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Simone Buchholz – Blaue Nacht

Simone Buchholz – Blaue Nacht

Weil sie einen Vorgesetzten der Korruption überführt und einem Gangster die Kronjuwelen weggeschossen hat, ist Staatsanwältin Chastity Riley jetzt Opferschutzbeauftragte und damit offiziell kaltgestellt. Privat gibt es auch keinen Trost: Ihr ehemaliger Lieblingskollege setzt vor lauter Midlife-Crisis zum großen Rachefeldzug an, während ihr treuester Verbündeter bei der Kripo knietief im Liebeskummer versinkt. Da ist es fast ein Glück, dass zu jedem Opfer ein Täter gehört. Das Opfer ist ein Mann ohne Namen, der übel zugerichtet in ein Krankenhaus im Hamburger Osten eingeliefert wird. Alles sehr professionell gemacht, der klassische Warnschuss. Riley gewinnt nach und nach sein Vertrauen. Bei zwei bis acht Bier auf der Krankenstation nennt er ihr schließlich einen Namen. Nicht seinen, aber es ist eine Spur, und die führt nach Leipzig. Dort findet Riley einen Verbündeten und viel zu viele synthetische Drogen. Als ihr klar wird, wer hinter der Sache steckt, sieht sie ihre Chance, endlich einen der ganz großen Fische dingfest zu machen.

Rezension

Fragt man nach Krimiautoren, die einen besonderen und sehr eigenständigen Sound haben, kommt wahrscheinlich ziemlich schnell Wolfgang Haas als Antwort. Wer Simone Buchholz einmal gelesen hat, setzt ihren Namen umgehend dahinter. Oder schiebt den Namen gar davor. Denn während Haas eine humorige Atmosphäre versprüht, setzt Buchholz auf ein ganz anderes Setting. Ihr Stil: unverwechselbar lakonisch und direkt. Ihre Staatsanwältin Chastity Riley: mitten im Sumpf der organisierten Kriminalität. Riley musste schon oft genug zusehen, wie sich die Strippenzieher aus der Affäre ziehen und gar in die besten Kreise der Stadt aufsteigen. Da glaubt man gerne, dass an ausschweifenden Festessen, lockerer Arbeitshaltung oder flapsigen Witzen kein Interesse besteht und das Bier mit Kumpels in der Kneipe die bessere Wahl ist. Zumal ihre Aufräumaktionen, wenn sie denn gelingen, auch nicht gut gelitten sind. Wer einen Korruptionsfall aufklärt, muss nicht auf dem Abstellgleich landen, sollte man meinen. Aber in Hamburg sieht man das offenbar anders und die Vermutung liegt nahe, dass Riley einem der Strippenzieher in die Quere gekommen ist. So geradeaus, wie Riley drauf ist, schreibt Buchholz ihren Text und der Humor schlägt furztrocken nebenan auf.

„Ich sitze also. Und kucke also. Und weiß nicht so recht.“

Obendrauf packt Buchholz ihre immer treffenden Sprachbilder. Der Hafenstaub legt „einen seiner speziellen Filter“ über das Mondlicht und „der Nebel fährt mit nach Ostdeutschland“. Als wäre das nicht genug, ist das Grüppchen aus Riley, ihrem Freund Klatsche sowie Kollegen und Kumpels so speziell „Kiez“, dass es in keiner anderen Großstadt arbeiten könnte. Schnoddrig sind auch andere, aber Rileys Sprüche klingen eben nicht nach Berlin oder Frankfurt. Wer „Blaue Nacht“ liest, dem weht unweigerlich Hafengeruch um die Nase.

Höchstwahrscheinlich unwissentlich, aber trotzdem so treffend, hat Suhrkamp ein Cover aufgesetzt, das mich permanent an Nighthawks von Edward Hopper erinnert. So stelle ich mir das Hamburg von Riley vor, mit Typen auf den Hockern, die sich alleine ihr Bier gönnen, vielleicht mit den anderen in Kontakt treten, vielleicht aber auch nicht. Erst beim zweiten Hinschauen habe ich bemerkt, dass es gar keine Kneipe mit Tresen und blauer Neonreklame ist. Schade zwar, aber die Assoziation funktioniert bis heute tadellos jedes Mal und jedes Mal warte ich darauf, dass sich Riley an den imaginären Tresen setzt.

Lasst mich noch eben auf den Krimi selbst gucken. Die Staatsanwältin wird zur Opferschutzbeauftragten, das Aufräumen in den eigenen Reihen hatte seinen Preis. Als solche muss sie sich um einen zusammen geschlagenen Österreicher kümmern, der nicht reden will. Aber Riley spürt, dass der Mann viel erzählen könnte und kein typischer Kleinkrimineller ist, der irgendeinen Bockmist gebaut hat. Aber nicht reden kann Riley auch und sie bekommt nach einigen Tagen, wenigen Worten, ein paar Zigaretten und viel Bier lose Happen hingeworfen, mehr Rätsel als Hinweise, aber immerhin. Riley findet in Leipzig einen Ermittler, der ihr weiterhelfen kann. In Hamburg währenddessen setzt der pensionierte Kollege Faller zu einem Rachefeldzug an und will einen der Strippenzieher zu Fall bringen, den er während all seiner Dienstjahre nicht kriegen konnte, den „Albaner“. Polizeiregeln binden ihn nicht mehr und Faller setzt neu an.

Obwohl die Staatsanwältin nicht mehr Staatsanwältin sein darf, sitzt sie doch wieder mittendrin in einem Fall und versucht, die Fäden zu entwirren. Versucht, die richtigen Leute zu finden und auf die Szene anzusetzen. Den „Albaner“ kriegt man nicht einfach, das weiß eigentlich jeder, und trotzdem ist es ein verführerischer Antrieb, wenn man die Gerechtigkeit im Herzen hat und den Albaner schon viel zu lange auf der Abschussliste.

Simone Buchholz‘ Stil ist wie Chastity Riley: Entweder man mag sie oder man mag sie nicht. Der Schreibstil passt hervorragend zur Protagonistin (oder umgekehrt), sodass es kaum eine Alternative zu diesen beiden Antipoden gibt. Obwohl „Blaue Nacht“ schon der sechste Kriminalroman mit Chastity Riley ist, kann man dem Geschehen ohne Stutzen folgen. Vorkenntnisse sind nicht nötig. Aber wer in diesem Buch erstmals auf Riley und ihre Kumpel trifft, sieht das hinterher sicher anders. Daher mein anschließender Tipp: Mit „Revolverherz“ ging es 2009 los.

Bibliografische Angaben

Verlag: Suhrkamp
ISBN: 978-3-51846-662-9
Erstveröffentlichung: 2016

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