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Japan in Farbe: Jiro Taniguchi

Japan in Farbe: Jiro Taniguchi

Ein Zeichner, der einigen Fans japanischer Literatur mindestens namentlich bekannt ist, ist Jiro Taniguchi. In der Reihe „Japan in Farbe“ darf er nicht fehlen. Wenngleich „in Farbe“ ein bisschen Schmu ist, denn außer dem Cover sind die Bücher, die ich von ihm kenne, praktisch nicht koloriert.

Für mich persönlich betrat der Künstler Jiro Taniguchi das erste Mal mit dem mehrbändigen Bergsteigerepos „Der Gipfel der Götter“ die Bühne. Die fünfbändige Story von Baku Yumemakura verknüpft die Geschichte eines fanatischen Bergsteigers mit der versuchten Erstbesteigung des Mount Everest durch die Briten George Mallory und Andrew Irvine im Jahr 1924. Taniguchi hatte die atemberaubend schöne und gleichzeitig so gefährliche Atmosphäre des Extrembergsteigens für mich so hervorragend eingefangen, dass ich sofort zum Fan wurde.

Jiro Taniguchi begann seine Karriere als Zeichner in den 1960er Jahren. Von Beginn an arbeitete er an Manga, die für ein erwachsenes Publikum gedacht waren. Was ihn später außerhalb Japans bekannt machte, waren vor allem seine eigenen Storys, die sich an alltäglichen Begebenheiten orientieren. Bücher dieser Art sind zum Beispiel Der spazierende Mann oder Ein Zoo im Winter. Auch Der Gourmet funktioniert nach diesem Konzept: Taniguchi setzte Kurzgeschichten von Masayuki Kusumi szenisch um. Kennzeichnend für ihn ist die hohe Realitätstreue. Für viele Bücher sammelte er seine Inspirationen auf Spaziergängen und zahlreiche Orte besuchte er selbst, um sie zeichnen zu können.

Mit dem Kartographen unterwegs

Erst vor wenigen Jahren erschien Der Kartograph, ein Manga, mit dem Jiro Taniguchi nicht nur in den Alltag eintaucht. Er verbindet die Idee von Der spazierende Mann mit der, das Japan der Edo-Zeit darzustellen. Dieser spazierende Rentner ist nicht irgendwer. Taniguchi nutzte Ino Tadataka als Inspiration, ein Mann der im frühen 19. Jahrhundert lebte. Auf ihn geht die erste Landkarte Japans zurück, die sowohl vollständig war als auch bereits sehr exakt.

Über Tadataka selbst lernt man in diesem Buch wenig. Taniguchis Figur übt für seine Vermessungsarbeit, die Schritte absolut gleichmäßig zu setzen, um eine vernünftige Maßeinheit zu haben. Viel mehr ist es nicht. Sein Tadataka wandert stundenlang durch Edo und zeigt den damaligen Alltag. Straßenhändler, kleine Imbissanbieter, spielende Kinder, Handel und Verkehr auf Brücken, Bootstouren, Ausflüge mit der Ehefrau und sommerliche Feste. Jiro Taniguchi setzt die Szenen in kleinen Episoden um. Der gut passende japanische Originaltitel lässt sich mit „ziellos“ übersetzen und erzählt das Gegenteil von dem, was „Der Kartograph“ von der Story erwarten lässt. Trotzdem ist der Titel aus europäischer Sicht nicht so verkehrt, denn was spricht dagegen, wenigstens ein kleines Stück der japanischen Vermessungsgeschichte mitzunehmen?

Hommage an die Künstler der Epoche

Die zeichnerischen Möglichkeiten schöpft er raffiniert aus. Er zitiert immer wieder die Kunst dieser Zeit, zum Beispiel die Holzschnitte von Hiroshige. Außerdem überrascht er mit seinen Perspektiven. Wenn Tadataka ein wenig tagträumt, zeichnet Taniguchi aus der Perspektive eines Adlers oder der einer Ameise. Großartig ist dabei seine Detailtreue. Der Zeichner studierte Libellenaugen oder Adlerfedern ebenso akribisch wie die Kleidung und die Bauwerke der Edo-Zeit, bevor er sie zeichnete.

Die Figur Tadataka zeigt sich zudem kulturell sehr vielfältig. Er trifft auf Dichter oder Maler, sodass Taniguchi ganz nebenbei Haiku zitieren oder Theaterkunst der Epoche einbauen kann. Insgesamt zeichnet er eine Art Album mit kleinen Episoden, die nur über die zahllosen und langen Spaziergänge des Kartographen zusammengehalten werden. Wem die rote Linie in der Erzählung fehlt, findet in diesem Manga umso mehr Atmosphäre.


Jiro Taniguchi starb am 11. Februar 2017 in Tokyo.


Bibliografische Angaben

Der Kartograph
Verlag: Carlsen
ISBN 978-3-551-75102-7
Originaltitel: Furari / ふらり
Erstveröffentlichung: 2011
Deutsche Erstveröffentlichung: 2013
Übersetzung: John Schmitt-Weigand
Handlettering: Ronny Willisch

In der nächsten Folge „Japan in Farbe“:
Hiroshige

Die vorigen Folgen:
Mateusz Urbanovicz
Igort

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