Joe R. Lansdale – Dunkle Gewässer

von Bettina Schnerr
3 Minuten Lesezeit
Joe R. Lansdale - Dunkle Gewässer

Joe R. Lansdale - Dunkle GewässerMay Lynn ist das schönste Mädchen der Gegend. Aus der schlimmsten Familie am ganzen Fluss. Als ihre Leiche aus dem Fluss gezogen wird, interessiert sich niemand dafür, wer sie ermordet hat – alle sind nur hinter dem Geld her, das ihr Bruder bei einem Banküberfall erbeutet haben soll. Die Freunde Terry, Jinx und Sue Ellen beschließen, May Lynns Asche in Hollywood ein würdigeres Ende zu verschaffen und machen sich auf dem Weg nach Süden.

Rezension

Irgendwo in Osttexas, vermutlich in den 1950er Jahren, ist Sue Ellen eine kleine Ausnahme: Statt die verlangten Frauensachen zu machen, geht sie lieber mit den Männern fischen. Männer wie Daddy und Onkel Gene sind zwar auch keine angenehme Gesellschaft, aber Fischen an der frischen Luft ist trotzdem immer noch besser als Kochen und Putzen. Beim Einholen der Giftsäcke verfängt sich die Leiche ihrer Freundin May Lynn im Seil. Die Männer holen widerwillig Constable Sy Higgins aus dem Kaff, hätten die Leiche aber lieber wieder in den Fluss geworfen, um sich Ärger zu ersparen. Selbst der Mann des Gesetzes hätte mit dieser Lösung wohl keine Probleme gehabt. May Lynns Freunden geht dieses respektlose Verhalten völlig gegen den Strich und wollen ihr auf eigene Faust eine würdigere Bestattung verschaffen. Sie durchforsten May Lynns Habseligkeiten und beschließen, ihre Leiche irgendwie nach Hollywood zu bringen. Wo sie zu Lebzeiten hinwollte, soll sie wenigstens nach ihrem Tod sein. Nicht zuletzt könnte überall sonst auf der Erde eine bessere Zukunft auf sie warten als ausgerechnet am Sabine River in Texas.

Sue Ellen hat meist einen Knüppel bei sich, damit sich der Vater nicht an sie heranmachen kann. Die Mutter liegt tagtäglich lethargisch unter dem Einfluss eines „Allheilmittels“ im Bett. Terry steht seit der Wiederverheiratung seiner Mutter unter der Fuchtel eines herrschsüchtigen, äußerst konservativen Stiefvaters und Jinx ist eine Schwarze, die deshalb von den meisten anderen eher gemieden wird und Probleme erwartet, wenn sie alle drei zusammen auf die Reise gehen. Insgesamt ist dieses Osttexas eine fast feindliche Gegend, in der Männer ihre Frauen verprügeln und das von beiden Seiten als völlig normal betrachtet wird. Die Gesetzeshüter drücken fortweg beide Augen zu, solange sie regelmäßig ein paar Dollars extra erhalten.

Die drei Freunde bilden den sympathischen Gegenentwurf. Obwohl man mit der Zeit mitbekommt, dass auch sie durchaus anders können. Allen voran hat Sue Ellen, die Erzählerin, einen ganz eigenen Blickwinkel auf diese eigenwillige Welt. Von Beginn an kommentiert sie mit frecher Schnauze die Dinge, die ihr gegen den Strich gehen. Die Oma, die „inzwischen zum Glück tot“ ist, war eine „fiese alte Schachtel“ und Onkel Gene sei zwar fett wie ein Schwein, habe aber „deutlich weniger Charakter“. Die Teenager erkennen ziemlich gewitzt, was sie von ihren Mitmenschen zu halten haben – andere können das wohl auch, ordnen sich aber früher oder später der Einfachheit halber der Haltung der Erwachsenen unter. Schwarze und weiße Kinder spielen irgendwann nicht mehr miteinander und Frauen heiraten zum Schuften und Hausputz machen. Wenn sonst schon keine Ordnung herrscht, werden eben krude gesellschaftliche Übereinkünfte Gesetz.

Lansdale deutet immer wieder an, dass die gesellschaftliche Ordnung oftmals entgegengesetzt zu den wahren Zuständen ist. Sue Ellen registriert sehr wohl, dass sich ihr Vater zwar für etwas besseres hält, das kleine Häuschen von Jinx‘ Familie aber sehr viel gepflegter und heimeliger ist als ihr eigenes und dass auch die Familie selbst einen vernünftigeren Umgang miteinander pflegt.

Der Ausbruch entwickelt sich zu einer irrwitzigen Floßtour, auf der sich die Zeitskala verloren geht. Offensichtliche Verfolger scheint es keine zu geben, aber ihnen ist klar, dass die Beute von May Lynns bankräuberndem Bruder früher oder später die anderen Kaffbewohner anziehen wird wie ein Misthaufen die Fliegen. Die Flucht wird immer unwirklicher und alles was passiert, scheint mehr einer überbordenden Erzähler-Fantasie zu entspringen als irgendwelchen texanischen Gepflogenheiten, aus welcher Zeit und Region auch immer. Trotz aller grotesken Elemente bleibt der Krimi spannend und ist mitreißend geschrieben. Ulkig wird er dann nach der Lektüre. Je länger diese her ist, umso unwirklicher wirkt die auch immer ziellosere Reise auf dem Sabine River.

Bibliografische Angaben

Verlag: Tropen
ISBN: 978-3-608-00606-3
Originaltitel: Edge of dark water
Deutsche Erstveröffentlichung: 2013

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