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Rex Stout – Zu viele Köche

Rex Stout – Zu viele Köche

Nero Wolfe traut sich in den Zug! Der Detektiv, der angeblich so gut wie nie sein Brownstone in New York verlässt, fährt in das entfernte Kanawha Spa. Die Gründe müssen triftig sein. Was Wolfe aus dem Haus treiben könnte, ist gutes Essen und so ist es auch hier. Der Höllenritt mit der Bahn ist denkbar, weil am Ende ein Treffen mit fünfzehn Meisterköchen auf ihn wartet und die ehrenvolle Aufgabe, eine Rede über den amerikanischen Beitrag zur Haute Cuisine halten zu dürfen.

Die muntere Gesellschaft erschüttert bald ein Mord. Denn die Köche untereinander mögen sich zum Teil gar nicht. Alte Geschichten von abgeworbenen Mitarbeitern, erschlichenen Rezepten und Vorwürfe über miserable Kochleistungen kratzen an den Eitelkeiten. So lange, bis einer von ihnen mit dem Tranchiermesser im Rücken gefunden wird. Nero Wolfe hat keine Lust, großartig zu ermitteln, so sehr im die illustre Runde auch in den Ohren liegt. Erst als er merkt, dass seine Rückfahrt gefährdet ist und er Gefahr läuft, wegen der offiziellen polizeilichen Ermittlungen seinem trauten Heim länger fern bleiben zu müssen, macht er sich an die Arbeit. Für ein stattliches Honorar, ein geheimes Rezept nämlich.

Der alltägliche Rassismus im Hotel

Klett-Cotta setzt die Neuübersetzungen von Rex Stout mit einem Titel fort, mit dem der Autor gleich wie beim Vorgänger Es klingelte an der Tür eine klare Positionierung einnahm. Waren es beim ersten Band die Machenschaften des FBI als Staat im Staate, sind es bei „Zu viele Köche“ rassistische Ressentiments. Wolfe lässt dem vorlauten Rotzlöffel Archie Goodwin eine ganze Menge blöder Witze durchgehen, aber als der die schwarzen Angstellten des Spa als „Schwarzdrosseln“ bezeichnet, pfeift ihn der Chef zurück.

Nero Wolfe macht vieles anders als das Gros der damaligen Gesellschaft und da gehört die Polizei namentlich dazu. Die Schwarzen in Kanawha Spa haben wohl etwas beobachtet, halten aber wohlweislich den Mund. Ihre Erfahrung hat ihnen gezeigt, dass man sich in die „Angelegenheiten der Herrenrasse“ nicht einmischt, wie der Kellner Paul Whipple es Nero Wolfe erläutert. Tut man es, bedeutet das jede Menge Ärger. Und mit der Polizei wollen die Leute schon gar keinen. Konsequenterweise erfährt der Sheriff also nicht einmal, sollte ein Angestellter husten.

Die Vereinbarungen der menschlichen Gesellschaft umfassen nicht nur den Schutz davor, getötet zu werden, sondern Tausende anderer Dinge, und es trifft mit Sicherheit zu, dass in Amerika — von anderen Kontinenten ganz zu schweigen — die Weißen die Schwarzen von einigen Vorzügen dieser Vereinbarungen ausgeschlossen haben.

Nero Wolfe lädt sämtliche Angestellten zu sich ein, bewirtet sie und kümmert sich mitten in der Nacht erst einmal um deren Wohlergehen. In einer langen Vorrede ruft er sie zur Mithilfe bei der Aufklärung auf. Wolfe weiß um die Situation der Schwarzen. Ihm ist es infolgedessen wichtig, sie zuerst wissen zu lassen, dass er auf einer echten Zusammenarbeit besteht. Keine Drohungen, keine Gewalt, keine Kündigungen, nichts aus dem typischen Verhörportfolio.

Manuskript in Originallänge neu übersetzt

Die sich entspinnende Diskussion, gerade mit Paul Whipple, verdeutlicht, wie sehr sich zwei Parallelgesellschaften aufgebaut haben. Jede denkt und arbeitet für sich. Doch die beiden Gesprächsparteien beginnen sich zu respektieren. Und Wolfe gelingt in seinem Gespräch auf Augenhöhe, was die Polizei niemals geschafft hätte: Die Angestellten verraten ihm ihre Beobachtungen an jenem verhängnisvollen Abend.

Nero Wolfe fand, die „ideale menschliche Übereinkunft wäre eine, die die Unterschiede in Rasse, Hautfarbe oder Religion vollkommen ignoriert“. Aus heutiger Sicht scheint mir das so selbstverständlich … Stout war der Kritikerin Marcia Kiser übrigens doch nicht modern genug; sie moniert, das Duo Stout/Wolfe habe in der Aufzählung das Geschlecht vergessen.

Tobias Gohlis weist im Nachwort darauf hin, wie bisher mit dem Text umgegangen wurde. Ausgerechnet die ausführliche Ansprache Wolfes an die Angestellten, die sein Wissen und seine Ansichten zu ihrer Situation im Land deutlich machen, wurde offenbar gerne gekürzt. Jedenfalls fehlt sie just in der Ausgabe, die zu Stouts 100. Geburtstag herausgegeben worden war (und das war 1986) und Gohlis als Referenz dient. Da brauche ich mich nicht lange fragen, warum viele Klassiker des Genres so gerne in der Schublade der gemütlichen, höchstens schrulligen Ermittlungsnettigkeiten versinken. Insofern bezieht Klett-Cotta als Verlag meines Erachtens nach nicht nur literarisch Stellung, wenn Stouts Text in Originallänge herausgegeben wird. Sondern, ich unterstelle, auch politisch. Und das finde ich gut.

Bibliografische Angaben

Verlag: Klett-Cotta
ISBN: 978-3-608-10885-9
Originaltitel: Too many cooks
Erstveröffentlichung: 1938
Deutsche Erstveröffentlichung: 1957
Übersetzung: Gunter Blank

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