Oktober 1968: Constable Sergeant Cathal Breen hat auf der Wache einen schweren Stand. Er ist Ire und als wäre das schon nicht schlimm genug, hat er gerade erst den Kopf verloren, als ein Kollege von einem Einbrecher mit dem Messer bedroht wurde. Die Stimmung im Revier ist auf dem Tiefpunkt. Von der Sekretärin Marilyn bis hin zum dienstältesten Beamten Prosser wird gegiftet und gestichelt. Besonders erpicht ist keiner der Kollegen darauf, sich unter Breens Führung um eine weibliche Leiche bei den Cora Mansions zu kümmern. Widerwillig machen sich die Beamten daran, das Mädchen zu identifizieren, die ohnehin viele für eine Prostituierte halten. Breen lässt an jeder Wohnung klingeln, den Müll durchsuchen und dreht mit seinen Fragen sogar eine zweite Runde. Selbst in den EMI-Studios direkt um die Ecke, in denen die Beatles ihre Songs aufnehmen, werden Fragen gestellt, aber zunächst findet sich keiner der weiß, wer die Tote ist.
Während London sowieso gerade Kopf steht und die Jugend dem konservativen Stil den Kampf ansagt, steht auch in der Polizei eine Neuerung an. Die CID, in der Breen arbeitet, bekommt mit Helen Tozer einen Trainee Detective Constable zugeteilt, die bei dem Mordfall unterstützen soll. Für die Männer in der Abteilung eine Katastrophe. Frauen dürfen noch nicht einmal Polizeiwagen fahren, bekamen bisher nur Jobs in der Verwaltung zugeteilt und haben — da sind sich die Kollegen einig — in der Mordermittlung nichts zu suchen. Auch Breen passt diese Konstallation nicht in den Kram, aber er muss Tozer als Partnerin akzeptieren. Sie nervt ihn, manchmal durch ihre Anwesenheit, manchmal durch ihre Fragen und ihre Spekulationen. Letztlich aber erweist sich Tozer als sehr hilfreich, denn die Tote war offenbar Beatles-Fan und dank Tozer bekommt Breen Zugang zu der eingeschworenen Gemeinschaft, die ihre Freizeit vor den Studios und den Privathäusern ihrer Idole verbringt.
Ermitteln in einer Zeit des Umbruchs
Mit „Abbey Road Murder Song“ startet William Shaw eine Trilogie mit den Außenseitern Breen und Tozer im Mittelpunkt. Breen, der Ire, und Tozer, die Frau, in einer Zeit, als Rassismus und Frauenfeindlichkeit Alltag waren. Zugleich hat in der vermeintlich so konservativ sauberen Gesellschaft ein integrer Polizist wie Breen massive Probleme mit den Kollegen. Einige Kollegen verschaffen sich illegal Vorteile, nutzen ihre Machtposition aus und arbeiten mit Erpressungen. Einer der Protagonisten im CID hat ein reales Vorbild, das im Anhang kurz vorgestellt wird: ein Ermittler, der 1973 wegen Rechtsbeugung verurteilt wurde. Der von den Kollegen geforderte „Korpsgeist“ heißt nichts anderes, als dass man die Klappe hält und Vergehen tot schweigt.
Helen Tozer könnte frischen Wind in die Abteilung bringen, wenn man sie ließe. Aber selbst die Sekretärin hackt lieber auf ihr herum. Tozer geht, aus heutiger Sicht, recht unbedarft an so manches heran, vermutlich, weil die Ausbildung noch ganz anders aussah. Aber sie zeigt Courage und Cleverness. Als zum Beispiel ein Kleid gefunden wird, argwöhnt sie zu Recht, dass es für die Tote viel zu groß gewesen sei. Auf die Idee, diesen Zusammenhang in Betracht zu ziehen, kommen die männlichen Kollegen allesamt nicht. Dass sie keinen Polizeiwagen fahren darf, ist ohnehin ein Witz für eine Frau vom Land, die seit dem achten Lebensjahr Traktor fahren kann. Kaffee kochen und Kekse bringen … mehr traut man ihr nicht zu.
Das Setting verspricht eine spannende Trilogie, die sich stark aus dem ungewöhnlichen Team Breen / Tozer speist. Dabei wirkt dieser Aspekt noch nicht einmal speziell platziert, sondern steht perfekt für diese Zeit und den Umbruch, der sich in den späten Sechzigern anbahnt. Das Ungewöhnliche an diesem Duo ist die absolute Normalität, die diese beiden ausstrahlen, reingeworfen in eine Umgebung, die deren Integrität nicht zu schätzen weiß.
Die Gesellschaft wird in den Sechzigern rebellischer, was auf längere Sicht unter anderem das Ende der selbstherrlichen Touren der Polizisten bedeuten wird und die Selbstverständlichkeit auf die Probe stellt, mit der ein Polizist tun und lassen konnte, was er wollte.
Das Ende der weitreichenden Korruption
William Shaw weist auf seiner Website darauf hin, dass Korruption in Polizeikreisen verbreitet war und dass ab 1969 zahlreiche Polizisten im Gefängnis landeten und weitaus mehr ihren Dienst quittieren mussten. Breens Kollege ist da nur ein gezielt integriertes Beispiel unter vielen. Nicht zuletzt werden die Frauen selbstbewusster und suchen ihre Chancen. Helen Tozer ist eine der ersten bei der CID und es ist Shaw hoch anzurechnen, dass er aus ihr keine Überfliegerin macht, sondern eine junge Frau, die mit eigenem Willen ihren Weg sucht. Wahrscheinlich wie andere vor ihr, bevor die Gesellschaft sie in willkürliche Grenzen zurück gewiesen hatte. 1968, das ist das Geburtsjahr vieler Leser oder Lebensrealität vieler Eltern, die heute zu diesem Titel greifen. Und so weit weg, wie es scheint, sind die Probleme nicht.
Tozer und Breen arbeiten zuletzt immer enger zusammen; was bleibt ihnen auch anderes übrig, wenn ihnen der Respekt der anderen fehlt. Umso hartnäckiger gehen sie ihren Rätseln nach und decken schlussendlich ein komplexeres Gefüge auf, als sie es je vermutet hatten. Die Außenseiterposition zwingt sie praktisch zu guter Arbeit, um den letzten Rest an Akzeptanz nicht zu verlieren, eröffnet ihnen im Gegenzug aber auch die Flexibilität, ihre Spuren und Theorien abseits der ausgetretenen Pfade zu kombinieren und zu verfolgen. Shaw bietet parallel sowohl einen interessanten und spannenden Krimi sowie ein gutes Gesellschaftsportrait, und das aus einer Epoche, die mir im Genre noch nicht oft untergekommen ist. Summa summarum eine hervorragende Mischung und dass Shaw sie bewusst als Trilogie ausgelegt hat, macht sehr neugierig auf das Gesamtkonzept, dass diese Ankündigung verspricht.
Bibliografische Angaben
Verlag: Suhrkamp
ISBN: 978-3-51873-473-5
Originaltitel: A song from dead lips
Erstveröffentlichung: 2013
Deutsche Erstveröffentlichung: 2013
Übersetzung: Conny Lösch
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