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Keigo Higashino – Kleine Wunder um Mitternacht

Keigo Higashino – Kleine Wunder um Mitternacht

Keigo Higashino - Kleine Wunder um Mitternacht

In einer kleinen Stadt, rund zwei Stunden von Tokyo entfernt, tauchen drei Kleinkriminelle nach einem Einbruch unter. Bis zur Morgendämmerung, wenn wieder die ersten Züge fahren, verschwinden sie im seit Jahren verlassenen Namiya Gemischtwarenladen, der ihnen beim Ausbaldowern aufgefallen war. Doch Atsuya, Shota und Kohei erleben eine faustdicke Überraschung: Irgendjemand wirft einen Brief durch die heruntergelassenen Jalousien in den Laden, doch zu sehen ist niemand. Dieser Jemand scheint einen Rat zu wünschen und nach einigem Hin und Her entschließen sich die Drei zu einer Antwort. Es wird nicht bei einem Brief bleiben. Die ganze Nacht über haben die Kleinkriminellen zu tun mit Ratschlägen für die unterschiedlichsten Probleme.

Das klingt nicht nach einem „typischen“ Higashino. Ist es wirklich nicht. Keigo Higashino hat eine unglaublich lange Veröffentlichungsliste. Auf Deutsch kennen wir nur einen Bruchteil davon und das sind alles Krimis. Anderes hat Higashino tatsächlich kaum geschrieben. „Kleine Wunder um Mitternacht“ aber erzählt eine völlig andere Geschichte (Leseprobe). Dabei düfte dem gebürtigen Osakaer seine Erfahrung als Krimiautor allerdings sehr geholfen haben, denn die Geschichte balanciert geschickt zwei Zeitebenen und kleine Erzählfäden, die am Ende wieder zusammengeführt werden. Ohne zuvor zu viel zu verraten, natürlich.

Ratschläge vom Namiya Gemischtwarenladen

Dieser Gemischtwarenladen von Namiya hat in der Stadt einen besonderen Ruf erworben. Wer eine Fage hatte, bekam sie beantwortet. Vor allem Kinder stellten zu Beginn ihre Fragen eher aus Jux. „Wie bekomme ich immer eine 1 in der Schule?“ war zum Beispiel eine davon. Doch irgendwann baten Menschen auch bei größeren Problemen um Namiyas Rat. Der Händler gab sich jedes Mal viel Mühe und beantwortete jeden Brief sorgfältig. Wer Rat suchte, warf vorne einen Brief in den Laden und erhielt Antwort im Milchkasten hinter dem Haus. Merkwürdigerweise erhalten in dieser Nacht Atsuya, Shota und Kohei viele dieser Briefe — doch Yoji Namiya, Initiator der brieflichen Hilfe, war vor mehr als dreißig Jahren gestorben.

Einen großen Teil nehmen die Briefe der Ratsuchenden ein. Die drei Einbrecher müssen sich zum ersten Mal richtig Gedanken über alltägliche Probleme machen und der Klappentext verspricht nicht zuviel, wenn da steht: „… eine unglaubliche Geschichte, die eine Nacht lang das Leben unzähliger Menschen verändern wird.“ Mein persönlicher Liebling ist das leere Blatt Papier, das im Laden landet. Nicht eine Zeile steht drauf und doch wird sich Namiya Gedanken machen, wie er dem Einwerfenden antworten kann.

„Kleine Wunder um Mitternacht“ gefiel mir gerade wegen der verschlungenen Verknüpfungen von Zeit und Personen. Eine Überraschung — kein Krimi —, eine wirklich schöne Überraschung. Was hier am Ende alles zusammenhängt, sieht man lange nicht kommen. Dabei wechselt Higashino immer wieder die Perspektiven, geht dreißig Jahre zurück, geht ein paar Jahre zurück, kehrt in den heutigen Gemischtwarenladen zurück. Das ist erzählerisch wunderbar gelöst.

Bonusmaterial

Das Cover rechts zeigt eine japanische Taschenbuchausgabe aus dem Kadogawa Verlag. Es vermittelt einen Eindruck davon, wie man sich einen mehr als 30 Jahre alten Gemischtwarenladen vorstellen kann. Von diesen Läden gibt es noch so einige.

Wie viele andere Geschichten von Keigo Higashino wurde auch „Kleine Wunder um Mitternacht“ verfilmt. Die Seite zum Film zeigt auch einen Trailer. Den findet ihr beim dritten Link in der unteren Menüleiste (sumimasen, aber das lässt sich nicht extra verlinken) oder auf Yotube (dafür mit englischen Untertiteln, danke dafür). Filmlocation und Buchcover gehen hier Hand in Hand.

Auch das im Buch oft auftauchende Lied „Weiterleben“ findet ihr bei Youtube als „Reborn“ (geschrieben von Tatsuro Yamashita). Gesungen wird das Lied von Mugi Kadowaki, die im Film die Rolle der Seri spielt. Es ist keine Hauptrolle, aber definitiv eine wichtige.

Hinweis: Das Buch wurde – anders als die bisher erschienenen Titel — nicht aus dem Japanischen übersetzt, sondern aus dem Englischen. Auf den Ablauf der Geschichte und ihr Potenzial hat das insgesamt vermutlich wenig Auswirkungen. Interessant ist die Frage trotzdem: Inwieweit würde sich der Sound z.B. der Antwortbriefe verändern, wenn die Feinheiten direkt aus dem Japanischen kämen? Welche Anpassungen hat z.B. die erste Übersetzung an die englische Sprache gemacht, die ins Deutsche vielleicht ganz anders aussehen würden?

Bibliografische Angaben

Verlag: Limes
ISBN: 978-3-8090-2710-2
Originaltitel: Namiya zakkaten no kiseki / ナミヤ雑貨店の奇蹟 / The miracles of the Namiya general store
Erstveröffentlichung: 2012, 2014
Deutsche Erstveröffentlichung: 2021
Übersetzung: Astrid Finke (aus dem Englischen)

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