Gian Maria Calonder – Engadiner Hochjagd
Mich hat bei Calonders Debut und auch bei Band 2 schon genervt, dass der Jungermittler Massimo Capaul als „verschroben“ deklariert wurde. Ist auch bei Fall 3 noch nicht ausgerottet, dabei finde ich den werten Herrn seit jeher eher etwas unreif. Naja, als Hauptperson in einem Roman hat er immerhin das Vorrecht, dass er unabhängig davon den richtigen Riecher haben darf. Muss er auch, denn die jüngsten Toten haben auch mal wieder so zufällig gute Todesursachen, dass der Rest der Polizei fix fertig werden will, während Massimo Capaul Morde wittert. Zum ersten Mal als „echter“ Polizist übrigens, denn der junge Mann wird endlich offiziell in den Dienst aufgenommen.
Zuerst geschieht ein Bergrutsch, bei dem wahrscheinlich ein Ansässiger verschüttet wurde. Er gilt als Sonderling, weil er sich seit dem Jagdunfall seines Sohnes vor einigen Jahren total abkapselt. Einige Bergler sind sogar fast erleichtert, dass er dem geliebten Sohn folgen durfte, fast an derselben Stelle, an der der Sohn damals ums Leben kam. Kurz darauf gibt es tatsächlich noch einen Jagdunfall. Es gibt einen Jäger, der am Tod des Sonderlings zweifelt und dann ist da noch ein Autounfall, der Capaul sauer aufstößt. Freilich ist er in allen Fällen der einzige, der nichts pragmatisch regeln will, sondern korrekt. Und er kapiert, wie die Dinge zusammenhängen.
Die Calonder-Krimis sind immer gut für einen Tag oder Nachmittag. Ich bin ohne Stottern recht schnell durch, finde die eine oder andere Passage für meine LiteratUhr und kann die Bücher wieder in die Bibliothek retournieren. Zwar möchte ich Capaul nicht persönlich kennenlernen, aber ich schätze diese Art von Krimi für Zwischendurch. Zumal Autor Gian Maria Calonder nicht den Fehler macht, wie Alex Lépic auf Biegen und Brechen den lokalen Tourismusflair reinbringen zu müssen.
Verlag: Kampa
ISBN: 978-3-311-12015-5
Erstveröffentlichung: 2020
Jonathan Lee – Joy
Von außen betrachtet sieht es ganz so aus, als habe Joy Stephens es geschafft: Junge, erfolgreiche Anwältin in einer großen Kanzlei und auf dem Sprung zur Teilhaberin. Doch hinter den Kulissen ist alles ziemlich zermürbend. Die Welt der Anwälte ist misogyn und ausbeuterisch, voller Selbstdarsteller und Intrigen. Als Joy bei der Ernennung zur Teilhaberin über die Brüstung kippt und im Koma liegend ins Spital eingeliefert wird, überschlägt sich natürlich die Gerüchteküche.
Wenn Dorothy L. Sayers mit „Mord braucht Reklame“ ihren Racheroman über die Werbebranche geschrieben hat, dann hat Jonathan Lee das vermutlich mit „Joy“ über die Juristen erledigt. Seine Joy erzählt in Etappen jenen verhängnisvollen Tag und zieht zugleich Bilanz aus ihrem Leben. Gerade im männlichen Umfeld wimmelt es von selbstzentrierten Gockeln, die zwar Prostituierte und Slots im Fitnessstudio buchen können, aber vermutlich keinen Brief an ihre Krankenversicherung richtig frankieren würden.
Joys Kolleginnen und Kollegen wiederum erzählen in wortreichen Monologen — wie es aussieht, berichten sie einem Therapeuten, den die Firma ihren Mitarbeitenden nach dem Sturz zur Seite gestellt hat. Gerüchte über einen Selbstmordversuch machen die Runde. Mit jeder Seite wird deutlicher, dass sich Joy ihr Leben so ganz sicher nicht vorgestellt hat. Und mit jeder Seite, die dem Therapeuten offenbart wird, möchte auch keine Leserin und kein Leser in so einem Unternehmen arbeiten. Jonathan Lee gelingt es jedoch, die Welt von Joy in seinem Roman mit einem unerwarteten Twist zumindest teilweise zu reparieren.
Verlag: Diogenes
ISBN: 978-3-257-07242-6
Originaltitel: Joy
Erstveröffentlichung: 2012
Deutsche Veröffentlichung: 2024
Übersetzung: Cornelia Holfelder-von der Tann
George Baxt – Mordfall für Dorothy Parker
Die Begeisterung nimmt in dieser Ausgabe des Intermezzo eindeutig von oben nach unten zu. Denn hier kommt das Highlight! Von George Baxts Serie um Prominente, die sich zufällig mit einem Mord herumschlagen müssen, hatte ich vor unzähligen Jahren definitiv schon den mit Greta Garbo in der Hand. Als ich neulich jenen mit Dorothy Parker im Antiquariat fand, musste ich einfach zuschlagen. Was mich damals begeistert hatte, war die Akribie, mit der Baxt die Personen so präzise zu treffen versuchte, dass man den Eindruck hatte, exakt so wäre das auch die echte Garbo angegangen. Ich würde sie alle lesen, bekäme ich sie in die Finger; sieben Stück sind es mindestens.
Hier wird nun also Dorothy Parker aktiv, nachdem ein totes Showgirl in der Wohnung eines ihrer Freunde gefunden wurde. Dass der es nicht war, steht außer Frage und so mischt sie sich gemeinsam mit Alexander Woollcott in die Ermittlungen ein. In der Theaterszene herrscht mehr Sodom und Gomorrha, als die ohnehin schon nicht zimperliche Parker ahnt und offenbar hatte das Showgirl noch mehr Details mitbekommen, als jemandem lieb war. Woollcott und Parker werden mit ihrem gewitzten Auftreten jemandem schon bald ebenfalls zu neugierig und zu schlau. Aber sie wagen sich immer weiter hinein in das Dickicht und graben in anderer Leute Vergangenheit herum.
Den unwiderstehlichen Charme macht in allem, was mit Dorothy Parker zu tun hat, der Tonfall aus. Baxt muss die Dialoge von Parker und ihrem Freundeskreis vom Algonquin Round Table ausgiebig studiert haben. Der Spott, eine atemberaubende Schlagfertigkeit und ihr Humor — er erweckt die Person Dorothy Parker so zum Leben, dass man ihm die Figur in jeder Zeile abkauft. Sie entspricht einfach zu gut dem Bild, das man sich aus Gedichten oder Artikeln über sie machen kann. Parker ist, mit Ausnahme der Liebe, immer Herrin der Lage und lässt sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Unvorhergesehenes meistert sie mit einem besonderen Talent für Improvisation.
Im Gegenzug finde ich die Auflösung etwas verworren. Ein Wunder, dass Parker und Woollcott da so schnell dahintergekommen sind. Aber das ist bei so viel Wortwitz drumherum absolut verschmerzbar.
Der Lesegenuss hat mich übrigens dazu verleitet, bei ChatGPT einmal nachzufragen, ob ich auch ein Parker-Statement bekommen könnte. Habe ich!
Verlag: Haffmanns
ISBN: 3-251-01170-7
Originaltitel: The Dorothy Parker Murder Case
Erstveröffentlichung: 1985
Deutsche Veröffentlichung: 1992
Übersetzung: Ruth Keen
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