Ayyan Mani ist mit seiner Familie in einer trostlosen Hochhaussiedlung von Mumbai gestrandet. Immerhin hat er einen Job am Institut für Forschung und Theorie als Sekretär eines zwar brillanten, aber unerträglichen Astronomieprofessors. Damit sein 10-jähriger Sohn es einmal besser hat, nutzt er seine privilegierte Position im Dunstkreis der Brahmanen und präsentiert Adi als Wunderkind. Mit diebischer Freude trichtert er ihm unsinnige Fragen für den Schulunterricht ein und manipuliert dessen Hörgerät, damit der Junge vor Journalisten die ersten tausend Primzahlen »auswendig« aufsagen kann. Die Professoren am Institut sind derweil zu beschäftigt mit internen Streitereien, um zu merken, wie sie von ihrem Untergebenen vorgeführt werden.
Rezension
Ayyan Mani wohnt mit seiner Frau und seinem Sohn Adi in den BDD Chawls, einer reichlich trostlosen Wohnsiedlung mit kleinen Einzimmer-Wohnungen, kränklich gelben Fluren und schiefen und krummen Gehwegplatten zwischen den Häusern. Was ihn von den Mitbewohnern unterscheidet: Ayyan hat einen Job und er betrinkt sich auch nicht. Er ist Sekretär von Arvind Acharya, einem bedeutenden Physiker, der während seiner Laufbahn immer wieder reif für den Nobelpreis schien. Der kreative Ayyan hört seinen Chef ab, steuert den Besucherstrom zu Acharya nach Gutdünken mit erfundenen Wartezeiten und versucht, seinen Sohn mit Hilfe von gefälschten Testergebnissen als Genie zu vermarkten.
Die Welt von Manu Joseph ist kontrastreich und bunt – und korrupt und irgendwie lächerlich noch dazu. Alles, was das Leben in Indien ausmacht, wird von ihm auf den Prüfstand gestellt und am Institut für Forschung und Theorie kumuliert die ganze Ironie der Geschichte. Ausgerechnet dort, wo man dank der hehren Wissenschaft die abgeklärtesten Menschen erwartet, geht es zu wie in den Seifenopern, die Ayyans Frau Oja abends am liebsten im Fernsehen schaut. Ellenlange Formeln schützen eben nicht vor den Mechanismen der Gesellschaft. Neben Komik und Tragik der Geschichte an sich spielt Gesellschaftskritik bei Manu eine zentrale Rolle.
Acharya verfällt der sehr viel jüngeren Wissenschaftlerin Oparna Goshmaulik, die als einzige Frau im Institut forscht, als Astrobiologin in der Männerdomäne der Akademiker. Zudem birgt die Suche nach außerirdischem Leben für Zündstoff. Die Frage, wie man dazu am besten vorgeht, spaltet das Institut. Acharya lässt dank guter Beziehungen die Muskeln spielen, aber sein Gegner Jana Nambodri ist ihm eng auf den Fersen. Nambodri lässt nichts unversucht, die Methoden zu wechseln und selbst die Institutsleitung zu übernehmen. Die Wissenschaftler stehen sich so unversöhnlich gegenüber wie eine Bande Fünfjähriger, die sich um Straßenkreide streiten und die Eskalation ist unvermeidlich.
Manu, selbst Journalist, nimmt gar seinen eigenen Berufsstand aufs Korn: Ayyan kann den Hype um seinen Sohn besonders leicht inszenieren, weil sich ein Journalist für die getürkte Berichterstattung bezahlen lässt und so eine „Freundschaft“ entsteht. Die katholische Schulleitung Adis missioniert bei jeder Gelegenheit hartnäckig, weil sie nur einen christlichen Adi finanziell unterstützen kann oder will, und hofft bei jeder Berichterstattung, dass ihre Schule richtig im Zusammenhang genannt wird.
Das gesellschaftlich viel größere Problem allerdings ist nicht der Glaube, sondern dass die Manis Dalits sind und damit nicht einmal zu den vier Hauptkasten der indischen Gesellschaft zählen. Diese gibt es offiziell zwar seit 1947 nicht mehr, aber aus den Köpfen ist das System noch lange nicht verschwunden. Ayyan nutzt zum Beispiel seine Aufgabe, täglich einen klugen Spruch an das Schwarze Brett zu schreiben, mindestens einmal wöchentlich dazu aus, mit einem erfundenen Spruch gegen die Brahmanen zu keifen und die brahmanischen Professoren wiederum lassen sich in Stammtischmanier über ihre Dalit-Angestellten aus. Ich habe es sehr genossen, dass Ayyan am Ende in Sachen Intelligenz seinen Arbeitgebern (und ganz besonders Jana Nambodri) eine kleine Überraschung liefern durfte.
Der Ausflug ins ferne Mumbai war eine wahrlich lebhafte Abwechslung, in ein fremdes Land, in veränderte Denkweisen und dennoch ist einiges nicht wirklich fremd. Indische Wissenschaftler dürften sich in ihren Machtspielchen kaum von den Kollegen unterscheiden, die tausende Kilometer weiter weg forschen. Und eine schöne junge Frau bringt wohl auch sonst eine Männerdomäne in Aufruhr, egal, wie aufgeklärt sie sich gibt. Sehr schön ist übrigens das Titelbild, das mit der Kindheit Acharyas zu tun hat. Trotzdem, mit dem Ausgang der Geschichte hatte der Mann auf dem Elefanten leider nichts mehr zu tun — obwohl er doch das Cover zieren durfte …
Bibliografische Daten
Verlag: Klett-Cotta
ISBN: 978-3-608-93892-0
Originaltitel: Serious Men
Erstveröffentlichung: 2010
Deutsche Erstveröffentlichung: 2010
Übersetzung: Anke Burger