»Forderungsmanagement« nennt Sonja Slanski elegant ihr Inkassobüro in Frankfurt. Sie fürchtet weder seidene noch halbseidene Aufträge und erledigt ihre Gesprächspartner durch schnellen Durchblick, Pokerface und viel, viel Schweigen. Im Zweifelsfall stellen sich die Kollegen aus dem Boxclub neben sie – und in ganz besonderen Zweifelsfällen meldet sie sich bei ihrem Ziehvater, einem russischen Oligarchen.
Eines Tages kreuzt die Ehefrau ihres Liebhabers bei ihr auf. Slanski soll sie aus dem Vertrag mit einer zwielichtigen Anwaltskanzlei rausholen, die sich an ihrem Patent unerwünscht bereichtert. Und noch eine Überraschung wartet auf Slanski: Ihre Halbschwester Luna taucht auf und nistet sich bei ihr ein. Eine junge, wilde Künstlerin, die ihr Geld mit Avantgarde-Kunst und Escort verdient. Eines Tages liegt Luna tot in Slanskis Wohnung und die wiederum fragt sich, ob nicht eigentlich sie das Ziel war.
Das Bröseln unter der Oberfläche
Was für ein Buch! Es lässt mich gleichermaßen ratlos wie begeistert zurück.
Ratlos, weil Slanski eine mit allen Mitteln der Kunst zerrissene Gestalt wird und das in einem Maß, das sich außerhalb meiner Nachvollziehbarkeit bewegt. Sie, die bewusst ohne enge Kontakte lebt und sich nähere Bekanntschaften gekonnt vom Hals hält, wird schon von Lunas Auftauchen aus der Bahn geworfen. Ob Luna nun Halbschwester ist oder nicht, die Künstlerin darf bei der sonst so abweisenden Einzelgängerin einziehen – sie ist immerhin der einzige Bezug, den sie zur für sie sonst immer eher abwesenden Mutter hat. Der Mord an Luna lässt Slanskis harte Maskerade dann nicht bröckeln, sondern richtiggehend zusammenbrechen. Die wirklich Coolen wären mit dem verteufelt gut aussehenden Mann von der Kripo obendrein ins Bett gerauscht, statt ihn mit kalten verbalen Kontern ständig vor die Stirn zu stoßen.
Begeistert, weil Sybille Ruge ihre Figuren und ihre Handlung mit einer Sprache seziert, die cool, scharf, pointiert, boshaft ist. Streng genommen gibt es nicht eine funktionierende Beziehung im ganzen Buch. Die Kunstszene setzt sich aus alternden Herren zusammen, die sinnfreie Plattitüden deklamieren und sich dafür feiern lassen. In Anwaltskanzleien schreiben Anwälte Verträge zum Absahnen bei ahnungslosen Klienten. Ruges Welt liegt in Stücken und ihre Sprache verwandelt die Abgründe in große Erkundungen.
Es herrscht Ruhe auf den Terrassen, wenn der Mann die Börsenberichte liest. Vor der Ehe war er das Idol, in der Ehe ist er die Lücke im Traum. Was bleibt, ist die Verzierung des Eigenheims.
Zur Erkenntnis stolpern
Kommen wir zum titelgebenden Davenport. Unter den Möbeln des 19. Jahrhunderts war das tatsächlich der Name für eine besondere Schreibtischform. Übrig geblieben ist ein billiges Baumarkt-Angebot, dessen Name nicht einmal ansatzweise mit dem Design der Vorläufer zu tun hat. So ein Davenport steht bei Slanski im Büro und wird bei Luna zum konsumkritischen Ausstellungsobjekt. Und das wird zum Ort, wo Slanski erkennt, dass der Mord genauso auf Zerrissenheit zeigt wie alles andere um sie herum.
Bei Sybille Ruge wird noch nicht einmal ermittelt – wie passend für das traurige Setting. Slanski ist mit sich selbst beschäftigt. Die Polizei taucht nur in Gestalt dieses Traummannes auf, der Slanski für eine Kooperation anwerben will, und der gelegentlich ein paar Worte über die Fortschritte verliert. Gerade so viel, dass die Verhaftung am Ende einen Schlussstrich zieht und alle danach wieder einsam ihre Wege gehen.
Bibliografische Angaben
Verlag: Suhrkamp
ISBN: 978-3-518-47243-9
Erstveröffentlichung: 2022
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