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Literatur, Rezensionen & mehr

Melissa Scrivener Love – Lola

Melissa Scrivener Love – Lola

Der Begriff „South Central L.A.“ steht für eine Ecke der Metropole, die aus gutem Grund in keinem Touristenführer steht. Der große Bezirk gilt als einer der gefährlichsten von Los Angeles und ist Heimat der berüchtigtsten Gangs der Staaten. Gleich daneben liegt das Viertel Huntington Park. Ein bisschen besser vielleicht, aber nicht viel. Die Latino-Gang Crenshaw Six kümmert sich in einem kleinen Teil dieses Viertels um das Drogengeschäft.

Bisher sieht es gut aus: Keiner macht ihnen das kleine, aber zumindest erträgliche Business streitig; das Kartell kümmert sich darum, dass ihre Verteilerbetriebe ordentlich arbeiten können. Es gibt nur eine Besonderheit. Boss der Gang ist nicht Garcia, was alle annehmen. Die Strippen zieht seine zierliche Freundin Lola. Für eine Latino-Gang absolut unüblich, doch bisher ist ihnen keiner auf die Schliche gekommen.

Sie wiegt nur achtundvierzig Kilo, samt Jeans, Sneakers und nassen Haaren. Der Rest der Welt nimmt sie kaum je wahr, und sie findet es gut, dass meist niemand sie kommen sieht.

Es geht schief, was schief gehen kann

Die kleine Gang ist allerdings entbehrlich. Das Kartell beauftragt sie deshalb, einen Drogendeal zwischen einem neuen Lieferanten und einem offenbar untreuen Geschäftspartner zu unterbinden. Geht es schief, wäre es für die Drahtzieher um die Crenshaw Six nicht schade. Lola ist klar, was auf dem Spiel steht. Aber die clevere Frau versucht, sämtliche Möglichkeiten in ihrem Plan zu berücksichtigen. Wenn es gut geht, steht sie hinterher schließlich weitaus besser da. Trotzdem: Es geht natürlich schief, denn in ihrer Gang sind nicht alle so helle wie sie. Jetzt steht ihr eigenes Leben auf dem Spiel. Mehr als einen Aufschub aber kann Lola zunächst nicht heraushandeln. Jetzt muss sie kämpfen, planen, fingieren, mit ungewissem Ausgang.

Das Buch ist eine großartiger Gang-Thriller, der nie mit der Spannung nachlässt. Dass Scrivener Love bereits Erfahrung mit dem Schreiben von Fersehserien hat, merkt man dem Buch durchaus an. Was keine Handlung bringt und für die Figurenzeichnung nicht gebraucht wird, kommt im Buch nicht vor.

Und trotzdem, Lola ist eine vielschichtige Figur, was trotz der Rasanz bestens zur Geltung kommt. Tochter einer drogenabhängigen Mutter, was ihr zwar eine große Härte und Durchsetzungsfähigkeit einbrachte, aber auch viel zu frühe seelische Verletzungen und eine unbrauchbare Kindheit. Als sie merkt, dass ein Nachbarsmädchen in dieselben Schwierigkeiten gerät, will sie zumindest ihr das Schicksal ersparen und kümmert sich um sie. Ausgerechnet jetzt, denn möglicherweise überlebt sie die Revance wegen des verpatzten Drogendeals ja nicht.

Das Happy End gibt es nur für den Leser

Lola macht sich keine Illusionen, wie ihr Ende aussehen könnte und wie gering die Wahrscheinlichkeit ist, dass sie die Woche überlebt. Wie Gangs mit fehlbaren Mitgliedern oder Feinden umgehen, weiß sie. Schließlich mischt sie selber mit. Hoffnungen auf einen „guten“ Ausgang darf sich nur der Leser machen und das auch nur bis zur letzten Seite. Darüber hinaus gibt es ohnehin keine Garantien für Lola. Wie wenig hier ein Menschenleben gilt, sollte man in den letzten 380 Seiten begriffen haben.

Wenn man gut hinschaut, dann sieht man all die Grenzen, denen die Menschen unterworfen sind und die Scrivener Love ziemlich deutlich einbaut, wenn sie Lola mit den großen Fischen im Drogengeschäft konfrontiert. Lola besuchte vor wenigen Jahren Abendkurse im Community College. Hier fängt der Käfig bereits an: Latinos am College akzeptieren die Latinos von Huntington Park nicht. Da gibt es keinen Stolz auf jemanden, der klug genug ist, sondern nur die unausgesprochene Forderung, „nicht zuviel zu wollen“. Während ihrer Touren durch L.A. merkt Lola, wie wenig Ahnung sie von der Welt außerhalb ihres Viertels hat. Wie sehr sich Viertel und Gesellschaftsgruppen in Sprache, Kleidung oder Freizeitbeschäftigungen unterschieden. Wie sehr sie selbst in ihren besten Klamotten überall aufzufallen scheint.

Hier kriegt man keine zweite Chance, niemand kommt hier wieder auf die Beine. Statt einer Minimalstrafe in einem Weißenknast gibt’s hier eine Kugel in den Kopf — als Opfer der Umstände oder als Kollateralschaden. Erfolgsgeschichten sind die Ausnahme, und noch seltener welche mit Happy End.

Ja, klar, das ist ein amerikanischer Thriller, der auf’s Gaspedal drückt. Es ist allerdings auch einer, der mit ein paar Elementen ziemlich punktet: Die Frau als Gangchefin, die mit den richtig Großen zu tun bekommt. Die zeigt, dass in den Gangvierteln praktisch kaum Möglichkeiten existieren; man arbeitet entweder schwarz für die Reichen oder kriminell für Kartelle. Die zeigt, wie sehr Wohlstand und Reichtum auf dem Rücken der armen Viertel wachsen und wie die Menschen dort ausgenutzt werden. Für Lola gibt es nur einen Weg, aber sie wird ihn auf ihre Art und mit allen Konsequenzen gehen.

Hier geht es zum zweiten Band: Capitana

Bibliografische Angaben

Verlag: Suhrkamp
ISBN: 978-3-518-46945-3
Originaltitel: Crown
Erstveröffentlichung: 2017
Deutsche Erstveröffentlichung: 2019
Übersetzung: Sven Koch, Andrea Stumpf

1 comment

  1. Schöne Besprechung. Ich fand die feministische Komponente des Buchs besonders überzeugend.

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