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Barry Eisler – Sanfter Tod in Tokio

Barry Eisler – Sanfter Tod in Tokio

John Rain ist halb Japaner, halb Amerikaner und Zeit seines Lebens in keiner der beiden Kulturen zuhause (etwas anders angesetzt als bei der Figur Jim Brodie von Barry Lancet). Ohne familiäre oder private Bindungen zu leben, erleichtert den Job: Nach mehreren Dienstjahren beim US-amerikanischen Militär kehrte er als Auftragskiller nach Tokyo zurück. Seine Spezialität sind „natürliche Todesursachen“ und seine Auftraggeber zahlen entsprechend gut. Unterstützung findet er bei Harry, einem raffinierten IT-Spezialisten, der sein Können nicht nur in legale Aktivitäten steckt.

Barry Eisler - Sanfter Tod in Tokio

Rains aktueller Auftrag betrifft den Politiker Kawamura, der der Regierungspartei zu gefährlich geworden ist. Warum, weiß Rain nicht, aber er fragt auch nicht. Das gehört einfach zu seinem Job und seinem Jobverständnis. Merkwürdig aber ist, dass Kawamuras Taschen nach seinem Tod noch vor Ort durchsucht werden. Und noch merkwürdiger ist, dass er sich kurz darauf um Kawamuras Tochter Midori kümmern soll. Frauen und Kinder schließt Rain aus seinem Portfolio sonst kategorisch aus, in dem Fall aber interessiert ihn der Auftrag doch. An Zufälle glaubt John Rain schon lange nicht mehr und so ein „Zufall“ ist ein ziemlich sicheres Zeichen dafür, dass an der Sache Kawamura etwas faul ist. Nicht zuletzt aus Selbstschutz versucht er, Midori aus der Schusslinie zu nehmen und herauszufinden, was hinter dem Auftrag wirklich steckt.

Abseits der Prinzipien

Für John Rain wird es, man vermutet es bereits, ein ziemlich unangenehmer Rettungsversuch. Einerseits gibt die Korruption in der Politik Leuten wie Rain zur Wahrung des Status Quo Lohn und Brot. Aber selbst Rain hat Prinzipien muss feststellen, dass das sture Abarbeiten von Aufträgen alleine auch für einen Auftragskiller nicht das Gelbe vom Ei ist. Wie jeder andere auch kommt er an den Punkt, an dem er wissen will, warum er eine bestimmte Arbeit eigentlich verrichtet. Der Auslöser für Rain ist die persönliche Bekanntschaft mit Midori, etwas, das er nicht vermeiden kann, wenn er ihr helfen will.

Barry Eislers Story ist in vielerlei Hinsicht interessant: Sie schildert eindrucksvoll, wie ausgrenzend die Gesellschaft mit Kindern aus Mischehen umgeht, den so genannten „haafu„, und sie lässt tief hinter die Kulissen der japanischen Politik blicken. Die Länderbeziehung zwischen den USA und Japan ist geprägt von Abhängigkeiten und Misstrauen und John Rain gerät mitten hinein in ein Spielchen, bei dem sich ganz unterschiedliche Interessengruppen gegenseitig ausspielen möchten. Die Bauindustrie ist bis ins Mark mit der Yakuza verbandelt und das Ministerium kümmert sich darum, dass die Bauszene gleichmäßig gefüttert wird und alle mit angemessenen Anteilen ruhig gestellt bleiben. Einzig eine Zeitung informiert unverdrossen so detailliert wie möglich, aber da sie auf Englisch publiziert, richtet sie nicht viel aus und wird mehr oder weniger in Ruhe gelassen (eine ähnliche Bilanz zieht in dieser Hinsicht übrigens auch Jake Adelstein in Tokio Vice und seinen Kolumnen).

Ein Dasein als Samurai

Die Bekanntschaft mit Midori zwingt Rain zum ersten Mal seit langem, sich über seine Vergangenheit und deren Folgen Gedanken zu machen. Erinnerungen, die er für abgeschlossen hielt, Personen, die er für weit weg hielt … vieles davon ist präsenter, als es lieb ist und die verschiedenen Interessen, die Rain nicht schnell genug durchschaut, sorgen für verwirrende und gefährliche Richtungswechsel auf der Suche nach der Wahrheit. Rain versteht seinen Job hervorragend, aber für die großen Zusammenhänge hat er kein Gespür. Ihm fehlt etwas Entscheidendes, befindet Tatsu, ein alter Bekannter: „Du bist ein Samurai, Rain-san. Aber ein Samurai kann kein Samurai sein ohne einen Herrn.“

Da es bei John Rain nicht nur um dessen eigene Vergangenheit geht, sondern auch um den jeweiligen politischen Handlungsrahmen, in dem er unterwegs war und ist (wie Vietnam, Kambodscha oder eben Japan), brachte Barry Eisler interessante Hintergrundinformationen und Details in der Geschichte unter. Und das so wunderbar nahtlos, dass sie die aktuelle Handlung nicht nur erklären, sondern auch fintenreicher machen und beeinflussen.

Eine Anmerkung zum Schluss: Wer sich zum ersten Mal mit der John Rain-Serie beschäftigt, wird von der Titelvielfalt möglicherweise etwas verwirrt. Es gibt mehrere englische Titel, mehrere deutsche und nicht immer war klar, wie die Titel zusammenhängen. Mir jedenfalls fiel es schwer, den Durchblick zu bekommen. Also kaufte ich irgendwann dieses Ebook, weil so schön „Fall 1“ dabei stand und auch die Folgebände hübsch nummeriert waren. Nachdem ich das Vorwort zu diesem Buch gelesen hatte, verstand ich denn auch die fröhliche Titelei. „Sanfter Tod in Tokio“ ist in etwa das, was beim Film der Director’s Cut ist. 2002 erschien das englische Original als „Rain Fall“, 2003 folgte die deutsche Übersetzung „Tokio Killer“. Nur war Eisler seither mit den englischen Titeln zutiefst unzufrieden (und fand die deutschen wenigstens etwas weniger schlimm). Mittlerweile besitzt er wieder die Rechte an den Texten und beschloss daher, die Bücher zu überarbeiten und neu nach seinen Vorstellungen herauszugeben (anno 2013); verbunden mit der Überarbeitung war auch eine neue Übersetzung (2014). Auf Grund von Eislers Vorwort habe ich mich für die noch den kommenden Titel für seine überarbeitete Version entschieden.

Bibliografische Angaben

Verlag: Amazon Crossing
Originaltitel: A clean kill in Tokyo
Erstveröffentlichung: 2002
Deutsche Erstveröffentlichung: 2003
Übersetzung: Peter Friedrich

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