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Arno Camenisch – Die Welt

Arno Camenisch – Die Welt

Arno Camenisch - Die Welt

Wenn ein neuer Camenisch angekündigt wurde, habe ich mich bisher immer gewaltig gefreut. Die knappe Sprache, die bodenständigen Leute, ihre pragmatische Weltsicht. Mit dem letzten Buch kippte Camenisch erstmals sein Erzählmuster. Er schickte sich selbst ins Tal, um über ein (reales) Unglück zu sinnieren und was das Geschehen mit dem Dorf gemacht hat und vielleicht mit ihm. „Die Welt“ verlässt den Tavanasa-Kosmos nun komplett. Nicht nur, weil Camenisch selbst Hauptperson bleibt. Sondern weil es eben auch um diese „Welt“ geht, die der Autor mit Mitte Zwanzig erlebt. Kurzfassung: Er verlässt die Schweiz und zieht im Wesentlichen durch Australien und Südamerika, ist zwischendurch mal wieder da, um nochmals in die Weite zu ziehen und sich schließlich für ein paar Jahre in Spanien niederzulassen.

Ob mir also ein Rezensent die Freude auf den aktuellen Titel versalzen wollte, als er das Buch einen „verstotterten Dia-Abend“ genannt hat? Mindestens war es eine Warnung, dass dem Buch die Mischung aus Poesie und Leichtigkeit fehlen würde, mit der Arno Camenisch bisher selbst trübe Themen wie Schulschließungen und Schneemangel verhandeln konnte. Und es fehlt ein weiteres Kernelement, das die Lektüren bisher prägte.

Von einem, der auszog, um …

… ja, was eigentlich? Im Tavanasa-Kosmos kommen so manche Leute kaum raus aus dem Tal und trotzdem schauen sie klug und geerdet auf das Weltgeschehen. Sie durchschauen Mechanismen, schauen mit dem Herzen und wissen, die Welt zu nehmen wie sie ist. Arno Camenisch bekommt das dieses Mal nicht hin, obwohl er extra deswegen in die Welt gezogen ist. Oder sagen wir präziser: Zumindest merkt man diesem Buch nicht an, ob er das begriffen hat, was er schreibt:

Die Reisen sollten über vier Kontinente gehen, was ich da draußen lernte, war fürs Leben, das würde ich in keinen Büchern finden, das gab mir zu verstehen, was dieses Leben sein könnte, was die Leute beschäftigte und wie sie lebten …

Liest man „Die Welt“, werden die typischen Gedankenschlaufen sehr repetitiv und Camenisch feiert sich für seine Eigenart, sich um keinen Preis irgendwo in der Menge „einreihen“ zu wollen. Ständig liegt er mit irgendwelchen Frauen im Bett. Und als er endlich mit der mehrfach angekündigten Amélie „ungebunden liiert“ ist und sie ihn offenbar total umhaut, lässt er sie trotzdem eines Tages nachrichtenlos im Regen stehen und wundert sich, dass ein zufälliges Wiedersehen „Überforderung“ auf beiden Seiten auslöst. Das wirkt unreif statt souverän und unabhängig. Und das in Wiederholschleife. Da weiß einer zwar, was er nicht will, langweilt sich aber von Tag zu Tag durch, hängt rum und nennt es beschönigend „sich das Leben reinziehen“.

… Nabelschau zu betreiben

Das souveräne Gegenstück ist in demselben Verlag erschienen, nämlich Doris Dörries „Die Heldin reist“. Auch hier ein dicker Batzen Autobiografie, vielleicht, wie sich andeutet, an der einen oder anderen Stelle fiktional bearbeitet. Abgesehen davon, dass Dörrie eine großartige Erzählerin ist, spickt sie ihren Weg im Gegensatz zu Arno Camenisch mit Anekdoten und erzählt, was sie in der Welt erlebt hat und, das vor allem, was sie aus ihren Erfahrungen mitnimmt. Der Titel verrät, dass die Figur „Dörrie“ eine Heldinnenreise durchlebt. Das Buch hat eine geschickt aufgebaute Struktur und gerät nie so selbstreferenziell wie Camenischs Dia-Abend. Nie so substanzlos aneinandergereiht wie die Nabelschau.

Von Camenischs Weltreise ist die Wirkung am besten beschrieben, als er für ein paar Monate in die Schweiz zurückkommt:

Es war, als ziehe man wieder einen Mantel an, der während eines Jahres im Schrank gehangen hatte, dann aber irgendwann merkt, dass der Mantel nicht mehr passt, die Ärmel sind zu kurz, und es ist einem zu eng da drin, man kann nicht das Leben in den Schrank hängen und es sich ein Jahr später wieder überhängen, das geht nicht, das musste schief gehen.

Ich weiß ganz genau, was er meint. Und Arno Camenisch hätte aus seiner Welt vermutlich eine ganze Menge erzählen können. Nur tut er es einfach nicht.

Bibliografische Angaben

Verlag: Diogenes
ISBN: 978-3-257-07220-4
Erstveröffentlichung: 2022

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