Anfang der 1990er Jahre kommt ein argentinischer Mathematik-Student als Stipendiat nach Oxford. Er mietet sich auf Empfehlung seiner Tutorin bei einer älteren Dame und deren Enkelin ein. Als er ihr seine erste Miete zahlen will, findet er sie tot vor und ziemlich offensichtlich wurde sie erstickt. Kurz darauf findet der Professor Arthur Seldom eine rätselhafte Nachricht und sie spricht dafür, dass der Tod der alten Dame der Beginn einer Mordserie sein könnte. Es kommt, wie es kommen muss: Als ein zweiter Toter auftaucht, erhält Seldom ebenfalls eine Nachricht und wieder ist ein seltsames Zeichen zu sehen.
Aber selbst ein Professor für Logik kommt mit zwei Zeichen alleine nicht weiter. Denn weder Seldom noch die Polizei können die Zeichen mit den jeweiligen Toten in Verbindung bringen. Und außerdem glaubt Seldom nicht daran, dass der Mörder sich tatsächlich einen intellektuellen Schlagabtausch mit ihm liefern will. Seiner Meinung nach kommen „aus geistigem Profilierdrang begangene Verbrechen“ in der Wirklichkeit nicht vor:
… vertrete ich die These, dass, lässt man Filme und Kriminalromane einmal beiseite, die den — zumindest historisch belegten — Serienmorden zugrunde liegende Logik im Allgemeinen sehr rudimentär ist und meist mit der Psychopathologie in Verbindung gebracht werden kann. Die Muster sind äußerst plump, kennzeichnen sich durch Monotonie und Wiederholung … Das heißt, es handelt sich eher um Fälle für eine psychiatrische Analyse als um wirklich logische Rätsel.
Ein Krimi über den Krimi
Guillermo Martínez benutzt seinen Krimi, um über Krimis zu sinnieren. Ein Schachzug, der mir zusagt. Praktisch passt kein anderes Setting so gut wie das urbritische Oxford, wo unter anderem Dorothy L. Sayers geboren wurde und der eine oder andere Krimiklassiker spielt. Da Martínez selbst promovierter Mathematiker ist, wirkt Arthur Seldom wie ein Alter Ego, das den Überlegungen des Autors eine Gestalt verleiht.
Ob es stimmt, ist freilich ungewiss, aber wer viele Krimis liest, wird sich vielleicht schon einmal über die stets brillante Logik der literarischen Verbrechensaufklärung gewundert haben. Der Franzose Pierre Bayard analysierte aus diesem Grund Agatha Christies Alibi und Arthur Conan Doyles Der Hund von Baskerville und wies in beiden Fällen grobe Ermittlungsfehler nach. Anthony Berkeley wiederum ließ seine Detektive in Der Fall mit den Pralinen nach Kräften auflaufen, indem er jede Figur eine andere Lösung herausfinden ließ.
Es gibt einen Unterschied zwischen der Wahrheit und dem Teil der Wahrheit, der sich beweisen lässt; das ist in Wirklichkeit ein Folgesatz von Tarski zu Gödels Theorem. Natürlich wussten Richter, Gerichtsmediziner oder Archäologen das lange vor den Mathematikern.
Mathematik als Lösungsansatz für Verbrechen
Der Autor benutzt immer wieder die Mathematik, um die Schwierigkeiten beim rein logischen Aufklären von kriminalistischen Problemen aufzuzeigen. Eines der Beispiele ist die Zeichenfolge, die bei den Toten gefunden wird. Seldom weist mehrfach darauf hin, dass sich aus nur zwei Zeichen keine logische Reihe ableiten lässt. Selbst aus drei Zeichen könne man in vielen Fällen mehr als nur eine logische Lösung gewinnen.
Für mich überwiegt in diesem Krimi das Sinnieren über Wahrheit und Logik. Was das Buch nicht weniger interessant macht. Die Ausflüge zu einigen Theorien funktionieren nicht nur als Werkzeuge, um die Morde nachzuverfolgen, sondern eben auch als Werkzeuge, um die Sicht eines Mathematikers auf das Genre zu zeigen. Bis zum Schluss hält sich Martínez an seine eigenen Theorien zu perfekten Verbrechen und schließt die sich anhäufenden Fälle gekonnt und raffiniert ab.
„Die Oxford-Morde“ erschienen 2006 schon einmal bei Eichborn unter dem Namen „Die Pythagoras-Morde“. Also bitte erst einmal im Regal schauen, bevor es ein Doppelkauf wird. Und hier der Trailer zur Verfilmung von 2008.
Bibliografische Daten
Verlag: Eichborn
ISBN: 978-3-8479-0047-4
Originaltitel: Crímenes imperceptibles
Erstveröffentlichung: 2003
Deutsche Erstveröffentlichung: 2006
Übersetzung: Angelica Ammar
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