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Tom Zürcher – Mobbing Dick

Tom Zürcher – Mobbing Dick

2019 war Tom Zürchers „Mobbing Dick“ der einzige Schweizer Titel auf der Longlist zum Deutschen Buchpreis 2019. Ohne diese Liste wäre Zürcher vermutlich noch eine Weile das geblieben, was das St. Galler Tagblatt titelte: Der unentdeckteste Autor der Schweiz (eine Eigenkreation übrigens, die Zürcher für sich selbst entwickelt hatte). Dabei lässt sich der Roman genießen, wenn man etwas mit irwitzig viel Irrwitz anfangen kann. Tom Zürcher lässt seinen Dick Meier nach nach Kräften eskalieren und scheucht ihn von einer Absurdität in die nächste. Es ist also gar nicht so übel, dass das brave Sortiment aufgemischt wurde.

Meier ist ein naiver junger Mann ohne Ambitionen und ohne Ahnung, was er in der Welt soll. Die Mutter ewig dran, ihrem Sohn eine Karriere anzudichten und ihn stellvertretend aus dem Reihenhaus in die große weite Welt zu träumen. Der Vater übertrieben sparsam und verschlossen. Der neue Job in der Bankanstalt (keine Ahnung, wie er den bekommen hat) entpuppt sich vom ersten Tag an als Rätsel: Zu tun hat der junge Mann nichts, nur der Kollege. Wenn das Telefon klingelt, hebt er allerdings nicht ab, sondern rennt hektisch mit Schreibzeug zur Türe raus. Was sind das nur für Marotten?

Obwohl es nichts zu tun gibt, schwirren Intrigen in der Luft und Meier fühlt sich gezwungen, ein wenig mitzumischen. Statistiken fälschen zum Beispiel: Wer ist der beste Bankangestellte? Ein kleiner Zahlendreher und schon hacken die Helden der Kundenbetreuung aufeinander rum. Auch zu Hause entspannt sich nichts. Im Gegenteil. Die Eltern sehen in ihm einen Großverdiener, den sie nun anzapfen können; der Sohn wiederum traut sich nicht, ihnen die Wahrheit zu sagen. Statt dessen versucht er die Flucht, mietet eine eigene Wohnung und landet in einem überteuerten Loch in einer „Szenegegend“.

Die Bank, das Haifischbecken

Tom Zürcher lässt keine Möglichkeit aus, Dick Meier alles über den Kopf wachsen zu lassen. Meier fängt sogar an zu spekulieren, weil er dazu gehören will und fällt dabei auf Investitionsstrategien herein, die die Bank eigentlich für ihre Kunden bereit hält. Doch den besten Irrwitz hält Zürcher für den Leser bereit, als er erklärt, wie die Bankanstalt das Schweizer Bankgeheimnis am Leben erhält.

Am Montag liegt eine schwarze Bibel auf dem Hellraumprojektor. Die Kursleiterin zündet eine Kerze an und bittet Dick, nach vorn zu kommen. Heute beginnt der richtige Kurs, sagt sie, und der beginnt mit einem Eid, dem Vreneli-Eid. Dick muss die rechte Hand auf die Bibel legen und ihr nachsprechen.

Die Idee dahinter — ich verrate hier nichts — muss man sich genussvoll auf der Zunge zergehen lassen. Für mich war die Kreation ein Highlight der absurden Einfälle und sie bietet obendrein genug Möglichkeiten für Situationskomik, aber auch mehr Intrige, mehr Druck.

Dick Meier flippt ziemlich aus. Und das ist noch untertrieben. Er ruft nachts als „Mobbing Dick“ fremde Leute an, hört Stimmen und bekommt, dieses Mal nicht untertrieben, wirklich gar nichts mehr sortiert. Und Tom Zürcher lässt einfach alles final eskalieren. Es wird ein wenig unappetitlich. Das hätte für mich nicht sein müssen (ohne Tote … immerhin), aber die Übersetzung von Meiers psychischem Schaden in Personenschaden war für Zürcher offenbar logischer und konsequenter als die Übersetzung in Sachschaden.

Die Story ist bitterbitterböse. Zürcher betont, es sei keine Abrechnung mit dem Bankengewerbe. Trotzdem kommt man nicht umhin, exakt das zu vermuten und dabei trotz der zunehmenden Aggressivität seine Freude daran zu haben, wie die Gepflogenheiten im Bankwesen in die Pfanne gehauen werden.

Bibliografische Daten

Verlag: Salis Verlag
ISBN: 978-3-906195-83-4
Erstveröffentlichung: 2019

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