Peter Zantingh – Nach Mattias
Was passiert nach dem Tod eines Menschen? Eines geliebten Menschen oder einem aus der Nachbarschaft? Was passiert also „nach Mattias“? Das Leben geht auch nach einer neuen, individuellen Zeitrechnung unbeeindruckt weiter und hinterlässt seine Spuren.
Eine Woche nach Mattias wurde sein Fahrrad geliefert.
Peter Zantingh erzählt von Menschen, die ein Stück Lebensweg mit Mattias geteilt haben. Da sind natürlich die Eltern oder die Freundin, denen der plötzliche Tod Kopf und Herz völlig aus der Spur geraten lässt. Der Alltag hält die Trauer eine Weile in Schach, um ihr bei einer absoluten Lappalie Bahn zu brechen. Sie orientieren sich zwischen den Bruchstücken ihrer Liebe zu Mattias neu mit dem, was sie haben.
Neben den engen Angehörigen begegnen wir auch Menschen, die nur am Rande mit Mattias zu tun hatten. Für sie sind die Änderungen ihrer Abläufe klein, aber nun, sie sind da, selbst wenn man mit Mattias nur beim Computerspiel aufeinandertraf.
Peter Zantingh setzt aus den unterschiedlichen Geschichten stückchenweise das Bild von Mattias zusammen. Jeder Angehörige und Bekannte trägt seine Perspektive bei. Nur über Mattias Tod selbst verrät Zantingh lange nichts. Dazu kommt erst gegen Ende jene Person ins Spiel, die das zugehörige Puzzleteil liefert.
Mir gefällt die Art, wie Zantingh seine erzählerische Konstruktion aufbaut und oft unvermutet Personen miteinander verknüpft. Es liegt wohl an genau dieser Art des Erzählens, dass es kein Buch über Trauer ist, sondern für mich vielmehr ein Erkunden, wie sich eine einschneidende Veränderung im Großen wie im Kleinen auswirken kann.
Verlag: Diogenes
ISBN: 978-3-257-07129-0
Originaltitel: Na Mattias
Erstveröffentlichung: 2018
Deutsche Erstveröffentlichung: 2020
Übersetzung: Hanni Ehlers
Ryan Gattis – Safe
Ein Buch so schwarz wie ein Safe, mit schwarzem Buchschnitt und geprägtem, metallisch glänzendem Zahlenrad auf dem Cover. „Safe“ von Ryan Gattis kommt in der Hardcoverversion schon mal sehr attraktiv daher.
Im Roman treffen der Safeknacker Ghost und der Clanmitarbeiter Glasses aufeinander. Ghost, einst Drogenabhängiger, knackt heute Safes für die Behörden, wenn Clangelder konfisziert werden sollen. Glasses gehört zu den Kartellen, lässt den Behörden hin und wieder einen solchen Safe zukommen, damit die Clans an anderer Stelle in Ruhe handeln können. Doch Ghost will aussteigen und bei der Gelegenheit ein paar Sachen in Ordnung bringen — dafür nimmt er Geld, das er beim Safeknacken abzweigt. Der Griff in die Kasse fliegt leider schnell auf. Glasses soll es regeln, doch auch der hat Pläne, von denen weder der Boss noch die Behörde etwas ahnen dürfen.
Beim Lesesofa 4 gab es Lobpreis für Gattis und den gibt’s nun auch von mir. Ja, es ist vordergründig ein Thriller mit Drogenkriminalität, den Bossen und Behörden mit Lecks. Doch es ist auch ein Roman über die Leute, die aussteigen wollen. Da zeigt sich Gattis sehr einfühlsam und legt offen, dass es auch für Kartellmitglieder Momente gibt, in denen sie an ihrem Job zweifeln. Die Frage ist dann nur, ob und wie man rauskommt. Glasses und Ghost sind glaubwürdigen Figuren, die, aus unterschiedlichen Richtungen kommend, ihre Zukunft neu ausrichten wollen. Ihrer Vergangenheit zugleich irgendwie Ausgleich verschaffen möchten. Für mich passt „Safe“ daher gut in eine Reihe mit zum Beispiel „Die Maske„, einem Roman, der sich ebenfalls um Schuld und Sühne im kriminellen Milieu kümmert. Gattis schreibt weniger philosophisch, mit mehr Drive als Nakamura, aber deshalb keineswegs weniger überlegt.
Verlag: Rowohlt
ISBN: 978-3-498-02537-3
Originaltitel: Safe
Erstveröffentlichung: 2017
Deutsche Erstveröffentlichung: 2018
Übersetzung: Ingo Herzke; Michael Kellner
Yukio Mishima – Der goldene Pavillon
Die Neuübersetzung dieses japanischen Klassikers thematisiert eine reale Brandstiftung: 1950 zündete ein Novize im buddhistischen Rokuon-ji in Kyoto den Kinkaku-ji auf dem Tempelgelände an – jenen Goldenen Pavillon, der heute synonym für die ganze Tempelanlage . Mishima interessierte sich für den Fall und besuchte den Täter im Gefängnis. Aus diesen Gesprächen heraus entwickelte er seinen Roman über den Außenseiter Mizoguchi, der als Halbwaise in den Tempel aufgenommen wird und langsam in eine gefährliche Obsession schlittert.
Mizoguchis Vater hält den Kinkaku-ji für das schönste Gebäude überhaupt und dieser Gedanke bleibt auch bei Mizoguchi selbst hängen. Als er den Bau zum ersten Mal sieht, ist er allerdings maßlos enttäuscht. Mehr als ein „kleines geschwärztes altes Gebäude“ sieht er nicht (das Gebäude war damals außen tatsächlich unscheinbar; die historische Blattgoldauflage aus dem 14./15. Jahrhundert war schon längst abgeblättert). Dennoch hält er an der Prämisse fest und ist wild entschlossen, den Kinkuku-ji weiter zu ehren. Die Perfektion in seiner Phantasie überträgt er immer mehr auf das echte Haus, sobald er in Kyoto lebt.
Hin und wieder gibt es Bücher, die sich mir überhaupt nicht öffnen. „Der Goldene Pavillon“ ist so eines. Die Handlung selbst hat damit wenig zu tun. Sie dreht sich genau um das, was ich etwa erwartet hatte. Mishima erzählt Mizokushis Werdegang vor allem nach dem Tod des Vaters und ich nehme an, dass er tatsächlich viele Elemente von dem verwendet hat, was er in den Gesprächen mit dem Brandstifter seinerzeit erfahren hatte.
Womit ich überhaupt nicht zurecht kam, waren die unglaublich wirren Betrachtungen von Mizoguchi über Schönheit und Verrat, über Materie und Besitz, Vollkommenheit und Böses, Leben und Ohnmacht. Und ausgerechnet die machen den Schwerpunkt des Romans aus. Mizoguchi versteigt sich hoffnungslos in hanebüchener Pseudologik und schwadroniert, sodass ich ihm beim besten Willen nicht folgen konnte. Geschweige denn, seine Entwicklung nachvollziehen konnte. In gewisser Weise freue ich mich, dass andere Leser:innen dem gedanklichen Wirrwarr besser folgen konnten und in den Besprechungen Aspekte ausmachen wie den Einblick in das Japan nach dem Zweiten Weltkrieg, gefährliche Ideale bei Außenseitern, Szenen aus der Lebensweise im Zen-Kloster oder gar eine „coming of age“-Geschichte. Ich kann nicht einmal ansatzweise rekapitulieren, was dieser Roman über Schönheit aussagt, obwohl die ganze Zeit die Rede davon ist.
Ich bin von daher sehr dankbar für ein Nachwort von Ursula Gräfe, die einige verschiedene Symbole von Mishima erläutert, den Autor vorstellt und über die Rezeption des Werks schreibt.
ごめんなさい。
Verlag: Kein & Aber
ISBN: 978-3-498-02537-3
Originaltitel: Kinkakuji, 金閣寺
Erstveröffentlichung: 1956
Deutsche Erstveröffentlichung: 1961
Übersetzung: Ursula Gräfe
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