Das neue Jahr fange ich ein bisschen mit Statistik an. Ab Herbst 2018 war #frauenzählen ein ganz starker Hashtag. Es ging (und geht nach wie vor) um die Frage, wie Frauen im Literaturbetrieb repräsentiert sind. Dreh- und Angelpunkt der ursprünglichen Diskussion war eine Pilotstudie, bei der eine bemerkenswerte Schieflage herauskam: In 2036 Rezensionen und Literaturkritiken, die für die Studie herangezogen wurden, besprachen die Kritiker und Kritikerinnen nur zu 33 Prozent Bücher von Frauen, unabhängig vom Medium.
Detailergebnisse der Studie waren zum Beispiel die Tatsache, dass Kritiker überwiegend Autoren besprechen (zu drei Vierteln), oder dass in Genres wie Comic, Krimi oder Fantasy nur zu einem Viertel über Autorinnen gesprochen wurde.
„Autorinnen haben es im Literaturbetrieb schwerer“
Bis zu diesem Zeitpunkt war dieser Eindruck öfter im Gespräch, nur nachweisen ließ er sich nicht und umso leichter wurde dieses Thema als Einbildung abgetan. Offen bleibt die Frage, ob die Schieflage teilweise mit den Anteilen von Autoren und Autorinnen bei den Veröffentlichungen zu erklären ist.
2017 und 2018 erschienen in Deutschland über 71.000 Buchtitel. Wie die Verteilung von Autorinnen und Autoren aussieht, zählt allerdings niemand. Katy Derbyshire hatte sich schon einmal erfolglos auf die Suche gemacht: „Der sonst so eifrige Börsenverein des deutschen Buchhandels führt über alles mögliche Buch; das Geschlecht der Schreibenden bleibt ungezählt.“
Was hat das mit Bleisatz zu tun?
Daraufhin nahm ich mir die Bleisatz-Rezensionen des Jahres 2018 vor. Ich für meinen Teil behaupte ja, dass es mir piepegal ist, von wem ein Buch ist. Der Klappentext muss stimmen und wenn dieser Klappentext im Augenblick der Auswahl nichts in mir triggert, wird das Buch eben nicht gelesen. Fertig.
Was kam bei meiner Zählerei heraus? Bleisatz unterschied sich kein bisschen von der Pilotstudie: Ich hatte 2018 selbst nur zu einem Drittel Autorinnen besprochen und zu zwei Dritteln Autoren.
Sichtbarkeit und Präsentation
Wenn mir die Autorenschaft zugunsten des Inhalts so egal ist, woran liegt’s dann? Grundsätzlich hätte ich eine gewisse Auswahl. Mangelnde Sichtbarkeit an sich ist es wohl weniger. Als Buchbloggerin und Kulturjournalistin bekomme ich im Vergleich zu den meisten Lesern Vorschauen und Mails und kenne mehr als nur die gängigen Verlage. Sehen tue ich Autorinnen schon. Doch auch nur in dem Verhältnis, in dem sie publiziert werden. Siehe die Vorschauen: Einige Verlage kratzen beim Autorinnenanteil des Öfteren nicht mal an der 25%-Grenze.
Ich merke bei mir, dass es mit meinem Vorwissen zu tun hat. Oft greife ich eher zu Büchern, deren Urheber*innen ich schon kenne. Wenn überall mehr Männer besprochen, ausgelegt und interviewt werden, besteht da auch ein Kenntnissüberschuss.
Nick Lüthi, Blogger der BookGazette
Die Kritik reibt auch mir mehr Autoren unter die Nase und stehe ich deren Büchern im Laden von Angesicht zu Angesicht gegenüber, ja, dann habe ich ganz klar mehr Informationen darüber und das wiederum macht mir einen Kaufentscheid leichter.
Die Aufmachung erlegt das Interesse, im schlechtesten Fall
Von welchen Kriterien lasse ich mich sonst noch leiten? Ich stehe nicht so sehr auf geschnörkelten Kram und wäre dann ein armes Opfer der bösen Verlage, die Bücher von Frauen viel zu sehr aufhübschen (was sie bei Zoë Beck freundlicherweise unterließen, dafür bei den Krimis von Alessia Gazzola sträflich übertrieben) und deren allzu adrett aufgemachte Bücher ich dann oft liegenlasse. Bei Jardine Libaire war das ganz sicher der Grund dafür, das Buch fast ein Jahr liegen zu lassen. Unbewusst erwartete ich eine Schmonzette und ließ mich erst von einer interessanten Rezension umstimmen. Dabei hätte mich alleine der Verlagsname stutzig machen müssen, aber der Eindruck einer spezifischen Kombination aus Cover und Titel war im ersten Moment stärker.
Wahrnehmung statt Sichtbarkeit
Statt Sichtbarkeit verdächtige ich vielmehr die Wahrnehmung. Es gibt sehr wohl Verlage, in denen mehr Autorinnen als Autoren präsent sind. Nur stehen die im Auge der KritikerInnen und LeserInnen, und da schließe ich mich beschämt mit ein, nicht ganz so hoch im Kurs. Das mag an der Gestaltung liegen, daran, dass die Titel über einen Kamm geschoren werden. Was auch immer. Aber unbewusst sortieren wir eben ein.
Erinnert ihr euch an den Verlagswechsel von Simone Buchholz? Bei Knastpralinen war das Cover schon schon cool, ihr Stil ebenso. Der Kritik fiel das erst bei Blaue Nacht auf, das bei Suhrkamp erschienen war (mir ja auch …).
Die Tendenz: Je höher das literarische Prestige eines Verlages, desto mehr scheint er auf Männer im Programm zu setzen.
Berit Glanz, Nicole Seifert, in: Wenn es unterhaltsam wird, sind die Frauen dran
Würde man alle bisherigen Überlegungen zu meinen Gunsten auslegen, bliebe noch die bequeme Untätigkeit übrig. Ich lese, was man so anbietet, worüber man in den Medien stolpert. Gibt es da ein Ungleichgewicht, bilde ich das natürlich ab. Das wollte ich 2019 aktiv ändern: In meinen diesjährigen Buchvorstellungen tauchten mehr Frauen auf. Ist es euch bewusst aufgefallen? Vermutlich nicht. Ihr fühlt euch allerdings sicher nicht schlechter informiert als das Jahr davor.
Das Jahr 2019 sieht im Rückblick so aus: 48 % Frauen, 52 % Männer.
Über das Jahr gesehen klappte das nur, weil ich nebenher eine Tabelle führe und Titel schiebe, wenn die eine Spalte verdächtig viel länger wird als die andere. Auf ziemlich genau 50% jeweils komme ich sogar, wenn ich die Buchtitel einrechne, die ich nur beruflich (und nicht auf dem Blog) besprochen habe.
Ein kleines Fazit, ein kleiner Ausblick
Die ersten Wochen mit dem guten Vorsatz liefen gar nicht so leicht, wie ich mir das dachte. Den einfachen Griff in den Bücherschrank ersetzte ich durch einen präziseren Blick auf Autor oder Autorin. Der Klappentext gilt nicht mehr ganz so intensiv, griffige Schlagwörter im Klappentext ebenfalls.
Klingt zu säuerlich nach Pflichtenheft? So fühlt es sich etwa vier oder fünf Bücher lang auch an, aber nur, weil ich es nicht gewohnt bin. Man gewöhnt sich dran, keine Sorge. Es ist eigentlich nicht anders als beim Einkauf. Grabble ich im Supermarkt irgendein Pesto, dann erwische ich das, was zugriffsnah steht, ein hübsches Etikett hat und mit Buzzwords wirbt wie „original“ oder „hausgemacht“. Und das ist dann voller Kartoffelflocken und Rapsöl statt der originalen Zutaten Käse und Olivenöl. Beim Pesto gebe ich mir die Mühe, die Zutatenliste zu studieren. Warum also sollte ich beim Buch nicht zumindest probieren, bewusster hinzuschauen?
Für das kommende Jahr peile ich erneut etwa Halbe-Halbe an. Ein paar Prozentpunkte Abweichung dürfen drin sein, doch ich bemühe mich, dass weiterhin in Grenzen zu halten. Es wird weiterhin immer ausreichend Buchtitel geben, die in mein Beutespektrum passen.
Titelfoto: Rawpixel / unsplash
2 Kommentare
Tolle und sehr reflektierte Analyse, Bettina!
Mir ging es dieses Jahr ja ähnlich, mal sehen, welches Resultat wir nächstes Jahr ziehen werden!
Merci dafür, Marius!
Auch ich bin neugierig, wie sich das kommende Lesejahr gestalten wird. Aus 2019 weiß ich (und aus den Vorjahren, auch, wenn ich die Zahlen hier nicht nenne), dass ich ohne eine gewisse Achtsamkeit grob bei 70/30 lande. „Mir egal, wer’s geschrieben hat“ geht mir nach der Analyse nicht mehr ganz so leicht über die Lippen …