Als der Arzt Marco Zuber zu Heinz Schwander gerufen wird, kann er nur noch den Tod des alten Mannes feststellen. Der Totenschein beansprucht wenig Zeit, denn der Mann litt an einem Prostatakarzinom und hatte tatsächlich nur noch wenig Zeit zu leben.
Zweifel an seiner Arbeit kommen Zuber erst, als die Versicherungsagentin Lisa Zürcher bei ihm anruft: Schwander hatte eine Lebensversicherung mit einem Suizidvorbehalt. Ist die Diagnose „natürlicher Todesfall“ sicher? Die Agentin nennt ein paar Beispiele, was bei solchen Diagnosen schon übersehen worden war, darunter gar Stichverletzungen unter den Achseln. Zuber kommt ins Grübeln und setzt sich mit einer Staatsanwältin in Verbindung. Er meldet „unklar“ — weniger weil ihm tatsächlich Merkwürdigkeiten eingefallen wären, mehr aus einem schlechten Gewissen heraus. Den Vorwurf, keine ordentliche Leichenbeschau gemacht zu haben, will er nicht auf sich sitzen lassen.
Die Sache mit dem Natriumpentobarbital
Die Intervention eröffnet natürlich Neuigkeiten! Und plötzlich steht ein Selbstmord doch im Raum. Gefunden wurde ein Mittel, das bei der Sterbebegleitung eingesetzt wird. Das schlechte Gewissen tritt Nachforschungen los, bei der Versicherung, bei der Polizei und freilich auch bei Zuber selbst.
Über den ungeklärten Todesfall baut Zuber nun ein wirklich ernstes Thema ein: Menschen, die auf Grund einer schweren Krankheit freiwillig aus dem Leben scheiden möchten. Dazu öffnet er für den Leser verschiedene Perspektiven, darunter Menschen, die vor Schmerzen nicht mehr können oder solche, die unter den Berner Brücken leben und mit dem Tod praktisch monatlich konfrontiert werden. Bern übrigens schützte nach langen Diskussionen seine Brücken mit Netzen (als das Buch geschrieben wurde, waren die Netze gerade erst montiert worden).
Was geht in einem Menschen vor, der nicht mehr kann? Für den das Leben mit einer schweren Krankheit weder etwas mit würdevollem Leben noch mit würdevollem Sterben zu tun hat? Der Arzt Zuber täuscht eine schwere Krankheit vor, um sich von der fiktiven Sterbehilfe-Organisation Thanatos beraten zu lassen. Natürlich macht Zuber das vorrangig, um dem Verein undercover auf den Zahn zu fühlen. Autor Hänni aber macht das, um ein weiteres, intensiv diskutiertes Thema auf den Tisch zu bringen, nämlich die Sterbehilfe selbst, die, so Thanatos-Leiter Moser, nur einen kleinen Teil der eigentlichen Arbeit ausmache. Moser klärt zum Beispiel darüber auf, dass keine der Organisationen einfach so ein OK gibt, sondern grundsätzlich zuerst Alternativen sucht und anbietet und selber erst einmal gründlich mit dem Patienten zusammenarbeitet. Viele Menschen bräuchten, so schildert es Moser im Buch, einfach eine bessere Art der Betreuung oder Therapie. Er weist darauf hin, dass auch Vereine wie (der fiktive) Thanatos durchaus Nein sagen.
Kurzer Krimi, ernste Kost
Was mich defintiv für diesen Krimi einnimmt ist, dass Peter Hänni auf unauffällige Art Perspektiven bietet und Ansatzpunkte zum Nachdenken. Das geht los bei der Überlegung, wie es eigentlich Mitmenschen geht, denen man ihre psychische Belastung nicht ansieht. Es geht weiter über die Wahrnehmung, wie oft Menschen schlicht eine Lösung zu einer kritischen Situation fehlt, sodass sie den schwersten Weg für den einfachsten halten. Das geht bis zur Erkenntnis, dass manchmal eine vernünftige Schmerztherapie genügen würde, für die aber nicht ausreichend Knowhow verfügbar ist.
Mittlerweile ist die Krimihandlung bei mir zwar immer noch präsent, aber schon lange in den Hintergrund getreten. Im Hinterkopf hängt unter anderem die Erzählung von einer Bekannten, die ihren Vater beim Sterben begleitet hat. Inzwischen frage ich mich, warum unsere Gesellschaft tabusiert statt zu helfen? Warum man erwachsenen, todkranken Menschen plötzlich ihre Fähigkeit zur Selbstbestimmung abspricht? Sind Tabuisierung und Schweigen nicht der Grund dafür, dass wir uns zu Lebzeiten großer persönlicher Probleme nicht richtig annehmen können und im ungünstigsten Fall damit anderen Steine in den Weg legen, wenn die Hilfe brauchen?
Peter Hänni hat mir Stoff zum Nachdenken da gelassen.
Die meisten Menschen, die einen Suizidversuch unternehmen, wollen nicht sterben, sondern können so wie bisher nicht mehr weiterleben. Hilfe ist also möglich und erwünscht!
Quelle: Bitte lebe
Braucht ihr Hilfe? Für euch selbst oder jemanden, der euch wichtig ist? Ihr findet Ansprechpartner bei diesen kostenlosen Notrufnummern, die rund um die Uhr besetzt sind:
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📞 143 / Erwachsene
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Website: Reden kann retten / Hilfe für Menschen in der Krise / Menschen, die um andere besorgt sind und Tipps benötigen
Website: Feel OK / speziell für Jugendliche
Deutschland
📞 0800/111 0 111
📞 0800/111 0 222
Website: Telefonseelsorge / bietet auch Chats, Mailkontakt und persönliche Gespräche
Österreich
📞 142
Website: Telefonseelsorge / ebenfalls Chat und Mailkontakt möglich
Website: Bitte lebe / speziell für Jugendliche
Bibliografische Angaben
Verlag: Cosmos
ISBN: 978-3-305-00431-7
Erstveröffentlichung: 2011
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