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Simone Buchholz – Beton Rouge

Simone Buchholz – Beton Rouge

Simone Buchholz - Beton Rouge

Mitten in der Nacht, auf dem Weg in die nächste Kneipe durch den Regen bekommt Staatsanwältin Chastity Riley gerade noch mit, wie das Opfer einer Fahrerflucht vor ihren Augen stirbt. Das mit der Kneipe erledigt sich.

Dann gehe ich nach Hause, setze mich ans Fenster und starre in die Nacht.
Der Mond sieht aus, als wäre ihm schlecht.

Am Morgen drauf bleibt die Stimmung gedrückt und es wird nicht besser: Die Oberstaatsanwältin betraut sie mit dem seltsamen Fall eines Managers, der vor Hamburgs größtem Verlagshaus nackt in einen Käfig gesperrt wurde. Die Kollegen aus dem Verlagshaus begaffen die merkwürdige Präsentation so kühl, dass sie der Polizei direkt als „gruselig“ auffallen.

Manager leben gefährlich

Der Mann im Käfig entpuppt sich als Chef der Personalabteilung und diese krempelt gerade die Angestelltenstruktur im Haus um. Auch beim größten Verlagshaus wird an der Kostenschraube gedreht und möglichst viele langjährige Mitarbeiter mit guten Verträgen sollen gegen Anfänger oder freie Mitarbeiter ersetzt werden. Vom Betriebsrat erfährt Riley außerdem, dass die Zeitschriftenstruktur ständig verändert wird, ein neuer Titel hier, ein eingestampfter dort, und die kurzfristige Denke schmeckt nur den Aktionären. Die Gerüchteküche kocht ohnehin über, seit 100 Millionen Euro Gewinn nicht mehr reichen, um den Hals voll zu bekommen.

Bis hierhin sieht Beton Rouge nach Wirtschaftskrimi aus und Simone Buchholz serviert den traurigen Einblick in einen Medienkonzern, der nur noch des Geldes wegen geführt wird. Vielleicht liest ein Insider noch Details raus, wenn der Konzern bei Buchholz Mohn & Wolff genannt wird? Ich weiß es nicht, wundern würde es micht nicht, immerhin keilt Buchholz auch noch ein bisschen gegen die Philharmonie.

Im Hundekäfig, wie passend

Es bleibt nicht bei einem Käfig. Im zweiten findet sich erneut ein nackter Manager, wieder übersät mit Folterspuren. Das ist Rache, keine Frage. Aber sie hängt nur indirekt mit dem Verlagshaus zusammen. Die beiden waren als Kinder zusammen auf demselben Internat … und in dem Augenblick, in dem der Begriff im Buch auftaucht, entfleucht dem Leser umgehend ein wissendes Raunen … überflüssig fast zu erwähnen, dass es da noch andere Zimmerkollegen gab …

Die Gewalt ist nur das, was unserem Genre die Struktur gibt. Ich finde, wir als Krimi-Autoren sind verpflichtet zu erzählen, wie es zu Gewalt kommt und was sie hinterlässt.

Das sagte Simone Buchholz einmal in einem Gespräch mit MDR Kultur über ihre Motivation. In Beton Rouge dreht sich alles um diese Grundhaltung. Riley zur Seite gestellt hat sie dieses Mal Ivo Stepanovic vom LKA 44, der „funky Spezialistentruppe“, wie die Staatsanwältin es nennt. Dieser Stepanovic ist ein cooler Kerl, sieht gut aus und Riley merkt zunehmend, dass der Mann eine Art Seelenverwandter ist – einer ist Yin, einer ist Yang. Atypisch in seiner Art, eine gewisse Einsamkeit mit sich tragend und gleichzeitig mit einer schnellen Auffassungsgabe begabt.

Eine Staatsanwältin sucht Halt

Dass die beiden eine gewisse Wellenlänge miteinander finden, ist kein Zufall. Im Privatleben stimmen die Wellenlängen nämlich nicht mehr. Die Gewissheiten, die Riley dort hatte, brechen gerade zusammen. Da purzeln fest gefügte Lieben auseinander und Lebensträume spalten gemeinsame Wege. Riley, die nie wahnsinnig viele Freunde hatte, brauchte die paar Konstanten, die sie hatte, umso mehr. Was passiert mit ihr, wenn die verschwinden? Ob Stepanovic eine Antwort ist, wird sich zeigen. In der Welt von Chastity Riley ist eine Menge kaputt und mittlerweile fällt mir manchmal Jack Taylor ein, weil Alkohol bei Riley praktisch ein Grundnahrungsmittel ist. Ich frage mich, ob das alles nur eine Symbolsprache ist und ich irgendwas übersehe … oder ob das der Grund ist, warum Riley als Staatsanwältin so einen Sonderstatus hat und zu „Bürgermeisters bestversteckten Leuten“ gehört.

Im Kühlschrank finde ich eine halbe Flasche Wodka, ich schraube sie auf und setze sie an.
Mit der Flasche am Hals schaffe ich es zurück an meinen Platz auf dem Wohnzimmerfußboden. Mit der Flasche am Hals geht auch das Reißen in meinem Herzen weg. Stück für Stück. Aber ich könnte schwören, dass mit jedem Schluck, den ich nehme, da draußen eine Straßenlaterne stirbt.
Es wird dunkler und dunkler.

Bibliografische Angaben

Verlag: Suhrkamp
ISBN: 978-3-518-46785-5
Erstveröffentlichung: 2017

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