundus an Personen auf, die die Geschichte zumindest zum Teil auch weiter begleiten werden. Es ist eine üppige Familienerzählung, die mich aber gerade wegen ihrer Üppigkeit zwickt. Unter all den Schichten nach Ideen zu graben, wie das denn nun so ist, mit der Vorbestimmung, dazu gibt es mir zu viele Lackschichten. Da grabe ich lieber an Dingen herum, die mich am Buch stören oder an ihren Protagonisten. Warum zum Beispiel Menschen, die Selbstbestimmung über alles schätzen, einer Wahrsagerin freiwillig die Macht über ihr Leben abtreten. Oder warum Klara Simon erst seinen Weg zu seinem homosexuellen Glück ebnet und später sagt, er sei wegen ihr „auf die schiefe Bahn“ geraten.

Ich sehe zeitweilig wenig Respekt für das Leben der Geschwister. Also lässt mich das Buch etwas ratlos zurück. Benjamins Buch hat den Faden irgendwo verloren. Es wirkt, als hätte sie das Buch extra so geschrieben, dass jeder etwas davon hat, egal, ob er an irgendeine Form der Vorbestimmung glaubt oder nicht. Ich glaube aber, dass das Buch eben genau deshalb nicht funktioniert.

Bibliografische Angaben

Verlag: btb
ISBN: 978-3-442-75819-7
Originaltitel: The Immortalists
Erstveröffentlichung: 2018
Deutsche Erstveröffentlichung: 2018
Übersetzung: Norbert Möllemann, Charlotte Breuer

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