Die Frau im lila Rock sitzt, wenn sie im Park ist, immer auf derselben Bank. Sie lebt alleine, hangelt sich von Job zu Job und das einziges Vergnügen, das sie sich gönnt, scheint das wöchtenliche Vanillecremebrötchen zu sein. Notiz nimmt kaum jemand von ihr, so unauffällig bewegt sich die Frau durch das Viertel. Mit zwei Ausnahmen. Das eine sind die Kinder im Park, die das „Abklatschen“ ihrer Schulter zur Mutprobe auserkoren haben. Und das andere ist die Frau in der gelben Strickjacke. Sie, selbst eine unauffällige Frau, wäre gerne mit der Frau im lila Rock befreundet und möchte ihr beruflich ein bisschen auf die Sprünge helfen. Unauffällig natürlich.
Eines Tages fängt die Frau im lila Rock tatsächlich als Reinigungskraft in demselben Hotel an, in dem auch die Frau mit der gelben Strickjacke arbeitet. Langsam bekommen die beiden Frauen Namen. Die Frau im Rock entpuppt sich als Mayuko Hino – und als tatkräftige Mitarbeiterin noch dazu. Es scheint, als hätte sie unverhofft ihren idealen Platz gefunden, denn sie lernt schnell und arbeitet gründlich. Chief Gondo, der Frau in der Strickjacke, fehlt jetzt nur noch eines: endlich Bekanntschaft mit Hino zu machen.
Die Frau im lila Rock hat sich gerade zur Kamera gedreht, als für einen winzigen Moment am Rand des Bildes etwas stört. Was war das?
„Huch!“
„Das war die Frau in der gelben Strickjacke!“
Ein brüchiges Gleichgewicht
Obwohl die Geschichte von Natsuko Imamura kaum 130 Seiten hat, entwickelt sie sich weitaus facettenreicher, als es die Ausgangsituation vermuten lässt. Über ihre Kleidung baut Imamura zwei Frauen auf, die zueinander zu passen scheinen. Sind doch Violett und Gelb Komplementärfarben und könnte sich darin nicht die Freundschaft spiegeln, die Gondo ersehnt?
Doch die Autorin streut immer mehr Störfaktoren ein. Schon früh wird deutlich, dass Gondo die Frau im lila Rock richtiggehend stalkt und von ihr besessen ist. Dass sich im Hotel keine Bekanntschaft entwickelt, weil beide schnell auf unterschiedlichen Etagen arbeiten, wurmt sie. Sie verfolgt Hino weiterhin, protokolliert deren Freizeit und es sieht so aus, als vernachlässige Gondo sogar ihre Arbeit. Die Stimmung gegen die umgängliche und beliebte Hino kippt, als das Gerücht aufkommt, Hino habe mit einem verheirateten Kollegen eine Affäre.
Ab diesem Punkt kann Hino nichts mehr recht machen. Die gesamte Belegschaft bedient sich zum Beispiel unbekümmert bei Hotelutensilien für den „Eigenbedarf“ und hat Hino frühzeitig in ihre Gepflogenheiten eingeweiht. Doch nun legen ihr Kolleginnen und Kollegen das, was sie selbst tun, als Diebstahl aus. Wer das Gerücht mit der Affäre überhaupt in die Welt gesetzt hat, bleibt offen – Gondo bleibt jedoch die Frau im Hintergrund, die Hinos Schicksal weiter steuern möchte. Mit unbekanntem Ziel, denn bald haben weder Gondo noch Hino das Geschehen im Griff.
Die Bequemlichkeit im Mittelmaß
„Die Frau im lila Rock“ spielt mit verschiedenen Aspekten und schafft das Kunststück, den Roman trotzdem nicht zu überladen. Im Gegenteil. Der Roman überlässt es den Lesenden, die Fäden zu entdecken und bei Bedarf aufzugreifen. Das ist die einsame Frau im lila Rock, die ihren idealen Arbeitsplatz gefunden zu haben scheint. Hier klingt „Die Ladenhüterin“ an, eine Frau, die eine Bresche für unscheinbare Berufe geschlagen hat. Doch dann greifen unbarmherzige Gruppenregeln und eine Frau, die vorbildlich arbeitet und schneller aufsteigt als ihre langjährigen Kollegen, wird zum Störfaktor erkoren.

Da ist die Frau in der gelben Strickjacke, die ihre Einsamkeit nicht gut aushält und mit dem Leben fremder Menschen füllt. Einsamkeit ist ein wiederkehrendes Bild, aber wissentlich ist mir in der japanischen Literatur noch keine „Klette“ dieser Art begegnet. Obendrein eine Frau, die durch ihre Heimlichkeiten die Auswirkungen verschlimmert, die durch ihre Eingriffe entstehen.
Imamura fordert, wie ich finde, am Ende ein weiteres Mal heraus. Die Art, wie sie Hino und Gondo darstellt, wecken nach all dem Geschehen ein gewisses Misstrauen. Wem darf man nun den Charakterisierungen glauben, die von den Angestellten des Hotels und in Gondos „Protokoll“ gezeichnet werden? Sind hier wahre Gesichter offenbar geworden oder folgen die Verbleibenden schlicht dem althergebrachten Muster in einer Firma, alles Schlechte auf die Ehemaligen abzuwälzen?
>> Das Buch erhielt 2019 den Akutagawa-Preis.
Bibliografische Angaben
Verlag: btb
ISBN: 978-3-442-77486-9
Originaltitel: Murasaki no sukaato no onna (むらさきのスカートの女)
Erstveröffentlichung: 2019
Diese Ausgabe: 2025
Übersetzung: Katja Busson
Bestellen bei genialokal.de* / buchhaus.ch* / osiander.de* / medimops.de* / orellfuessli.ch* (*Affiliate-Links)
2 Kommentare
Hallo Bettina, ich habe den Beitrag bei trusted-blogs.com entdeckt: Danke, dass die Leserinnen & Leser deinen Content auch dort finden können. Ich werde den Artikel auch über die Social-Media-Kanäle von trusted blogs weiterempfehlen.
Liebe Grüße,
Eddy
Hallo Eddy, vielen Dank für dieses Feedback! Lieber Gruß, Bettina