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William Shaw – Abbey Road Murder Song

William Shaw – Abbey Road Murder Song

William Shaw - Abbey Road Murder Song

Swinging London – die Stadt ist ein einziges Beatles-Album: bunt, laut und fröhlich. Miniröcke beherrschen die Bürgersteige, Mini Cooper die Straßen. Die ganze Welt scheint nur noch aus Musik und Mode zu bestehen. Doch der Spaß ist nicht endlos: Unweit des Abbey Road Studios wird die Leiche einer jungen Frau gefunden. Auf der Suche nach ihrem Mörder lernen Detective Breen und seine Kollegin Tozer Londons düstere Kehrseite kennen.

Oktober 1968: Die Jungen, Wilden und Schönen haben die Macht ergriffen. Sie haben ihre eigenen Fernsehprogramme und Radiosender, ihre Boutiquen und eine eigene Sprache. Die Röcke werden kürzer, die Hosen enger. Im Abbey Road Studio entstehen die wahrscheinlich wichtigsten Alben aller Zeiten. Und vor dem Studio warten Hunderte junge Frauen darauf, dass SIE erscheinen: die Beatles. Doch nur eine Straßenecke weiter zeigt sich ein anderes London. Die anonyme Leiche einer jungen Frau wird entdeckt. Der einzige Anhaltspunkt, den Detective Cathal Breen und seine Kollegin Helen Tozer haben: Sie muss ein Beatles-Fan gewesen sein. Ihre Ermittlungen führen die beiden vom Fan-Club der Fab Four zu einer Gerichtsverhandlung gegen John Lennon und zu George Harrisons Haus. Aber der wahre Grund, wieso das Mädchen sterben musste, ist viel tragischer, als sie es sich hätten träumen lassen.

Rezension

Constable Sergeant Cathal Breen hat auf der Wache einen schweren Stand. Er ist Ire und als wäre das schon nicht schlimm genug, hat er gerade erst den Kopf verloren, als ein Kollege von einem Einbrecher mit dem Messer bedroht wurde. Die Stimmung im Revier ist auf dem Tiefpunkt und von der Sekretärin Marilyn bis hin zum dienstältesten Beamten Prosser wird gegiftet und gestichelt. Besonders erpicht ist keiner der Kollegen darauf, sich unter Breens Führung um eine weibliche Leiche bei den Cora Mansions zu kümmern. Widerwillig machen sich die Beamten daran, das Mädchen zu identifizieren, die ohnehin viele für eine Prostituierte halten. Breen lässt an jeder Wohnung klingeln, den Müll durchsuchen und dreht mit seinen Fragen sogar eine zweite Runde. Selbst in den EMI-Studios direkt um die Ecke, in denen die Beatles ihre Songs aufnehmen, werden Fragen gestellt, aber zunächst findet sich keiner der weiß, wer die Tote ist.

Während London sowieso gerade Kopf steht und die Jugend dem konservativen Stil den Kampf ansagt, steht auch in der Polizei eine Neuerung an. Die CID, in der Breen arbeitet, bekommt mit Helen Tozer einen Trainee Detective Constable zugeteilt, die bei dem Mordfall unterstützen soll. Für die Männer in der Abteilung eine Katastrophe. Frauen dürfen noch nicht einmal Polizeiwagen fahren, bekamen bisher nur Jobs in der Verwaltung zugeteilt und haben — da sind sich die Kollegen ausnahmsweise einig — in der Mordermittlung nichts zu suchen. Auch Breen passt diese Konstallation nicht in den Kram, aber er muss Tozer als Partnerin akzeptieren. Sie nervt ihn, manchmal durch ihre Anwesenheit, manchmal durch ihre Fragen und ihre Spekulationen. Letztlich aber erweist sich Tozer als sehr hilfreich, denn die Tote war offenbar Beatles-Fan und dank Tozer bekommt Breen Zugang zu der eingeschworenen Gemeinschaft, die ihre Freizeit vor den Studios und den Privathäusern ihrer Idole verbringt.

Mit „Abbey Road Murder Song“ startet William Shaw eine Trilogie mit den Außenseitern Breen und Tozer im Mittelpunkt. Breen, der Ire, Tozer, die Frau, in einer Zeit, als Rassismus und Frauenfeindlichkeit Alltag waren und in einer augenscheinlich so konservativ sauberen Gesellschaft in Wirklichkeit ein integrer Polizist wie Breen massive Probleme mit den Kollegen hatte. Einige Kollegen verschaffen sich illegal Vorteile, nutzen ihre Machtposition aus und arbeiten mit Erpressungen. Einer der Protagonisten im CID hat ein reales Vorbild, das im Anhang kurz vorgestellt wird, ein Ermittler, der 1973 wegen Rechtsbeugung verurteilt wurde. Der von den Kollegen geforderte „Korpsgeist“ heißt nichts anderes, als dass man als Kollege die Klappe hält und solche internen Vergehen tot schweigt.

Helen Tozer könnte frischen Wind in die Abteilung bringen, wenn man sie ließe. Aber selbst die Sekretärin hackt lieber auf ihr herum. Tozer geht, aus heutiger Sicht, recht unbedarft an so manches heran, vermutlich, weil die Ausbildung noch ganz anders aussah. Aber sie zeigt Courage und Cleverness. Als zum Beispiel ein Kleid gefunden wird, argwöhnt sie zu Recht, dass es für die Tote viel zu groß gewesen sei. Auf die Idee, diesen Zusammenhang in Betracht zu ziehen, kommen die männlichen Kollegen allesamt nicht. Dass sie keinen Polizeiwagen fahren darf, ist ohnehin ein Witz für eine Frau vom Land, die seit dem achten Lebensjahr Traktor fahren kann. Kaffee kochen und Kekse bringen … mehr traut man ihr nicht zu.

Das Setting verspricht eine spannende Trilogie, die sich stark aus dem ungewöhnlichen Team Breen / Tozer speist. Dabei wirkt dieser Aspekt noch nicht einmal speziell platziert, sondern steht perfekt für diese Zeit und den Umbruch, der sich in den späten Sechzigern anbahnt. Das Ungewöhnliche an diesem Duo ist die absolute Normalität, die diese beiden ausstrahlen, reingeworfen in eine Umgebung, die deren Integrität gar nicht so sehr zu schätzen weiß. Die Gesellschaft wird in den Sechzigern rebellischer, was auf längere Sicht unter anderem das Ende der selbstherrlichen Touren der Polizisten bedeuten wird und die Selbstverständlichkeit auf die Probe stellt, mit der ein Polizist tun und lassen konnte, was er wollte.

William Shaw weist auf seiner Website darauf hin, dass Korruption in Polizeikreisen verbreitet war und dass ab 1969 zahlreiche Polizisten im Gefängnis landeten und weitaus mehr ihren Dienst quittieren mussten. Breens Kollege ist da nur ein gezielt inegriertes Beispiel unter vielen. Nicht zuletzt werden die Frauen selbstbewusster und suchen ihre Chancen. Helen Tozer ist eine der ersten bei der CID und es ist Shaw hoch anzurechnen, dass er aus ihr keine Überfliegerin macht, sondern eine junge Frau, die mit eigenem Willen ihren Weg sucht. Wahrscheinlich wie andere vor ihr, bevor die Gesellschaft sie in willkürliche Grenzen zurück gewiesen hatte. 1968, das ist das Geburtsjahr vieler Leser oder Lebensrealität vieler Eltern, die heute zu diesem Titel greifen. Und so weit weg, wie es scheint, sind die Probleme nicht.

Tozer und Breen arbeiten zuletzt immer enger zusammen; was bleibt ihnen auch anderes übrig, wenn ihnen der Respekt der anderen fehlt. Umso hartnäckiger gehen sie ihren Rätseln nach und decken schlussendlich ein komplexeres Gefüge auf, als sie es je vermutet hatten. Die Außenseiterposition zwingt sie praktisch zu guter Arbeit, um den letzten Rest an Akzeptanz nicht zu verlieren, eröffnet ihnen im Gegenzug aber auch die Flexibilität, ihre Spuren und Theorien abseits der ausgetretenen Pfade zu kombinieren und zu verfolgen. Shaw bietet parallel sowohl einen interessanten und spannenden Krimi sowie ein gutes Gesellschaftsportrait, und das aus einer Epoche, die mir im Genre noch nicht oft untergekommen ist. Summa summarum eine hervorragende Mischung und dass Shaw sie bewusst als Trilogie ausgelegt hat, macht sehr neugierig auf das Gesamtkonzept, dass diese Ankündigung verspricht.

Bibliografische Angaben

Verlag: Suhrkamp
ISBN: 978-3-51873-473-5
Originaltitel: A song from dead lips
Erstveröffentlichung: 2013
Deutsche Erstveröffentlichung: 2013
Übersetzung: Conny Lösch

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