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Hoppla, da kommt die Zukunft

Hoppla, da kommt die Zukunft

Wie lesen meine Kinder in 25 Jahren?

Nicht wenige haben Angst, dass es in Deutschland irgendwann so aussieht, wie in den USA. Ebooks und ein großer Internethändler sollen dem Kulturgut Buch den Garaus machen, heißt es. Die Angst geht um, dass der Buchhandel ausstirbt und am Ende sowieso keiner mehr liest. Und wenn, dann werden es kurze Texte, die man fix auf einem Mobiltelefon oder Tablet liest, auf dem Weg zur Arbeit in der Bahn oder so. Die kleinen Stories von Nachbars Wellensittich werden dank Social Media mehr Aufmerksamkeit bekommen als Bildungsromane von Menschen, die, wirklich wahr, ein Jahr an ihren Werken gearbeitet und dafür recherchiert haben. Wenn es unbedingt ein Buch sein muss, meinetwegen, dann schleppt man es einfach aus dem Laden. Bedienung braucht’s dafür keine mehr, weil der integrierte RFID-Chip am Ausgang selbständig ausgelesen wird und die Bezahlung gleich mit dem Konto digital kommuniziert wird. Die Baumärkte, in denen heute ohnehin schon Remittendenkisten zu finden sind, haben sich zum Allroundanbieter gemausert und man muss für ein Buch echt nicht mehr in die Stadt.

Vielleicht endet es in 25 Jahren tatsächlich so wie auf der anderen Seite vom Teich. Wo es Städte gibt, in denen keine Buchhandlung mehr zu finden ist. Wenn es ganz schlimm läuft, dann klopfen meine Kinder eines Tages bei mir an und wollen wissen, was das für komische Papierbündel auf dem Dachboden sind. Und als sie nach dem verstaubten Zeug fragen, kriegt Mama auch noch einen verklärten Blick. Echt schräg drauf, die alten Leute.

Doch nicht fürchterlich?

Vielleicht läuft es aber auch ganz anders. Mama bekommt für ihre Jugend eine dicke Portion Mitleid zugeteilt. Wie hätte ich damals bloß so viel lesen können, so ganz ohne Kinderbetreuung in Buchhandlung und Bibliothek? Gab es wirklich Buchhandlungen, in denen man außer Büchern nichts bekommen hat? Dass man dort irgendwann auch mal Stifte und Notizblöcke, Tischdecken und Teetassen, Spiele oder Aufkleber bekommen konnte, muss ja schon wie ein Schritt ins Paradies vorgekommen sein. Ein Verlag, der was auf sich hält, verfügt über einen Flagshipstore, unterhält eigene Kulturprogramme und schmeißt Literaturverfilmungen.

Wenn sich meine Kinder in 25 Jahren kulturell bereichern wollen, gehen sie in wahre Kulturtempel, in denen Buchhandlungen neben Kinos, Cafés neben Schreibwarenläden und Kinderbetreuung neben Kleinkunstbühnen eingerichtet sind. Der große Internethändler ist an der eigenen Gier erstickt und Leser aus aller Welt klinken sich regelmäßig in Videochats ein, um sich mit Empfehlungen einzudecken. Der Reader meldet von selbst rechtzeitig, wenn ein kostenfreies WLAN-Netz für Downloads in Reichweite ist und wenn weniger als drei ungelesene Bücher übrig sind. Im Prinzip kann man sowieso jedes Buch lesen, da sich Übersetzungen für jedes erdenkliche Wunschbuch auftreiben lassen. Will man ein gedrucktes Buch, erledigt das eine kundennahe Druckerei ‚on demand‘, damit die Versandwege super umweltfreundlich sind und die Arbeitsplätze lokal erhalten werden.

Vielleicht so, vielleicht auch nicht

So, wie es aussieht, steckt mal wieder eine Branche im Umbruch. Die Buchbranche, wie wir sie heute kennen, wird in 25 Jahren vermutlich ganz anders aussehen. Das bedeutet nicht zwingend, dass es keine Buchhandlungen mehr gibt oder dass wir einen Kulturverfall ganz ohne Bücher haben werden. Aber es bedeutet höchstwahrscheinlich, dass alles einfach anders ist und dass es trotzdem funktioniert.

So einen Strukturwandel hat viel früher schon der Lebensmittelladen erlebt, der mit Tante Emma plötzlich nichts mehr zu tun hatte und bei dem inzwischen sogar die Kassiererinnen dank Selbstbedienungskassen von der Gehaltsliste gestrichen werden. Irgendwann hat es auch Tankstellen erwischt, denn Tankwarte hat man dort schon länger nicht mehr gesehen. Augenoptiker verkauften früher Quecksilberthermometer, die sie per Hand abfüllen konnten, und das Entwickeln von Schwarzweiß-Fotos gehörte zur Ausbildung. Bei mir um die Ecke gab es früher eine Kohlenhandlung, die ich als Kind noch in Aktion erlebt habe.

Bei einem Sturkturwandel müssen manchmal Läden schließen, was immer schade ist, unter anderem deshalb, weil man sich dran gewöhnt hat und mit dem Schreibwarenladen vom Herrn Heiniger groß geworden ist. Umgekehrt gibt es neue Geschäfte, neue Geschäftszweige und gar ganz neue Berufsbilder, die sich aus den Veränderungen heraus entwickeln.

Visionen und Neugier

Ich kann nicht vorhersehen, wie es weiter geht. Das ist allerdings kein Grund für mich, sich über den Strukturwandel zu ärgern. Es ist viel mehr ein Grund, mitzumachen. Wer sich vor Jahren dem digitalen Wandel verweigert hat, kriegt heute schwer Anschluss. Ich kenne (traurig, traurig) genug Leute, die einen PC für eine etwas bessere Schreibmaschine halten und das Internet für rein kriminelles Gewäsch. Wer sich dort bewegt, ist geradezu von illegalen Downloads und Neppern umzingelt. Das glauben die wirklich und manche davon sind allen Ernstes jünger als ich.

Eine Welt ohne Bücher oder Buchhandel, ohne Verlage oder gute Literatur kann ich mir nicht vorstellen. Ich glaube auch nicht, dass das alles verschwinden wird. Verschwinden werden im Wesentlichen die, die den Zug abfahren lassen. Stefan Weidner hat in seinem Artikel über die Buchbranche eine Parallele zu Leica gezogen; als ich das Gros dieses Artikels überdacht habe, ging mir Telefunken durch den Kopf.

Als Leserin bin ich dabei, muss mich sicher umstellen, während die ganz großen Änderungen aber von anderen gestemmt werden. Langsam aber sicher gibt es Ideen und Bewegung. Ich wünsche mir das und ich wünsche mir mehr davon. Zukunft war schon immer etwas, was über einige hereinbricht und von anderen gestaltet wird. Heißt doch: Multimedia-Ideen einbringen, Reader ausprobieren, Vertriebswege entwickeln, Formate überdenken … und nicht hartnäckig an früher festhalten. Bestandsschutz gibt es im Leben einfach nicht – und schlimm ist das nur, wenn man nichts draus macht.

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