Anthony Horowitz – Der Fall Moriarty

von Bettina Schnerr
3 Minuten Lesezeit
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Der Schock über die Nachricht vom Tod Sherlock Holmes‘ sitzt noch tief. Der tragische Unfall, der sich bei seinem Treffen mit dem „Erzschurken“ Professor Moriarty bei den Reichenbachfällen ereignet hatte, ist in aller Munde. Scotland Yard schickt Inspektor Athelney Jones nach Meiringen, um mit der lokalen Polizei über einen Leichenfund zu beraten. Der tote Sherlock Holmes ist wie vom Erdboden verschluckt, seine Leiche wird nie gefunden. Der einzige gefundene Tote kann folglich nur Moriarty zugeordnet werden, zumal man dessen Aussehen nicht kennt und nach dem Ausschlussprinzip vorgehen muss.

In Meiringen trifft Jones auf den amerikanischen Pinkerton-Detektiv Frederick Chase, der ihm seine Hilfe anbietet. Den Informationen von Chase zufolge will sich ein amerikanischer Krimineller in London breit machen: Clarence Devereux. Wie von Moriarty kennt man auch von Devereux nur den Namen, aber nicht die Person, die dahinter steckt. Chase hat bereits einen Mitarbeiter, der die amerikanische Gruppe infiltrieren konnte, nach dessen Enttarnung verloren und ist begierig darauf, Devereux auf englischem Boden zur Strecke zu bringen. Jones setzt sich beim Yard für die Kooperation ein, da Chase zumindest über ein paar Informationen verfügt, die ihnen helfen können.

Ein Holmes-Roman ohne Holmes

Kann ein Sherlock Holmes-Roman funktionieren, ohne dass Holmes auch nur ein einziges Mal auftritt? Ja, er kann. Wunderbar sogar. Dreh- und Angelpunkt der Geschichte wird Athelney Jones, ein glühender Holmes-Verehrer. Jones versucht nach Kräften, die Methoden von Holmes in seine Arbeit zu integrieren und übt, liest nach, trainiert und informiert sich, wo er nur kann. Sein Imitationswille grenzt an Besessenheit. Im Gegensatz zu Holmes hat er allerdings Frau und Kind, was ihn deutlich verletzbarer macht als sein großes Vorbild. Den Partner spielt wunderbar Frederick Chase, der detailliert berichtet, wie sie sich Stück für Stück an die Organisation von Devereux heranarbeiten und langsam aber sicher herausfinden, wie der Amerikaner arbeitet. Dabei entwickelt sich Chase zur heimlichen Hauptperson. Ständig ist er durch seine Notizen präsent und natürlich agiert er aus seiner Position als Pinkerton-Mitarbeiter etwas aktiver mit.

Eine traurige Nachricht nach so einer packenden Story ist wohl die, dass Anthony Horowitz sich von Sherlock Holmes verabschiedet hat. Nach zwei Romanen und einer Kurzgeschichte ist für ihn Schluss. Trotzdem ist das Gute daran,, dass er die Idee einer Fortsetzung nicht endlos weiter walzen will. Mit „Das Geheimnis des weissen Bandes“ und „Der Fall Moriarty“ hat er zwei Wege gefunden, den Klassiker neu aufzulegen, ohne zu langweilen oder Romane auf den Tisch zu bringen, die wie ein freimüssiger Abklatsch ankommen. Im ersten Fall verließ er die typische Erzähllänge und versah Sherlock Holmes mit mehr Komplexität und mehr Atmosphäre, im zweiten Fall spielt er nun mit einer Perspektive ganz ohne das Duo Sherlock Holmes und Dr. Watson. Holmes dient wohl als Aufhänger, sein rätselhafter Tod schwebt über dem Buch, aber -nun eben- er ist nicht da.

Ein Lesetipp ohnegleichen

Aber in seinen sozusagen letzten Fall packt Horowitz, was er kann. Inspektor Jones wächst mit seiner überbordenden Begeisterung für Sherlock Holmes ans Herz. Er ist sich der Tauglichkeit der Methoden und der Präzision von Holmes‘ Forschungen bewusst und versucht, wo viel wie möglich daraus für sich zu erarbeiten. Im Yard besteht in mancher Hinsicht nur begrenzt Interesse. Manch ein Kollege geht sogar so weit, von beruflicher Arroganz geblendet, ganz glücklich über Holmes‘ Ableben zu sein. Endlich Ruhe vor den Amateuren, sozusagen. Den modernen Einfluss organisiert Horowitz über den amerikanischen Superkriminellen, der sich nicht an Ganovenehre, an Loyalitäten und gewachsene Strukturen hält, sondern London mit ungewöhnlich viel Gewalt übernimmt.

Anthony Horowitz - Der Fall Moriarty

Was schreibt man nun über das Ende, ohne zu verraten, was für einen unglaublichen Dreh die Geschichte bekommt? Natürlich ist bei einem Sherlock Holmes-Krimi klar, dass es eine sinnvolle Lösung gibt, dass sich Puzzleteile fügen und der Gerechtigkeit Genüge getan wird. Aber die Art und Weise, wie Horowitz das hinbekommt, ist außergewöhnlich an sich und außergewöhnlich gut. Ein Ende, das geradezu verführt, sich noch einmal mit dem Buch zu befassen. Offenbar nicht gut genaug aufgepasst, beim Lesen, so sehr hat Horowitz uns in der einen oder anderen Hinsicht an der Nase herumführen können. Sollte er sich das mit einer Forsetzung noch anders überlegen, soll Anthony Horowitz bitte einfach nur rechtzeitig Bescheid geben.

Bibliografische Angaben

Verlag: Insel
Originaltitel: Moriarty
Erstveröffentlichung: 2014
Deutsche Erstveröffentlichung: 2014
Übersetzung: Lutz-W. Wolff

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