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Dirk Bathen – Zeitgruppe Null

Dirk Bathen – Zeitgruppe Null

Dirk Bathen - Zeitgruppe NullZwei Tage im Herbst. Ein Amoklauf in einem Hamburger Einkaufszentrum verschafft Felix Breidel eine zweifelhafte Premiere. Acht Tote. So viele hatte es noch nie gegeben, in fast 25 Jahren Polizeiarbeit nicht. Der Attentäter war Mitglied im Slow-Circle, einem Verein, der sich für ein bewussteres Lebenstempo in der schnelllebigen Gesellschaft einsetzt. Während Breidel mit den Ermittlungen seine Eheprobleme verdrängt, führt ihn die Spur zu BraInfluence, einem Pharma-Unternehmen, das eine besondere Methode entwickelt hat, leistungssteigernde Medikamente zu verabreichen. Im Wirtschaftsministerium stößt die Idee des optimierten Arbeitens auf großes Interesse. Aber die politischen Pläne haben nicht nur Befürworter.

Rezension

In Hamburg läuft ein Mann Amok und hinterlässt acht Tote. Die Tat schockiert, in diesem Ausmaß besonders, umso dringlicher ertönt der Ruf nach Aufklärung. Felix Breidel und sein Team stoßen auf eine Gruppierung, die sich gegen eine immer schnelllebigere Gesellschaft stellt. Der Attentäter war Mitglied in diesem Slow-Circle, aber der Verein macht einen harmlosen Eindruck. Höchstens eine unabhänige Splittergruppe könnte eine Rolle gespielt haben, aber außer mit einem Hackerangriff auf Onlineshops war sie bislang nicht aufgefallen.

Parallel zu Breidels Ermittlungen arbeitet Kurt Neumann in einem zweiten Erzählstrang bei einer Pharmafirma an neuartigen Produkten. Die Firma BraInfluence hat zerstäubungsfähige Medikamente (genauer gesagt: Aufputschmittel) entwickelt, die in geschlossenen Räumen über die Atemwege verabreicht werden können. BraInfluence will in einem hochkarätig besetzten und politisch unterstützten Wirtschaftszirkel punkten. Aber der ehrgeizige Chef, der selber fleißig Optimierungspillen schluckt, hat Gegner. Den Kanzler, seinen Forschungsleiter, Menschen aus der Entschleunigungsbewegung.

Das könnte ein Krimi werden, das könnte ein Stück gegen Optimierungswahn werden. Irgendwie ist es für mich weder das Eine noch das Andere geworden. Der Krimi bleibt Nebensache; er ist Fassade, um verschiedene Szenen pro und contra Optimierung gegenüber zu stellen. Breidel, der Polizist mit Eheproblemen, ein Normalo ohne Pillen und immer unter Druck. Neumann, der aufrechte Wissenschaftler, der den Forschergeist verloren hat, weil er den Einsatzbereich „seiner“ Medikamente nicht mehr gutheißen kann. Klamberg, der hoch ehrgeizige Chef, bedingungslos fortschrittsgläubig und ohne Gewissensbisse. Politiker auf beiden Seiten, die sich hinter den Kulissen behacken und belauern.

Was passieren kann, wenn solche Medikamente aus Ehrgeiz und Gewinnsucht zu früh eingesetzt werden, verdeutlicht sich an der einen oder anderen Stelle eindrucksvoll. Pharmakritik ist das Buch trotzdem nicht. Es zielt eher auf den Optimierungswahn ab und in der Form fühlt es sich ziemlich dick aufgetragen an. So oft es geht wird eine Symbolik bemüht, um die Kontraste zwischen Normalität, Optimierung, Niedergang und Belastung zu betonen (Licht tropft oder zerschellt, Kragen zittern, Düfte riechen zielstrebig, Blätter sind morbide statt einfach welk oder kränklich, Blut kräuselt sich und Potenzial ist zögerlich). Das Buch steckt voller schwülstiger Sätze, die für mich weder zur Entschleunigungsszenerie passen noch zum stromlinienförmigen Leistungsmenschen. „Das Neue trabt durch die Zeit und veränderte die stets unruhige Gegenwart.“ Das ist mir viel zu aufgeplustert, barock und gewollt klug.

Jemand „atmet seinen Hass heftig zwischen die vollen Regale“ und einen Absatz später schaute dieselbe Person „in die prall gefüllte Leere der Regalwände“. Viele Bilder klingen für mich zu bemüht nachdenklich, als dass sie ziehen und dann wirkt schon eher das Gefühl, dass sich die gewollte Symbolik selbst im Weg steht. So wie die hängenden Arme, „von der Schulter herunter wie durchtrennte Stromkabel einer Überleitung. Winkelmann griff in seine Jackentasche und …“ Gleichzeitig durchtrennt und dran? Mein Kopfkino stürzt bei dem Versuch ab, solche Bilder abzuspielen. Und wie eine Liebeserklärung klingt zum Beispiel das nicht: „Ihr Anblick schrieb sich in sein Standbein und zersägte sämtliche Knochen von der Hüfte abwärts.“ Obwohl Breidel damit den Moment beschreibt, als er seiner Traumfrau in einer Bar erstmal begegnet war.

Ich habe auch ansprechendere Passagen gefunden, wie die Erläuterung, was eine Pressekonferenz ist. Keine Veranstaltung, wo die Presse die Wahrheit wissen wolle, sondern nur Stoff für ihre Geschichten abhole. Etwas, das durchaus zutrifft, wenn man sich Zeitungen durchschaut: Die großen Stories stammen in der Tat aus der Eigenrecherche. Trotz der Pressekonferenz bin ich mit dem Buch nicht warm geworden. Die Geschichte spielt sich innerhalb von zwei Tagen ab und blendet danach einfach aus. Das mag durchaus als offenes Ende gelten, weil ein Erzählstrang beendet ist und trotzdem klar wird, dass es vermutlich nur eine Frage der Zeit ist, wann solch eine Geschichte in neuer Form wieder von vorne beginnt. Aber der andere Strang bleibt unbefriedigend lose in der Luft hängen und wird nicht zu Ende geführt. Er bekommt auch kein offenes Ende, das sich weiterspinnen lässt. Am Ende konnte ich leider aus keinem der drei Elemente im Buch — Krimi, Pharma, Optimierungswahn — etwas für mich herausholen.

Bibliografische Angaben

Verlag: Edel & Electric
ISBN: 978-3-96029-008-7
Erstveröffentlichung: 2016
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