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Bleisatz

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Jardine Libaire – Uns gehört die Nacht

Jardine Libaire – Uns gehört die Nacht

Die junge Elise Perez kriecht in New Haven unter, weg von der Familie aus Bridgeport und einer Ecke, wo praktisch jeder früher oder später seinen ersten Eintrag im Strafregister kassiert. In der Nachbarschaft ihrer kleinen WG wohnen die beiden Yale-Studenten James Hyde und Matt Danning. Die Söhne des reichen Ostküstenadels fallen auf, wenn sie mit Limousinen unterwegs sind oder teuer gekleidete Kommilitoninnen empfangen. Doch ausgerechnet zwischen Elise und James entwickelt sich eine Beziehung.

Das beginnt wie eine ziemlich profane Lovestory von der Marke „Prinz trifft Aschenbrödel“, nur mit deutlich mehr Sex eben. An so einer Story alleine hätte ich wenig Gefallen gefunden. Nun gut, bis zu einem gewissen Grad ist es eine Liebe unter solchen Vorzeichen. Libaire aber erzählt parallel dazu von der Gesellschaft in den USA, durch die nicht nur finanzielle Gräben verlaufen.

Der Wahn, etwas Besseres zu sein

Familie Hyde gehört eine Investmentbank und James‘ Karriere ist dementsprechend vorgespurt. Bisher machte er standestypisch, was erwartet wurde. Mit Elise an seiner Seite aber vernachlässigt James zum allergrößten Ärger der Familie seine „Pflichten“ und die Hydes unternehmen alles mögliche, um James von Elise loszueisen. Als kurzzeitige Gespielin hätten sie Elise fix wieder unter den Tisch kehren können. Doch das Pärchen macht keine Anstalten, die Affäre zu beenden.

Libaire gestaltet aus dieser Entwicklung einen sehr erhellenden Clash of Cultures, der mit dem Selbstbild des Ostküstenadels hart ins Gericht geht. Elsie und ihr kleines Vorstrafenregister sind nur der Auslöser für eine Story, die sich weit mehr um James und die sich abschottende Highsociety dreht. Ein Beispiel gefällig? Über Privatdetektive der Hydes kommt eines Tages heraus, dass Elise einen Eintrag wegen „Trinken in der Öffentlichkeit“ kassiert hatte. James entsetzt die Vorstellung einer Freundin mit Vorstrafe. Zumindest solange, bis sie ihn an seine eigenen Freunde erinnert: „Ich habe deine Freunde aus Yale gesehen, high und stockbesoffen, wie sie auf der Straße rumgetorkelt sind und dann ihre Karren gegen die Mauer gefahren haben. Die werden natürlich nie verknackt.“ Und irgendwie ahnt James, dass Elsie Recht hat.

Elise, die in vielerlei Hinsicht reifer und besser geerdet ist, nimmt unbewusst Stück für Stück das Leben auseinander, das James vor sich hin führte. Sie verrückt Perspektiven und instinktiv spürt James, dass sein bisheriges Leben möglicherweise mehr mit Lügen, Selbstbetrug und schönem Schein zu tun hatte als er es ohne Elise je gemerkt hätte (wer das Buch lesen möchte, sollte auf die Episode um den Hausgeist Henrietta achten, der seit der Zeit seines Urgroßvaters im Haus umgehen soll).

Wohin gehört ein Mensch?

Zu den „Maßnahmen“, mit denen James in den Schoß der Familie zurückgeholt werden soll, zählt unter anderem Annie. Die Freundin der Familie versucht sich als besonnene Ratgeberin. Nach dem Ende meiner Lektüre kam ich zurück zu einer meiner Markierungen und gerade da erlangte einer ihrer Ratschläge ein ganz neues Gewicht.

„Und falls du am Ende wieder da landest, wo du angefangen hast, mit einem Menschen, der etwas mehr Gemeinsamkeiten mit dir hat, dann weißt du wenigstens, warum.“

Zugehörigkeit überhaupt ist eines der Kernthemen im Buch. James entpuppt sich als einsamer und verlorener Mensch. Wohl ist die Zugehörigkeit zum Ostküstenadel erlernt, sie kommt aber nicht von Herzen. Jardine zeigt über James‘ eigene Geschichte, wie sich dessen Zweifel überhaupt ausbilden konnte. Seine Mutter Tory wurde von der Highsociety nie akzeptiert. Eine Ablehnung, die James selbstverständlich prägte. Tory ist Schauspielerin und dem Vater verzieh man die Heirat nur, weil sie blendend aussieht. Seit der Scheidung der Eltern aber geht es nach dem Motto: „Was die Hydes angeht, hat sie nie existiert.“

Ein harter Lernprozess

Wenn James mit Elise durch die halb abgerissene Gegend zieht, auf Silvesterparties landet oder Familie Perez kennen lernt, zeigt sich ihm ein völlig anderes Bild: Menschen, die vielleicht wegen Ladendiebstahl dran waren, sich trennen und versöhnen, sich irgendwie durch’s Leben schlagen. Aber es sind Menschen, die jeden, der dazu kommt, so akzeptieren wie er ist. James ist hin- und hergerissen zwischen dem, was er gelernt hat und dem, was er fühlt.

Jardine Libaire hat mich überrascht mit einer äußerst vielschichtigen Liebesgeschichte. Eigentlich könnte man ebenso gut das Etikett „Entwicklungs- oder Bildungsroman“ dranfheften. Dabei wollte ich das Buch erst gar nicht lesen. Mir ist nämlich das Gegenteil passiert wie Mareike von Nordseiten: Während sie das Cover hinreißend fand, erwartete ich ein viel zu schnulziges Buch. Aber ihre Besprechung verriet mir, dass genau das nicht kommen würde. Dass das „süßliche Grundsetting“ eine „harte und bedrohliche Färbung bekommt“, dass alles in allem weitaus mehr zu erwarten ist. Genau so ist es gekommen und Libaires Stil, Elise und James als Figuren zu entwickeln, Symbole und eigene Sprachen zu finden, war schlussendlich beeindruckend.

Bibliografische Daten

Verlag: Diogenes
ISBN: 978-3-257-30072-7
Originaltitel: White Fur
Erstveröffentlichung: 2017
Deutsche Erstveröffentlichung: 2018
Übersetzung: Sophie Zeitz

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