Während ihrer Arbeit an GRM interviewte Sibylle Berg verschiedene Expert:innen weltweit. Sie wollte nicht nur aktuelle gesellschaftliche und politische Strömungen in ihrem Buch als dystopische Variation fortspinnen. Sie wollte gleichzeitig wissen, wie die Forscher:innen die jetzige Situation beurteilen. Und währen sie in GRM die Gesellschaft noch implodieren ließ, dominieren in Nerds retten die Welt Analysen und Lösungsvorschläge von „denen, die es wissen“, also denen mit der entsprechenden Expertise auf den unterschiedlichsten Gebieten. Sybille Berg hat ihre Nerds sehr weit gefasst: Die Themen reichen von den internationalen Angelegenheiten und Meeresökologie über Gesundheitswissenschaften und Neurobiologie bis hin zu Astrophysik und Gewaltforschung.
Ursprünglich erschienen achtzehn solcher Interviews in der gleichnamigen Serie Nerds retten die Welt im Schweizer Online-Magazin Republik. Sechzehn davon finden sich im Buch.
Die Lust an der Dystopie
Sibylle Berg hat einen gewissen Hang zur Apokalypse, scheint mir. Einstiegsfrage fast immer ist:
Haben Sie sich heute schon um den Zustand der Welt gesorgt?
Berg scheint mir mit größerer Begeisterung dabei zu sein, wenn ihre Interviewpartner:innen Sorgen teilen als wenn sie Optimismus ausstrahlen.
Ein Nerd hatte hier einst verneint, was mich sehr verstört hat.
Gleichwohl will sie Lösungsvorschläge hören: Wenn man die aktuelle Lage gut analysiert hat, wie könnte man sich Auswege dann aus der aktuellen Lage denken? Gerne lässt sie die Treffen mit einem optimistischen Ausblick enden oder mindestens einem Versuch dazu.
Die Gespräche sind jeweils eine gute Mischung aus einem kleinen Überblick über die verschiedenen bisherigen und jetzigen Arbeitsfelder sowie konkreten Analysen. Und Berg wäre nicht Berg, wenn sie zwischendurch nicht ein wenig ihren Pessimismus spazieren führen oder eigene Bonmots einstreuen würde. Doch das ist es eben, es sind „Gespräche“, die (so stelle ich mir das jedenfalls vor) ürsprünglich wahrscheinlich weitaus weniger als regelrechtes Interview geführt wurden als sich das in der jetzigen Form liest.
Internationale Expertenrunde
Die Auswahl der Gesprächspartner:innen ist nicht nur vielseitig, sondern auch international. Sie geht wahrscheinlich auf Bergs Rechercheschwerpunkte für ihre Arbeit an GRM zurück und dürfte subjektiv gefallen sein. Das begrüße ich sehr, denn auf diese Weise komme ich in Kontakt mit Arbeitsfeldern, zu denen ich vermutlich nie ein eigenständiges Sachbuch in die Hand nehmen würde. Andererseits treffe ich auf einen Astrophysiker, der ernsthaft damit rechnet, noch während seiner Lebenszeit Kontakt mit Außerirdischen aufnehmen zu können. Naja.
Da die Themenbereiche so weit gefasst sind, empfehle ich wirklich, das Buch in Etappen zu lesen. Im Prinzip könnte ich gerade noch einmal loslegen, so viele Informationen stecken darin — in einem einzigen Durchgang, egal, wie lang er ist, kaum zu erfassen. Umso besser finde ich, dass viele Stichpunkte und Hinweise im Buch mit QR-Codes versehen sind. Auf diese Weise lässt sich zwischen Wikipedia und konkreten Projektseiten oder Universitätsadressen sehr vieles nachschlagen.
Nerds retten die Welt besticht also nicht nur als Sachbuch bzw. Gesprächsband, sondern -wenn man so will- auch als Buch gewordenes Recherchematerial von Sibylle Berg und lässt uns spicken, in welche Themen sie während ihrer Arbeit an GRM eintauchte.
Die Gespräche
Lorenz Adlung – Jens Foell – Odile Fillod – Hedwig Richter – Lynn Hersham Leeson – Dirk Helbing – Jutta Weber – Iddo Magen – Valerie M. Hudson – Avi Loeb – Carl Safina – Robert Riener – Wilhelm Heitmeyer – Emilia Zenzile Roig – Rolf Pohl – Eliszabeth Anne Montgomery
Die „fehlenden“ Interviews bei Republik
Gespräch mit Jürgen Schmidhuber (Folge 1)
Gespräch mit Matthias Schuler und Anja Thierfelder (Folge 6)
Bibliografische Angaben
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
ISBN: 978-3-462-05460-6
Erstveröffentlichung: 2020
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