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Literatur, Rezensionen & mehr

Mehr kurze Bücher für den Nachmittag

Mehr kurze Bücher für den Nachmittag

Manchmal müssen es einfach kurze Bücher sein. Zur Überbrückung zum Beispiel. Und manche behaupten ja nicht zu unrecht, man sei viel schneller fertig, wenn Autoren sich kurz fassten. Die neulich vorgestellten drei kurzen Bücher habt ihr schon durch und deshalb sind jetzt wieder neue nötig. Diese kämen in Frage:

Tim Krohn – Nachts in Vals

Eigentlich ist wenig besser geeignet als dieses Buch, wenn’s kurz sein soll. Dafür gibt es natürlich auch einen Grund: Krohn sammelt neun kleine Geschichten, die den Gästen in Vals passieren. Damit ist selbst dieses kurze Buch für mögliche Unterbrechungen prädestiniert. Allerdings wird man solche nach nur schon einer Story nicht mehr goutieren. Alle Gäste, die Krohn hier vorstellt, kommen unter verschiedenen Vorzeichen ins Hotel und werden, wenn sie Vals verlassen, ein neues Stück von sich selbst mitnehmen.

Mit diesen Geschichten bot Tim Krohn im Hotel Therme Zimmerlesungen an. Dieses Konzept entwickelte er für Annalisa und Peter Zumthor, die früher das Kulturprogramm der Therme in Vals gestalteten und Autoren immer wieder eine Bühne für deren Texte gaben. Krohn selbst war bis 2012 regelmäßiger Gast und es heißt über seine Geschichten: „Krohn interessiert sich für … die Auswirkungen, welche der Ferienzustand und im Speziellen die Nacht in den Bergen auf die Angereisten hat.“

Damit ist nicht einfach nur ein besonders netter Abend unter dem Sternenhimmel gemeint. Für seine Figuren wie die Schauspielerin Jlien Meinhard, den Juristen Sven oder den Trompeter Valentin Casutt bedeutet dieser eine Aufenthalt in Vals in der Regel einen großen Umbruch. In Vals kommen zweifelnde Menschen an, für die ein kleiner funkelnder Stern ein Hoffnungsschimmer ist. In Hotelkeller findet ein Musiker zu einem eigenen Sound, den er in der Routine über all die Jahre fast vergessen hat. Ein Paar erkennt sich selbst nicht mehr wieder, ein anderes mit Geldmangel mogelt sich geschickt in die teuren Thermeanlagen.

Eine Kleinigkeit zwar, aber eine, die mir persönlich sehr gut gefällt, sind Krohns Überschriften. Es ist alles „Nacht“ und er findet zu jeder Erzählung die passende Ergänzung. Es gibt die klare und die schwarze, eine lange und eine strahlende und ganz zum Schluss folgerichtig eine letzte Nacht.

Krohn beteuert mittlerweile, er beschreibe einen Ort, den es so nicht mehr gebe. Doch nachts sind die Berge und die Lichter sicher weiterhin so eindrucksvoll, dass ich Vals gerne einmal sehen möchte.

Linktipp zum Buch: Rezension auf Mint & Malve
Linktipp zur Therme Vals: Lucas Harari – Der Magnet (hier auf Bleisatz)

151 Seiten
Verlag: Galiani
ISBN: 978-3-86971-116-4
Erstveröffentlichung: 2015

Elisa Shua Dusapin – Ein Winter in Sokcho

Sokcho, eine Kleinstadt im Nordosten Südkoreas, rund 90.000 Einwohner und vor allem touristisch bekannt für den Nationalpark Seoraksan, der direkt an die Stadt grenzt. Zwar wird die Stadt für ihre Golfplätze, den Strand oder ihr Kulturfestival gepriesen, doch für die junge Hotelangestellte hat die Stadt im Winter nicht viel zu bieten. Es ist kalt, die Pension hat schon bessere Zeiten gesehen. Die Mutter klammert ihr ein bisschen zu viel und die Beziehung zum Freund scheint beiderseits eher ein Arrangement zu sein. Alles in allem recht freudlos. Eines Tages steht ein französischer Zeichner an der Rezeption und mietet sich für längere Zeit zum Arbeiten ein.

Die Erzählerin, selbst Tochter eines französischen Vaters, der sich aus dem Staub gemacht hat, fühlt sich von dem Zeichner angezogen. Vielleicht geschieht es über die gemeinsamen französischen Wurzeln, vielleicht erscheint er als Fremder überhaupt als Tor zu einer vielversprechenderen Welt außerhalb von Sokcho. Die beiden umschleichen einander, ohne sich je nahe zu kommen. Alles ist so frostig wie der Winter, der just in diesem Jahr richtig zuschlägt. Überhaupt ist alles distanziert hier und ziemlich freudlos. Den Freund hat sie halt, so, wie man manchmal versehentlich irgendwas im Laden sieht, kauft und sich hinterher darüber wundert, welche krumme Idee einen da geritten hat. Von der Mutter fühlt sie sich gleichzeitig eingeengt, weiß aber nichts dagegen zu setzen. Und so recht auf den Zeichner einlassen mag sie sich auch nicht.

Das Buch ist wunderbar geschrieben und sehr atmosphärisch. Es ist ruhig und still. Auf den neuen Dusapin freue ich mich daher, gerade wegen des Stils, mit Prägnanz in aller Kürze solche Stimmungen zu erzeugen. Doch ich gebe zu, dass mich das Buch in einem Moment erwischt hat, wo ich eigentlich gerade zuviel hatte von ruhigen, ereignislosen Büchern. Man muss sowas mögen und man muss es im richtigen Moment erwischen.

139 Seiten
Verlag: Blumenbar
ISBN: 978-3-351-05051-1
Originaltitel: Hiver á Sokcho
Erstveröffentlichung: 2016
Deutsche Erstveröffentlichung: 2018
Übersetzung: Andreas Jandl

Haruki Murakami – Birthday Girl

Seit Naokos Lächeln mache ich tapfer einen Bogen um Haruki Murakami. Trotzdem faszinieren mich die Ausgaben jener Kurzgeschichten, die von Kat Menschik illustriert worden. Allen voran das „Birthday Girl“ mit seiner großartigen bibliophilen Gestaltung. Das musste ich dann doch lesen.

Die Geschichte ist wirklich kurz, 60 Seiten, davon jede zweite eine Illustration von Menschik (der zweite Teil des Buchs ist ein autobiografischer Text von Murakami über eigenen Geburtstag): Eine Kellnerin bringt am Abend ihres zwanzigsten Geburtstags dem Inhaber des Restaurants das Abendessen. Sonst übernimmt das der Geschäftsführer, der aber krankheitsbedingt ausfällt. Der Inhaber ist für alle Angestellten daher ein komplett unbekannter Mensch. Umso überraschter ist die junge Frau, als sie von einem sehr höflichen alten Mann empfangen und hereingebeten wird. Sie erzählt, dass sie Geburtstag hat, er lädt sie zu einem Glas Rotwein ein und möchte ihr gerne einen Wunsch erfüllen. Sie solle ihn sich allerdings gut überlegen, denn sie könne ihn nicht wechseln und er könne ihn ihr tatsächlich erfüllen. Jahre später erzählt sie diese Episode einem Freund. Beide überlegen, welche Bedeutung Wünsche eigentlich haben.

Was ich meine, ist, dass ein Mensch, auch wenn ihm alle Wünsche erfüllt werden, nie mehr werden kann, als er ist. Das ist alles.

Alleine für sich ist die Story ein bisschen selbsthilfemäßig drauf – und verflixt lahm und flach. Sie erinnert mich an das Prinzip des Ikigai, der Suche nach innerer Zufriedenheit, der Ruhe in sich selbst. Ob Murakami darüber schreiben wollte?

Wirklich interessant wird das Buch durch die Illustrationen (auf einer davon verewigte Kat Menschik sogar Haruki Murakami selbst). Eine sparsame Farbauswahl in rot, pink, orange und weiß sowie die plakative Stil, von dem ich nie weiß, ob er poppig oder retro ist oder beides und von dem ich nur sagen kann, dass ich ihn überaus liebe. Durch eine Bemerkung kam ich darauf, dass die Farbpalette möglicherweise an den Rotwein erinnern soll, mit dem die Kellnerin an ihrem Geburtstag anstößt und mit dem auch Murakami nach eigenen Angaben seinen Geburtstag feiert.

75 Seiten
Verlag: Dumont
ISBN: 978-3-8321-9858-9
Originaltitel: Bāsudei gāru / Boku non tanjoubu, anata no tanjoubi in der Anthologie Bāsudei sutōriizu バースデイ・ストーリーズ
Erstveröffentlichung: 2002
Deutsche Erstveröffentlichung: 2017
Übersetzung: Ursula Gräfe

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