In den letzten Jahren habe ich eine ganze Reihe schweizer Autoren und Verlage kennen gelernt, von denen ich von Deutschland aus nie gehört hätte. In der Bibliothek fand ich komfortable Hinweisschilder am Regal wie „Schweizer Krimi“ oder „Schweizer Autoren“, alternativ auch farbige Aufkleber, die den einheimischen Autor kennzeichneten. Da ist es ein Leichtes, sich hin und wieder Bücher genau von dort zu angeln, um meine Umgebung auch literarisch kennenzulernen. Aber sonst traf ich in meinem deutschen Bekanntenkreis nur selten auf schweizer Titel, großnamige Ausnahmen wie Martin Suter, Friedrich Dürrenmatt oder Max Frisch mal ausgenommen. Oder kennt sonst jemand Anne Gold, Mitra Devi, Petra Ivanov, Peter Hänni, Michael Herzig, Isabel Morf oder Paul Lascaux? Eben!
Vor einigen Wochen stieß ich auf ein Essay von Urs Hein Aerni. Er macht eine „Ladehemmung im Literaturexport“ aus. Er schreibt: Die kostenintensive und komplexe Vertriebsstruktur im deutschsprachigen Buchhandel garantiert eine Liefergeschwindigkeit, die fast nur vom Medikamentenvertrieb für Apotheken übertroffen wird. Die schwindelerregende Vertriebsperfektion kostet Geld, das kleinere Verlage sich nicht leisten können. Und das trifft dann auch diejenigen Verlage, die deutschsprachige Literatur aus der Schweiz heraus auf den größten deutschsprachigen Markt bringen wollen. Damit mutiert die Landesgrenze auch zu einer finanziellen Grenze (und das nicht erst durch Währungsschwankungen); da ist für die schweizerische Literatur Schluss, solange keine größeren Verlage dahinterstecken, die die Regelungen besser auffangen können.
Klingt das nicht, als ob das ganz schön schade drum ist? Kurzerhand beschloss ich daher, eine kleine Literaturparade mit Schweizer Autoren aus Schweizer Verlagen zu machen. Vielleicht entdeckt der ein oder andere Bleisatz-Leser etwas für sich.
Auf Twitter kennzeichne ich alle Tweets zu dieser Aktion mit dem Hashtag #schwiizerwuche und wer seine eigenen Empfehlungen anknüpfen möchte, ist herzlich dazu eingeladen.
Die Titel
Absolut druckfrisch riecht noch das Buch von Alfred Bodenheimer. Ein Jammer in diesem Fall, dass ich erst bei diesem Krimi von Bodenheimer zuschlage, denn der Protagonist Rabbi Klein ermittelt inzwischen schon zum dritten Mal. Nach zwei Fällen in Zürich geht es nun in die Heimat Bodenheimers selbst, nach Basel nämlich. Nach Zwischenstationen während des Studiums und seiner Dozententätigkeit in Israel, den USA und Deutschland leitet Alfred Bodenheimer heute das Zentrum für Jüdische Studien in Basel.
Was mich dann wohl im Krimi erwartet? Die NZZ behauptet: „Seine Mordgeschichten spielen in Zürichs jüdischem Milieu und verhandeln auf kleinem Raum die großen Fragen des Daseins.“ Eine wahrhaft große Aussage für einen schriftstellerischen Ausflug, der sich anfangs eher zufällig ergeben hatte. Aber was soll schon schief gehen mit einem Buchautor, der seine Schriftstellerei ausgesprochen munter kommentiert: „Ich habe mir gesagt: Entweder nimmt man mich als Akademiker schon ernst genug; dann kauft man mir auch den Krimi ab. Oder ich bin sowieso schon eine Lachnummer; dann kann der Krimi auch nicht mehr schaden.“
Den Anschluss macht eine Autorin aus Bern, Sandra Rutschi. Von Berufs wegen sowieso von der schreibenden Zunft: Rutschi ist Redaktorin (Schwiizer Dütsch für Redakteurin) bei der Berner Zeitung. Bekannt ist sie zudem als Autorin von Kurzgeschichten und jüngst veröffentlichte sie ein Sachbuch mit Portraits bekannter Berner Persönlichkeiten. In ihrem Belletristikdebut befasste sie sich anno 2011 mit der Jurafrage und den historischen Vorgängen dazu. Passend zu ihrer eigenen Tätigkeit als Journalistin findet sich mit der Hauptperson Katja Schild eine Zeitungsredakteurin im Buch und mit Katjas Großmutter Anna Gerber, um deren Schicksal es in einem zweiten Erzählstrang des Buches geht, findet sich eine begeisterte Gärtnerin unter den Protagonisten. Auch hier vielleicht (oder gar auf alle Fälle?) eine Parallele zu Rutschi, die für den Gartenblog der Berner Zeitung lange an einer Parzelle im Lorrainepark gärtnerte.
Das mit dem Lorrainepark ist übrigens eine coole Sache, die ein paar Zeilen Extratext verdient: Die Stadt Bern gab 2014 erstmals öffentliche Blumenrabatte für die umliegenden Anwohner frei — wenn ich das richtig sehe, mit viel Erfolg. Die Berner pflanzen seither Blumen, Obst und Gemüse im Park an und kümmern sich begeistert um das Terrain.
Vorstellen will ich auf alle Fälle auch Anne Gold. Und Anne Gold, das sind viele: Hinter dem Pseudonym stecken — so sagt die Krimi-Couch — die Verlagsleiter des Verlags Friedrich Reinhardt höchstselbst, Claudia Leuppi und Freddy Rüdisühli. Das ist zwar bekannt, aber ansonsten halten sich die beiden Annes ziemlich im Hintergrund und lassen lieber die Bücher sprechen.
Über den Erfolg der Basler Krimis um den Kommissär Francesco Ferrari gibt eine der Annes in der Tageswoche nach dem achten Band zu Protokoll: „Beim ersten Buch waren wir selbst vom Erfolg überrascht. Es hat sich fast ausschließlich in Basel verkauft und in Baselland. Dann hat es sich langsam geändert. Die Basler Kunden sind geblieben, aber inzwischen verkaufen wir 40 Prozent in Basel und 60 Prozent in der Deutschschweiz und im angrenzenden Deutschland. Insgesamt haben wir 120.000 Anne-Gold-Krimis verkauft.“ Für einen schweizer Verlag sind das wirklich gute Zahlen, wenn man wenige Zeilen später erfährt, dass ein Verlag mit 3000 verkauften Exemplaren (pro Titel) schon sehr zufrieden sein müsse. Ich habe mir Fall No. 6 geschnappt und betrete neue Gefilde.
Als Vierter im Bunde platziert sich Philipp Probst. Nachdem Probst bereits als Jugendlicher geschrieben hatte, wanderte er zunächst in den Buchhandel, dann zum Journalismus, schrieb mit einem Buch über einen realen Betrüger gleichzeitig die Vorlage für einen Film und kehrte mit dem hier vorgestellten Krimi zur Fiktion zurück. Vielleicht auch nicht ganz so viel Fiktion? Wer weiß?
Jedenfalls weiß Probst als Journalist, über was er schreibt, wenn er die Reporter auf die Jagd nach brenzligen Informationen schickt. In der Hinsicht bietet möglicherweise auch sein Zweitberuf eines Tages die Grundlage für spannende Stories, denn Probst ist zugleich Chaffeur und kann sowohl LKW durch Europa fahren als auch die Busse der Basler Verkehrsbetriebe durch Basel. Er hat auch schon, so verrät der Artikel ebenfalls, seine eigenen Leser kutschiert und eine kleine „literarische Kaffeefahrt“ nach Skandinavien gemacht. Es wäre doch gelacht, wenn dem kreativen Kopf (der übrigens auch sehr unlangweilige Lesungen veranstalten soll) da nicht auch bald die Geschichten zulaufen … oder zufahren.
Darf bei einer Schwiizer Wuche Hansjörg Schneider fehlen? Nein, meine ich. Sein Kommissär Hunkeler gehört seit gefühlten Ewigkeiten zum Repertoire (streng genommen seit 1993, so lange ist also „ewig“). Dabei ist Schneider übrigens anderweitig viel aktiver, wenn man alles ordentlich gegenrechnet: Als Theaterautor zum Beispiel und als Autor von Romanen und Erzählungen. Der fünfte Fall wurde 2005 mit dem Friedrich-Glauser-Preis für den besten Roman ausgezeichnet und von seinen neun Hunkeler-Geschichten wurden bis dato sechs verfilmt. Den Part des Hunkeler übernahm Mathias Gnädinger – der Schauspieler verstarb 2015 und mit dem Schauspieler ging vermutlich auch der Filmwunsch, denn „Hunkeler ohne Gnädigner, das geht fast nicht“, sagt Schneider selbst.
Ein wenig schade ist da wohl, dass die Hunkeler-Geschichten durch mindestens drei Verlage gereicht wurden, angefangen mit einem schweizerischen, dann ein deutscher, um nun wieder mit Diogenes in der Schweiz zu landen. In der Schweiz und im Elsass kennt den Kommissär jeder. Nicht nur, weil die Fälle da spielen, sondern weil Kommissär und Autor gleichermaßen dort unterwegs sind und in denselben Beizen hocken.
Last but not least runde ich mit Michael Düblin ab. Auch hier ein ganz druckfrisches Exemplar, eine druckfrische Empfehlung. Schon wieder einer aus Basel und Umgebung übrigens, nach Bodenheimer, Gold, Probst und Schneider. Dafür beruflich etwas Neues, denn Düblin ist Informatiker.
Düblin legt mit der Story um die Band Klarstein seinen dritten Roman vor und wer Pech hat, geht ihm auf den Leim. Da er mit dem Flugpionier Oskar Bider schon einmal eine reale Figur in einen Roman einbaute und jetzt mit Songs zum Buch nachlegt, glaubt man für eine halbe Stunde tatsächlich, dass es Klarstein einst gegeben hatte, googelt, findet eine Facebook-Seite und einen raffinierten Trailer auf Youtube. Dabei ist die Band reine Fiktion, aber mit Songs, denen man ihr angebliches Alter abnimmt. Das Buch enthält Download-Codes, mit denen man sich die Songs zum Buch herunterladen kann. Mein persönlicher Favorit unter den Songs ist „Sommer“, knapp gefolgt von „Bind uns los“.
Titelbild oben: Bettina Schnerr