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Adaobi Tricia Nwaubani – Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy

Adaobi Tricia Nwaubani – Die meerblauen Schuhe meines Onkels Cash Daddy

Kingsley, der Erstgeborene, genießt Privilegien. Bei Tisch darf er darauf warten, dass das Essen serviert wird, in seiner dünnen Egusi-Suppe schwimmt ein Stück Fleisch und sein Universitätsabschluss wird mit einer Party gefeiert. Doch die Zeiten in Nigeria sind schlecht, er findet keine Arbeit, und der Brautpreis für Ola, seine süße, wunderbare Ola, ist viel zu hoch. Bildung zählt zwar in Nigeria, doch ohne Geld und ein „Langbein“ geht gar nichts. So nimmt Cash Daddy den Neffen unter seine Fittiche und Kingsley lernt die Spielregeln des Überlebens.

Rezension

Kingsleys Familie legt seit jeher Wert auf eine gute Ausbildung, ordentliche Arbeit, Zuverlässigkeit. Kingsley wurde auf Wunsch seines Vaters Chemieingenieur, doch der erfolgreiche Abschluss nutzt wenig. Es hagelt Absagen, denn den grundehrlichen Leuten fehlen zum Einen die Beziehungen und zum Anderen der Wille und die Möglichkeiten, finanziell nachzuhelfen. Der Vater verdient als Beamter kaum noch etwas und das Übel bricht endgültig herein, als die mageren Ersparnisse für einen Krankenhausaufenthalt gesammelt werden müssen. Der letzte Ausweg ist der unfassbar reiche Onkel Boniface. Das Problem: Dessen Geld generiert sich maßgeblich aus Scammer-Betrug. Boniface sorgt mit Mails, Briefen und Faxen dafür, dass reiche Ausländer investieren, um vermeintliche Vermögen von Nigerianern zu retten oder winidige Wirtschaftsprojekte zu finanzieren. Kein Wunder, dass die Familie da nicht gerne um Hilfe bittet. Doch Kingsleys Gewissensbisse halten nicht lange; er steigt wegen des Geldmangels bald selbst ein und erweist sich als gewitzter „Investment-Berater“. Mit seinem Tun eckt er zu seinem Leidwesen jedoch nicht nur bei der entsetzten Mutter an.

Nwaubanis Buch um den so genannten 419-Betrug faszinierte nicht nur die Juroren des Commonwealth Writer’s Prize, den die Autorin 2010 verliehen bekam. Sie bietet einen interessanten Einblick in die nigeranische Gesellschaft, wo Familienzusammenhalt groß geschrieben wird und innerhalb der Familien strikte Rangordnungen herrschen. Die Rahmenbedingungen ansonsten sind weit von dem entfernt, was man in Europa gewohnt ist: Selbst im Notfall leistet das Krankenhaus nur dann eine Behandlung, wenn vorab bezahlt wird und für jede simple Tablette, jeden Verband oder die Kanülen werden die Angehörigen mit einer Einkaufsliste in die Stadt geschickt. Taxis mögen so voll sein wie hier die Busse, doch Schlaglöcher sind dort keine Sensation, die in die Zeitung gehört. Und eine Familie, die hartnäckig an ihren hehren Grundsätzen festhält, passt nicht so recht in ein Umfeld, das lebhaft organisiert, improvisiert und Beziehungen unterhält.

Auf der anderen Seite steht einer wie Boniface „Cash Daddy“, der sich einen umfangreichen Schuhfundus in fantasievollen Farben leistet, mehrere Autos und einen Prunkpalast als Wohnsitz. Doch so viel Geld er für sich ausgibt, so viel stiftet er gleichzeitig für Stipendien, für Kinder, für Straßen, für die Familie. Cash Daddy handelt fast wie ein moderner Robin Hood und angesichts der Rahmenbedingungen, von denen man erzählt bekommt, schwindet das Mitleid mit den Betrogenen Seite um Seite. Es ist und bleibt Betrug, doch man erkennt auch, dass all die Tricks aus Verzweilung heraus geboren wurden und dass der eine oder andere bei suspekten Gelegenheiten zugreift, um seine Situation zu verbessern. Genug Nigerianer lehnen Scammer ab, doch die böse Buben haben ausreichend Geld, um nötigenfalls die Polizei milde zu stimmen: Bei guter Getränkeversorgung und mit ein paar Spielkarten versorgt warten die Beamten gerne mit einer Verhaftung, bis der Delinquent fertig gebadet hat.

Mir gefällt sehr gut, wie Nwaubani Sympathien und Ärgernis ausbalanciert. Kingsley durchlebt erst die Verzweiflung zu Hause, dann einen Erfolgsrausch bei Cash Daddy und er schlittert zwischen den geteilten Reaktionen auf seine Arbeit hin und her. Obwohl er für seine Familie nun den Verpflichtungen als Ältester nachkommen kann, schämt er sich und sagt den meisten Bekannten nicht die Wahrheit über seinen Job. Völlig konsterniert muss Kingsley auch noch feststellen, dass Scammer keinen ungefährlichen Bürjob haben.

Nwaubani bietet letzten Endes keine perfekte Lösung für Probleme jedweder Art. Ihr Kingsley erweist sich als lernfähig, anpassungsfähig und er stellt auf eine ganz eigene Lösung um, um seinen Lebensunterhalt zu sichern. Einfach ist das Leben in Nigeria nicht, und einfach macht es Nwaubani dem Leser folgerichtig auch nicht. Aber sie macht es mit Gefühl und Humor und die Geschichte lässt einen bis ans Ende nicht mehr los.

Bibliografische Angaben

Verlag: dtv
ISBN: 978-3-423-24861-7
Originaltitel: I do not come to you by chance
Erstveröffentlichung: 2009
Deutsche Erstveröffentlichung: 2011
Übersetzung: Karen Nölle

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