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Rin Usami – Idol in Flammen

Rin Usami – Idol in Flammen

Rin Usami - Idol in Flammen

Die Schülerin Akari gehört zu den zahlreichen Fans der Gruppe Mazamaza. Von den fünf Mitgliedern hat sie den Sänger Masaki zu ihrem Idol erkoren und bloggt leidenschaftlich über jede Begegnung mit ihm, jedes Interview, das er gibt, und jede Show, in der er zu sehen ist. Eines Tages steht ihr „Idol in Flammen“: Masaki soll einen weiblichen Fan geschlagen haben und in den Sozialen Medien und den Zeitungen überschlagen sich die Negativnachrichten. Akari ist verzweifelt, denn das Fan-Dasein macht ihr gesamtes Privatleben aus. Wie soll sie damit umgehen, dass ihr Idol nicht dem perfekten Bild entspricht, das sie sich gemacht hat?

Fan zu sein ist meine Überlebensstrategie. Es ist mein Karma. Also beschließe ich, bei seinem letzten Konzert alles zu geben, was ich zu diesem Zeitpunkt besitze.

Nicht einmal 130 Seiten braucht Rin Usami, um das Bild einer Teenagerin in ihren jugendlichen Identitätskämpfen zu zeichen und die fanatische Aufopferung zugunsten einer Kunstfigur. Und Usami zeigt die Mechanismen einer raffinierten Musikindustrie, die die Hingabe der Fans mit psychologischem Geschick finanziell maximal ausbeutet.

Es lebe die Inszenierung

Wer es als Idol in der japanischen Musikindustrie zu etwas bringen will, befolgt vertraglich festgelegte Regeln. Die ausdauernde Höflichkeit gegenüber Medien und Fans und der absolute Mangel an einem erkennbaren Privatleben garantieren, dass sich die Fans ihr Bild vom Idol ungestört zurecht legen können. Denn nur Idols ohne Ecken und Kanten garantieren, dass die Kassen klingeln.

Niemand könnte sich mehr an die Seite seines Idols träumen, gäbe es eine Partnerin oder einen Partner. Für Akari selbst ist die perfekte Distanz ein wichtiger Bestandteil, ihres Fan-Daseins. Ihre Freundin Narumi jedoch hat die Idol-Gruppe genau wegen deren Single-Leben gewechselt: Sie folgt einer noch unbekannten Gruppe, geht zu jedem Meet&Greet und hofft, mit ihrem Schwarm zusammen zu kommen.

Zwischen Kassenschlager und Kassengift

Die Musikindustrie in Japan kennt ausgesprochen findige Methoden, Fans das Geld aus der Tasche zu ziehen — und nutzt besonders gerne die Pubertierenden, die Singles und ihre Träume aus. Idols werden zum Beispiel „Lieblingsfarben“ zugewiesen und mit passend farbigen LED-Lichtern zeigen Konzerstbesucher:innen ihren „Fan-Status“. Für jedes Selfie und jeden Handshake mit einem Idol muss ein Ticket gelöst werden.

Wer mehr Solos auf der nächsten Platte singt, entscheiden weder Können, noch Tonlage oder Songschreiber. Das erledigen die Fans: Bei Mazamaza liegen Abstimmungskarten jeder CD bei. Ein „wahrer Fan“ wie Akari kauft selbstverständlich nicht nur eine, denn „sich anstrengen“ gilt nicht nur in der Arbeitswelt, sondern auch für das Fan-Dasein. Jeder Yen, den sie mit Nebenjobs verdienen kann, geht für eine weitere CD und damit eine weitere Stimme drauf.

Nicht zu vergessen: Gekauft wird auch einfach, weil etwas auf dem Markt ist. Also gibt es die mehr oder weniger gleiche CD mal mit Poster, mal ohne, mal mit einer zusätzlichen Live-Aufnahme. Fans geben zuverlässig ihr Geld aus, und das nicht nur in Japan. Eine Schülerin aus dem Bekanntenkreis hier kann sich zwar auch nicht erklären, wie die Minderjährigen sich all das leisten können — ersteigert in kleinerem Rahmen aber ebenfalls Fotos mit Autogrammen im Internet, kennt die Bandbreite der Leuchtstäbe aus dem Effeff und hat sich selbst den einen oder andern zugelegt.

Und dieses Spiel funktioniert eben nur, solange das Idol, ob weiblich oder männlich, einem glatten Abziehbild ähnelt. Schlägt Masaki also angeblich einen Fan, schadet das der gesamten Gruppe. Fünf neue, unverbrauchte Gesichter sind im Zweifelsfall schnell gefunden.

Erwachsen werden ist schwer

Mittendrin Akari, für die Idole eine heile Welt sind, die sie für sich nicht sieht. Sie hadert mit sich selbst und das nicht nur, weil sie in der Pubertät steckt. Sie hält in ihrer Familie auch nicht dem Vergleich mit der Schwester stand, die bessere Noten hat und auch sonst nichts aus den Augen verliert. Es wird von einer „Diagnose“ gesprochen, damit hat es sich getan und Geduld oder Fürsorge sind Fehlanzeige.

Das bin nicht ich. Er ist kein Idol mehr, also kann ich ihn auch nicht mehr bis in alle Ewigkeit beobachten und analysieren. Mein Idol ist ein Mensch geworden.

Mazamazas Niedergang kennzeichnet gleichzeitig Akaris Neuanfang. Masakis finales Statement hilft ihr, einen eigenen, unabhängigen Weg zu finden, nach mehr als einem Jahr. Zurückgezogen im Haus ihrer Großmutter sortiert sie ihre nächsten Schritte. So schwer ihr ein eigenständiges Leben noch zu sein scheint, profitiert sie am Ende davon, dass ihr Idol unvorhergesehen seine perfekte Rolle verlassen hat und einen Weg freigemacht hat.

Bibliografische Daten

Verlag: Kiepenheuer & Witsch
ISBN: 978-3-462-00302-4
Originaltitel: Oshi, Moyu (推し, 燃ゆ)
Erstveröffentlichung: 2020
Deutsche Erstveröffentlichung: 2023
Übersetzung: Luise Steggewentz

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