In einem wenig angesehenen Viertel von Los Angeles gehört Lola Vasquez zu den unscheinbaren, aber großen Köpfen. Sie leitet einen kleinen Drogenhandel in der Gegend, den sie sich hartnäckig erkämpft hat. Von diesem Kampf erzählt Lola, ein spannender Thriller, der allerdings nicht zwingend nötig ist, um mit „Capitana“ ihre Geschichte weiter zu verfolgen.
Lola Vasquez lebt mit ihrer früher drogenabhängigen Mutter und der Pflegetochter Lucy unauffällig in einem kleinen Wohnblock. Umgeben von ebenso unscheinbaren Familien, die soziales Umfeld und freundliche Nachbarn beim gemeinsamen Grillfest sind. Für sie ist Lola da, mit warnenden Eingriffen in Familienfehden oder der einen oder anderen Finanzspritze, wenn sie knapp bei Kasse sind. Im Gegenzug halten die Nachbarn für die Gang die Augen offen.
Wenn die Crenshaw Six an weiße Kids verkaufen, wird es Lolas Gang hinter Gitter bringen, nicht die weißen Kids.
Was die Nachbarn vielleicht ahnen, aber nie wirklich mitbekommen, ist die Art und Weise, wie die Capitana ihre Geschäfte führt. Freundlichkeit ist fehl am Platz und ein Leben zählt wenig im Drogenbusiness. Das gilt auch für Lola selbst, wie sie weiß und sie merkt zu spät, dass sie für jemanden tatsächlich entbehrlich zu sein scheint. Sie landet nach einem kleinen „Gefallen“ mitten in einem Drogenkrieg, von dem sie zunächst nicht einmal weiß, wer ihn überhaupt angezettelt hat. Sie weiß nur: Jemand hat sie taktisch raffiniert in die Schusslinie der expandierenden Rivera-Gang geschubst.
Arbeitsteilung zwischen den Welten
Melissa Scrivner Love schreibt nicht nur einen spannenden Thriller. Die „Capitana“ Lola gehört trotz ihrer Skrupellosigkeit zu den Sympathiefiguren unter den Romanheldinnen. Sie tut „einfach“ ihren Job und setzt sich in einer testosterondominierten Szene durch (wobei es nicht wirklich viele Szenen gibt, wo das anders wäre). Ihre Geschäftspartnerin Andrea zeigt ebensolche Selfmade-Qualitäten wie Lola, wenn auch in einer anderen Liga. Andrea ist Staatsanwältin und nutzt ihre fusselfreie Fassade perfekt für die illegalen Geschäfte aus.
Scrivner Love erzählt mit ihrem Thriller zugleich, wo es in der Gesellschaft hapert. Lola blickt nach ihrem geschäftlichen Aufstieg immer öfter hinter die Kulissen der vermeintlich besseren Gesellschaft und so zeigt das zweite Buch noch eindrücklicher, welche Gräben sich zwischen den Menschen auftun.
Diese dummen Ziegen haben in jedem verdammten Satz ein „Scheiße“ eingeflochten, aber das ist ja in Ordnung, weil sie hierhergehören. Wenn dagegen einer Latina sowas rausrutscht, sind alle nah dran, die Cops zu rufen.
Chancen, daran erinnert Lola, sind nicht für alle gleich gut gemacht. Sie muss täglich auf Details wie Kleidung und Haltung aufpassen und weiß, wann sie gegenüber wem den Kopf senken sollte, weil das von einer Latina einfach erwartet wird. Die Gefahren lauern in Cafés und Restaurants, aber auch in der Schule. Die Schwester eines Gangmitglieds und Lolas Pflegetochter Lucy erleben im Lauf des Buchs am eigenen Leib, wie Chancen torpediert werden. Kratzt man vom Drogenbusiness und der Drogenbekämpfung den Lack, läuft es schlicht offensichtlicher ab.
Ob die Story fortgesetzt wird? Das Zeug dazu wäre gewiss da: Der Vater der Autorin ist Polizist, die Mutter Gerichtsschreiberin, Scrivner Love selbst lebt in Los Angeles und schreibt für Serien wie CSI. Material und Background-Wissen gibt’s in Reichweite und in Hülle und Fülle. Doch ich glaube, ich würde statt der Stories über Familie Vasquez auch so ziemlich alles andere lesen, was Scrivner Love so mehrschichtig erzählt wie diese beiden Thriller Capitana und Lola.
Bibliografische Daten
Verlag: Suhrkamp
ISBN: 978-3-518-47050-3
Originaltitel: American Heroin
Erstveröffentlichung: 2019
Deutsche Erstveröffentlichung: 2020
Übersetzung: Andrea Stumpf, Sven Koch
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