Hans Stichler folgt dem Ruf von Tante Alex: Er kommt zu ihr nach Cambridge ans College. Alex ist dort Dozentin und will, dass Hans sich im elitären Pitt Club einnistet. Dafür verschafft sie dem jungen Mann aus einfachen Verhältnissen ein Stipendium. Sie vermutet ein Verbrechen, will ihrem Neffen aber mit keinem Ton sagen, worum es sich dreht. Auch Studentin Charlotte, die ihn unter ihre Fittiche nimmt und die für die Aufnahme im Pitt Club sorgen wird, verrät nichts. Hans ist auf sich allein gestellt.
Takis Würger lässt sein kleines, sorgfältig ausgewähltes Ensemble selbst erzählen: Die Kapitel stammen (meist) abwechselnd aus unterschiedlichen Perspektiven, sodass die emotionale Begleitung bestens ausgereizt wird. Jeder Protagonist erfüllt sehr zielgenau einen ganz bestimmten Zweck.
Auf Grund des kleinen Personenkreises steht die Story allerdings schon früh fest. Wer wach liest, weiß bereits bei den ersten Auftritten von Billy, Charlotte, Angus oder Josh, was es mit ihnen auf sich hat, lange, bevor konkretere Hinweise oder Bestätigungen folgen.
… da möchte man nicht Mitglied sein
Die Welt der britischen Upperclass-Clubs ist bei Takis Würger so, wie man sich das nach diversen Upperclass-Reportagen vorstellt. Der Club als künstliches gesellschaftliches Distinktionsmerksmal. Als Quell der Freundschaft, den sich der eine oder andere erhofft, funktioniert der Club nicht. Die Jungs feiern, saufen und studieren zusammen. Sie wissen aber nicht, ob sie unter ihnen einen Vertrauten benennen können, der in einem Notfall benachrichtigt werden könnte. Alex bringt auf den Punkt: Clubs zielen einzig auf berufliche Beziehungen und ein Jobnetzwerk ab und vielleicht auf eine passende Frau, „die alles mit sich machen lässt“. Sprich, eine, die sich in der Oberschicht bewegen kann ohne Ansprüche an das Zusammenleben mit dem Ehemanns zu stellen. Mit Respekt und anderen Tugenden haben Clubs nichts zu tun (man schaue auf Peter Wong, der in einer starken Szene alles entlarvt).
„Der Club“ wurde im letzten Jahr schwer gehypt. Aber warum? Geht es wirklich um eine „berührende Liebesgeschichte“, einen „Entwicklungsroman“? Geht es wirklich um „das Wesen von Kampf und Auseinandersetzung“, nur weil man im Pitt Club boxt? Im Nachhinein sind das völlig falsche Aufhänger für mich.
In Cambridge habe ich gelernt, wie viel Großes der Mensch leisten kann. Er kann die Grundlagen der formalen Logik entwickeln, die Geschwindigkeit des Lichts errechnen und ein Medikament gegen Malaria finden. Aber in Cambridge habe ich auch gelernt, was der Mensch in seinem Kern ist: ein Raubtier.
Zauberzarte Geschichte? Weit davon entfernt!
Was ich am Ende tatsächlich sehe, ist ein Buch über Verantwortung, Respekt, Schuld und Reue. Es geht um sexuellen Missbrauch und Vergewaltigung. Takis Würger schreibt über die Männer, die das als Kavaliersdelikt sehen und als netten Zeitvertreib, der ihnen zustünde. Es geht um Männer, die damit am laufenden Band davon kommen. Und um die Frauen, die am Geschehenen verzweifeln und fast zugrunde gehen. Es geht darum, was Missbrauch alles kaputt macht. Anders als in Krimis mit vergleichbarem Hintergrund kommt hier nämlich kein Kommissar, keine Presse, die kräftig aufräumt und Gerechtigkeit schafft. Da möchte ich ausflippen, wenn ich Beurteilungen lese wie „eine zauberzarte Geschichte“ und „ein Buch, das man zum Freund will.“
Hans fällt für mich in dieser Story aus dem Rahmen. Er lebt sehr schwach die Konsequenzen aus seiner eigenen Geschichte. Im Vergleich zu den anderen wirkt Hans wie eine ferne Märchengestalt. Umso prägnanter werden jene, um die es wirklich geht, sie sind mit ihren Ängsten und persönlichen Monstern sehr real.
Bei sexuellem Missbrauch lügen sich Menschen unglaublich in die Tasche. Aktuelles Beispiel: Im Dezember beklagte eine Schweizer Politikerin über übergriffiges Verhalten im Parlament, woraufhin eine zweite Politikerin ihr vorwarf, sie sei nun mal eine „Partynudel“ und dürfe sie sich als solche darüber nicht beklagen. Die Gesellschaft entschuldigt also übergriffiges Verhalten bereits auf kleinster Ebene weiterhin, indem sie die Verantwortung schlicht den Falschen zuschiebt. Wer als Frau halbwegs durchkommt, kommentiert dann gerne dummdreist und arrogant und vergisst, dass sich die Kreise schließen.
Takis Würger schließt so einen Kreis auf sehr drastische Art am Ende: Einer wenigstens wird am Ende mit brutaler Wucht begreifen, welche Konsequenzen die Verantwortungslosigkeit des Clubtreibens hat. Im Gegensatz zu den Frauen, die sich ihrem Schicksal stellen müssen, traut er sich das Tragen dieser Last nicht zu. Umso trauriger.
Bibliografische Angaben
Verlag: Kein & Aber
ISBN: 978-3-0369-5753-1
Erstveröffentlichung: 2017
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