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Ross Macdonald – Der blaue Hammer

Ross Macdonald – Der blaue Hammer

Ross Macdonald - Der blaue Hammer

Als dem kalifornischen Kupfermagnaten Jack Biemeyer und seiner Frau ein Gemälde gestohlen wird, wenden sie sich an niemand Geringeren als Lew Archer. Ein Bravourstück des Privatdetektivs: Lew Archer geht über dreißig Jahre in die Vergangenheit zurück, um seinen schwierigsten Fall zu lösen.

Rezension

Lew Archers neue Auftraggeber, Ruth und Jack Biemeyer, residieren oberhalb von Santa Teresa und leben von dem Geld, das ihre Kupfermine in Arizona abwirft. Aus ihrem Haus wurde ein Gemälde von Richard Chantry gestohlen, das Archer nun wieder auftreiben soll. Nach nur kurzer Recherche merkt er, dass der Fall nicht ganz so einfach ist wie es aussieht. Die Probleme fangen damit an, dass Chantry 1950 von der Bildfläche verschwand und somit als Urheber eigentlich nicht in Frage kommen kann. Warum aber sollte man eine Fälschung suchen lassen? Archer beginnt gewissenhaft seine Nachforschungen. Etwas, das Biemeyer sauer aufstößt, denn Archer entdeckt in Santa Teresa zahlreiche Verknüpfungen zu Chantry und den Menschen, mit denen er zu tun hat. Biemeyers Tochter Doris ist mit dem jungen Kunststudenten Fred Johnson befreundet, der sich sehr für Chantry interessiert und das gute Stück offenbar auf seine Echtheit prüfen wollte. Chantrys Exfrau Francine lebt quasi gegenüber und versucht, das Andenken ihres Mannes am Leben zu erhalten. Langsam sickert durch, dass sich unter anderem der Kunsthändler Paul Grimes, Francine, Biemeyer und auch die portraitierte Frau früher alle kannten und befreundet waren.

Lew Archer findet, wie bei all seinen Fällen, ein eng verknüpftes Netz von Bekanntschaften. Das wäre weiter vielleicht nichts Besonderes, denn die Welt ist manchmal überraschend klein. Nachdenklich stimmt aber, dass damit ein bisschen hinter dem Berg gehalten wird. Nicht jeder mag darüber reden und das macht Archer stutzig. Biemeyer würde dem Detektiv gar am liebsten vorschreiben, mit wem er sich auf der Suche nach dem verschwundenen Bild unterhalten darf und mit wem nicht. Ein Lew Archer aber fängt dann erst richtig an zu suchen. Das Verschwinden des Malers ist für ihn ebenso wichtig wie der alte Wohnort der Biemeyers in Arizona. Dort erzählt man ihm die Geschichte von einem Bruderpaar unter Spannung, einem Mord, gelenkten Polizeiermittlungen und einer Kupfergesellschaft, die die Stadt bis heute dirigiert.

Am Ende führen doch alle Spuren wieder nach Santa Teresa in Kalifornien. Während Biemeyer (in Geld schwimmend, aber unglaublich geizig) die Dienstreise für absolute Zeit- und Geldverschwendung hält, hilft sie Archer tatsächlich, den Bilderdiebstahl aufzuklären.

Wie es für Ross Macdonald typisch ist, so liegen auch die Wurzeln der aktuellen Ereignisse in der Vergangenheit verwurzelt und einmal mehr zeigt Macdonald, wie langfristig eine Entscheidung Konsequenzen nach sich ziehen kann. Lew Archer macht als Quelle allen Übels jenes Bruderpaar aus. Nach einem schwerwiegenden Streit sorgte eine einzige Fehlentscheidung maßgeblich für einen Rattenschwanz an weiteren – wer daran nicht untergehen wollte, musste mitziehen. Mehr als dreißig Jahre lang galt es, den Mund zu halten. Das alles über mehr als dreißig Jahre zu tun, macht aber auch mürbe.

Lew Archer selbst tritt in „Der blaue Hammer“ zum letzten Mal auf. Für ihn öffnet sich in Santa Teresa eine neue Perspektive. Jahre nach der Scheidung von seiner Frau verliebt er sich wieder. Die junge Journalistin Betty Jo Siddon, die in Santa Teresa bei der Lokalzeitung arbeitet, gefällt ihm nur allzu gut. In der Regel begegnet er Menschen, Männern wie Frauen, die entweder mit seinen Aufträgen zu tun haben und denen er infolgedessen vorsichtig begegenet und in denen er lesen muss. Oder er begegnet schlicht Nebenfiguren, die ihm Auskünfte erteilen – so, wie hier der Polizeichef in Arizona. Siddon steht ganz anders da, aktiv und neugierig. Sie ist eine Außenstehende, was den Fall betrifft, arbeitet aber unabhängig daran mit – auf der Suche nach einer guten Story, die sie von den langweiligen Gesellschaftsseiten befreit. Sie beweist Nerven und Spürsinn ebenso wie Persönlichkeit und Selbstbewusstsein. Ob das Paar eine Zukunft hat? Archer lässt das Ende offen. Aber vielleicht verrät das der Titel des Buchs, der dieses Mal nichts mit dem Fall, aber viel mehr mit Siddon zu tun hat.

Der Fall ist recht komplex und ich finde, man muss ein bisschen achtgeben, um Vorfälle, die Zeitschiene und die Personen im Blick zu behalten. Dafür erzählt Macdonald wieder wunderbar schlicht und gezielt von seinen Protagonisten:


„Zwei Polizisten stiegen aus und nahmen Fred in Gewahrsam. Familie Biemeyer trat gerade rechtzeitig aus dem Gebäude, um mit anzusehen, wie er abtransportiert wurde. Als Biemeyer dann seine Tochter am Ellbogen packte und sie auf den Beifahrersitz seines Mercedes bugsierte, wirkte es wie eine Parodie auf Freds Verhaftung.“

Es sind vier oder fünf Zeilen, die in Erinnerung rufen, wie ein Jack Biemeyer sein Leben und seine Familie handhabt. In einem Nachwort schreibt Donna Leon über die Fähigkeit von Macdonald, Figuren und Szenen mit wenigen Worten skizzenhaft, aber treffend, zum Leben zu erwecken. Ich kann ihr nur beipflichten; die elegante Art, seine Romane ohne viel Federlesens zu erzählen, macht seine Figuren so lebendig.

Bibliografische Angaben

Verlag: Diogenes
ISBN: 978-3-25724-088-7
Originaltitel: The blue hammer
Erstveröffentlichung: 1976
Deutsche Erstveröffentlichung: 1978
Übersetzung: Karsten Singelmann

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