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Mariana Leky – Was man von hier aus sehen kann

Mariana Leky – Was man von hier aus sehen kann

Mariana Leky - Was man von hier aus sehen kann

Mariana Leky und ihrem Okapi-Buch begegnete ich im Februar gleich zwei Mal. Literatur in den Häusern war der eine Anlass. Dort ergatterte ich sprichwörtlich die letzte Karte für eine Lesung von Iole aus der Schmitten aus diesem Roman. Wie sie verriet, hätte sie gerne selber in so einem Dorf gewohnt. Ausgewählt hatte sie die Passagen so, dass sich ein wunderschöner Erzählbogen erstreckte. Der andere Anlass war die Bekanntgabe, dass Lekys Roman das diesjährige Aktionsbuch zu Frauenfeld liest ein Buch wird, eine Aktion, die das Bücherfest begleitet. Saß ich noch ahnungslos in der Lesung und genoss einfach die Performance der Vorleserin, stand ich im Anschluss fix in einer Frauenfelder Buchhandlung und besorgte mir das Original.

Erzählt wird die Geschichte aus dem Westerwald von Luise, zehn Jahre alt. Sie lebt in einem kleinen Kosmos mit Mutter und Vater, beide berufstätig und sehr mit sich selbst beschäftigt. Aufgezogen wird sie im Prinzip von Oma Selma und „dem Optiker“. Mit ihrem Freund Martin verbringt sie die Freizeit. Dazu gesellen sich noch ein paar andere Dorfbewohner. Für das Kind Luise ist alles Idyll, bis Selma von einem Okapi träumt. Daraufhin purzelt das Dorf durcheinander, denn wenn Selma von einem Okapi träumt, stirbt daraufhin einer der Ihren innerhalb von 24 Stunden. Als Zehnjährige ist Luise erstmals in dem Alter, in dem sie das chaotische Herumirren der Dorfbewohner im Angesicht einer nahenden Tragödie bewusst miterlebt. Denn niemand weiß, wen das Schicksal treffen wird.

Insgesamt besteht das Buch aus drei Teilen. Der erste endet tatsächlich mit einem Tod, nur wenig mehr als eben jene 24 Stunden nach dem Okapi-Traum. Im zweiten Teil ist Luise zwölf Jahre älter und nochmals etwa knapp zehn Jahre älter in Teil 3. Sie wird sich ausgerechnet in einen buddhistischen Mönch aus Hessen verlieben, der in einem japanischen Kloster lebt und durch Zufall einen Hund suchen hilft. Während im ersten Teil Selma der Dorfmittelpunkt war, rückt Luises komische Liebesgeschichte ins Zentrum des Interesses nach. Mit Ausnahme von Marlies, die jeden Tag höchst miserabel gelaunt ist, nimmt jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten Anteil an Luises Fernbeziehung, von der eigentlich noch nicht einmal klar ist, ob sie den Namen Beziehung auch nur ansatzweise verdienen könnte.

„Je länger eine Nummer ist, desto weiter weg ist der, dem sie gehört“, sagte Selma.

Zwischen „nett“ und „gähn“

Was ich tatsächlich in der Hand hatte, war eine Art Alice im Wunderland, nur ohne Alice, Grinsekatze oder Hutmacher. Es fliegen simple Feststellungen durch die Luft als seien es mühselig philosophierte Weisheiten. Es fliegen manchmal amüsante Dialoge, manchmal aber herzlich blöde.

„Was ist Alaska denn für ein Hund?“
„Er gehört meinem Vater“, sagte ich.

Was das Buch nett zu lesen macht, sind die spinnerten Ideen und die Ausdrucksstärke. An einem Abend hat Elsbeth beispielsweise beide Hände voll, die eine mit Draht und Alleskleber, die andere mit dem Entschluss, jemanden zu retten. Türen brechen in zwei Hälften, wenn man sie nur ausreichend anschreit, und die Liebe „tritt ein wie ein Gerichtsvollzieher“ und pappt praktisch einen Kuckuck auf alles, was man hat und sagt: „Das gehört dir jetzt alles nicht mehr.“

Schöne Metaphern. Oft witzige Bilder. Und trotzdem … der Verve der sorgfältig ausgesuchten Lesungstexte aus Kreuzlingen trug mich nicht durch das ganze Buch. Im Gegenteil, die Geschichte zwischen Luise und dem Mönch turnte in den darauf folgenden zwei Dritteln seltsam und unglaubwürdig durch die Seiten und trug den Rest des Buchs für mich nicht mehr über das nett Unterhaltsame hinaus. Irgendwann konnte ich Selmas Philosophien nicht mehr hören. Irgendwann nervt die Fabulierlust, wenn Selmas Haus als so abbruchreif geschildert wird, dass Selma angeblich bereits zur Hälfte in den Keller durchgebrochen war und das Haus wider alle Vernunft erhalten wird. Wenn der Optiker ständig mit dem Perimeter sein Gesichtsfeld misst. In diesem Dorf geschieht so viel in platten Wiederholungen, dass es in dieser Häufung wirkungslos wird.

Und da stehe ich nun und frage mich, was ich von hier aus sehen kann. Soll ich selbst mal ins Perimeter schauen? Oder schauen, was es in Frauenfeld an alternativen Veranstaltungen geben wird? Vor zwei Jahren habe ich zum Beispiel am Ufer der Murg mit Buchautor Felix Immler geschnitzt. War eine viel coolere Sache.

Bibliografische Angaben

Verlag: Dumont
ISBN: 978-3-8321-9839-8
Erstveröffentlichung: 2017

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