Moshi moshi Shimokitazawa

von Bettina Schnerr
5 Minuten Lesezeit
U-Bahn-Station Shimokitazawa in Tokyo, Stationsschild; Foto: Bettina Schnerr

Die japanische Autorin Banana Yoshimoto veröffentlichte 2010 einen Roman, der in Tokyos Stadtviertel Shimokitazwa spielt: もしもし下北沢, was soviel heißt wie: Hallo Shimokitazawa. 2015 kam die deutsche übersetzung beim Diogenes Verlag unter dem Titel Moshi Moshi heraus. Der Roman handelt von der jungen Yochan, die nach dem Freitod ihres Vaters durch einen Umzug in dieses Viertel wieder Boden unter die Füße bekommen möchte. Es bietet sich an, weil die Wohnung der Mutter einer Freundin gehört. Zudem bildet Shimokitazawa einen interessanten Kontrast zum bisherigen Wohnort:

„Shimokitazawa war nicht Ginza, wo französische Küche zum guten Ton gehörte. Es war auch nicht Aoyama oder Azabu und war anders als die sich vornehm gebenden Viertel wie Jiyugaoka oder Hiroo.“

Das Viertel ist lebhaft und bunt. Yochans Mutter, die sich im Roman bei der Tochter einquartiert, flaniert, spricht mit den Leuten, probiert aus, lernt Neues kennen und genießt die Vielfalt. Yoshimoto lebt seit langem in Shimokitazawa und muss dieses Viertel sehr schätzen, wenn sie ihm nicht nur ein literarisches Denkmal setzt, sondern explizit auch viele Orte nennt, die sie selbst kennt.

In einem Interview, das im Blog des Diogenes Verlag zu finden ist, sagt Yoshimoto über ihren Roman: „Ich wollte die Atmosphäre von Shimokitazawa, die Stimmung dieses Ortes aufheben und bewahren. In den letzten Jahren hat sich Shimokitazawa rasend schnell verändert.“ So geschehen ist das auch mit dem wichtigsten Schauplatz des Buches, dem kleinen Restaurant „Les Liens“ in der Chazawa-Straße, wo Yochan arbeitet und genau gegenüber ihren Wohnsitz genommen hat. Ausgerechnet dieses Restaurant gibt es leider seit einigen Jahren nicht mehr. Auch der Kirschbaum davor ist einer Planierraupe zum Opfer gefallen.

Restaurant in Shimokitazawa; Foto: Sandra Isaka

Die Beraterin und Reiseführerin Sandra Isaka hat mir dieses Foto freundlicherweise zur Verfügung gestellt; Les Liens ist das Gebäude auf der linken Seite. Isaka besuchte das Restaurant und schrieb darüber:

„Another one of those places that peaks the curiosity, Les liens is a little french bistro with a traditional Japanese feeling. The walls are white; the floors, tables, and chairs all chocolate brown. Well worn wood with character. A large bookcase holds a selection of reading material […]. Mellow jazz plays quietly in the background. It is a small place, with a table for 4, a table for 3, three tables for 2, and two seats at the bar. […] The menu is handwritten in Japanese, and the little bit that is in katakana is French.“

Es muss ein schöner, stimmungsvoller Platz gewesen sein, denn Isaka war dort öfter zu Gast. „Whenever in doubt, I always order the special.“ Alle Lunch-Angebote kosteten stets um die 1000 Yen (heute ca. 7, 80 Euro).

Die einzige Konstante ist die Veränderung

Shimokitazawa; Foto: Bettina Schnerr

Überhaupt wird in dem Viertel gerade viel gebaut und der Bahnhof ist mit Bauzäunen, Lastern, Kränen und Baggern umzingelt. Speziell die Bahnübergänge haben eine gewisse Berühmtheit, wie mir meine einheimische Begleitung versicherte, die das Viertel aus ihrer Kindheit kennt. Die Schranken legen den regen Verkehr mit schönster Regelmäßigkeit lahm; fast kann man die Züge von hinten anfassen, so nah stehen sie an der Bahnüberquerung. Dem Baugeschehen fallen einige Klassiker des Viertels gerade zum Opfer, so auch eine kleine Einkaufspassage am Bahnhof, die mit kleinsten, Markt-ähnlichen Geschäften bestückt ist, die aus kaum mehr als ein paar Auslagetischen bestehen, auf denen sie aber eine Vielzahl an Waren anbieten.

Shimokitazawa; Foto: Bettina Schnerr

Was ich zum Glück gefunden habe (weil es auch nicht schwer zu finden ist), ist die Kaffeerösterei Maldive in der Einkaufsstraße am Südausgang des Bahnhofs, wo Yochan den Club-Manager Aratani kennen lernt. Laut Ladenschild heißt es richtig Moldive mit O, es findet sich aber auch im Internet ganz oft mit A. Im Moldive wird immer noch geröstet, Kaffee ausgeschenkt und schön dekoriert. Yoshimoto schreibt: „Den Laden gab es schon lange, hier wurden Kaffeebohnen geröstet und verkauft. Wenn man die Einkaufsstraße entlangging, wehte einem der Duft frisch gebrühten Kaffees vom Laden her entgegen, wo der schon etwas ältere Geschäftsinhaber mit seinen kräftigen Händen die Bohnen röstete.“ Die schönen Holzfässer bewundern sicher auch Teetrinker und Weinkenner.

Shimokitazawa; Foto: Bettina Schnerr

Aus Sicht eines Buchliebhabers wäre der zweitwichtigste Platz wahrscheinlich die Buchhandlung Ficciones, die laut Yoshimoto von dem japanischen Schriftsteller Osamu Fujitani betrieben wird. Meine Begleiterin allerdings stellte nach einer kurzen Recherche fest, dass das Geschäft seit 2014 geschlossen ist. Mit einem Bucheinkauf wurde es folglich leider nichts (und den One Love-Buchladen, der im Buch ebenfalls erwähnt wird, haben wir leider nicht entdeckt). Statt dessen wurde ein „exciting bookstore“ gesichtet, der mit Felgen und Fahrrädern dekoriert war. Schnelle Geschäftswechsel gehören in Japan einfach dazu, selbst dann, wenn sich ein Viertel nicht unter der Bautätigkeit verändert.

Okonomikyaki essen gehen

Da das Essen bei Banana Yoshimoto so viel Platz einnimmt, darf hier natürlich ein entsprechender Abschnitt nicht fehlen. Gegessen haben wir im Restaurant Hiroki, das leckere Okonomiyaki anbietet. Das ist gebratener Kohl, der mit verschiedenen Zutaten zu kleinen „Kuchen“ zusammengestellt wird. Die heiße Edelstahlplatte, auf der die Gerichte zubereitet werden, ist gleichzeitig der Tresen, an dem serviert wird. Mit einem Spatel schneidet man sich seine Portionen vom Essen ab und schaufelt sie auf seinen Teller. Im Hiroki gibt es überhaupt nur 16 Plätze, davon nur 8 direkt am Tresen. Diese Plätze gilt es zu bekommen, man muss also um 12:00 da sein. Klein und urig, also genau das richtige Restaurant, wenn man auf der Suche nach Shimokitazawas Atmosphäre ist.

Okonomiyaki-Restaurant in Shimokitazawa; Foto: Bettina Schnerr

Etwas moderner geriet der Nachtisch: Vom Hiroki aus Richtung Bahnhof gibt es einen kleinen Laden namens Clap your hands, der Popcorn verkauft. Das Besondere: In Japan gibt es unzählige Sorten, nicht nur Zucker und Salz. Hier sind es unter anderem Kaffee, Beeren und Käse. Gleich gegenüber lernt man eine Spezialität kennen, die das klassische französische Croissant mit dem japanischen Taiyaki verbindet: Das Croissant-Taiyaki eben. Statt in den üblichen weichen Teig beißt man in einen sehr, sehr knusprigen.

Shimokitazawa ist eines der Viertel, die in kaum einem Reiseführer stehen, die aber auf alle Fälle einen Besuch abseits der Touristenströme wert sind. Wer da war, ist in der Regel schwer begeistert und füttert seine Kommentare zum Beispielt mit „super funky neighbourhood“. Mehr Fotos gibt es unter anderem im oben verlinkten Interview, aber auch bei diesem japanischen Blogger, der (soweit ich das verstanden habe) viel und gerne herumtourt und Impressionen sammelt. Die Autorin Jonelle Patrick reiht Shimokitazawa unter ihren Lieblingsplätzen ein und Japan Backpacker hat die originellste Beschreibung für das Viertel auf Lager: „[…] though if Harajuku represents the sometimes bizarre fashion of the Japanese High School girl, Shimokita represents her big brother or sister, who have real tattoos, drink hard liquor and sleep in their leather jackets.“:

Verlosung

Nankurunai - Banana Yoshimoto; Taschenbuchausgabe aus JapanUnter allen Lesern, die mir bis zum 15. April 2015 eine E-Mail mit dem Betreff „Shimokitazawa“ und ihrer Adresse schreiben, verlose ich ein Buch von Banana Yoshimoto!

Damit die Verlosung ein kleine Besonderheit bietet, habe ich mich für einen Titel entschieden, der nicht auf Deutsch erhältlich ist: なんくるない (Nankurunai, 2004) als Taschenbuchausgabe von Shinchosha Publishing. Erworben beim Buchhändler Bunkyodo und daher auch mit einem kleidsamen braunen Schutzumschlag dieses Händlers versehen (und zwei kostenlosen Lesezeichen, die am Tresen auslagen). Es ist ohne Furigana gedruckt. Yoshimoto-, Tokyo-Fans oder Sammler können natürlich auch einfach so mitmachen, wenn sie kein Japanisch können. Pro Adresse wird nur eine Einsendung angenommen. Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.

Herzlichen Glückwunsch!

Vielen Dank an die Teilnehmer des Gewinnspiels. Die Verlosung heute brachte dieses Losglück:
Die Gewinnerin des Buches ist Annegret aus Gladbeck!


Fotos: Sandra Isaka (Les Liens), Bettina Schnerr (alle anderen)

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