Mick Herron – Slough House

von Bettina Schnerr
3 Minuten Lesezeit
Header: Mick Herron - Slough House

Wenige Bücher erwarte ich mit so viel Ungeduld wie jene von Mick Herron. Und nur wenige knöpfe ich mir nach der Beschaffung so schnell wie möglich vor und tauche in die Welt des Londoner Geheimdienstes ein. Oder besser gesagt, in die Welt der Verlierer, die es beim MI5 in die Abstellkammer der Behörde geschafft haben. Ihr Zuhause nennt sich „Slough House“ und dort arbeiten unter der Leitung von Jackson Lamb jene, die Observationen vermasselt haben, geheime Unterlagen in der U-Bahn liegenließen oder einen Bahnhof durch Kommunikationsfehler lahmgelegt haben. Und nun verschwindet Slough House gänzlich von der Bildfläche – und keiner weiß warum.

Das Haus wurde schlicht aus den offiziellen Akten gelöscht, mitsamt seinen Mitarbeitern. Doch die immer noch aktiven Leute entdecken plötzlich seltsame Verfolger hinter sich und es mehren sich Todesfälle unter Ehemaligen. Lamb ordnet daher kollektives Untertauchen an. Er setzt die Chefin des MI5 unter Druck, mit gesundem Misstrauen und langer Erfahrung ahnend, dass sie nicht ganz unschuldig an der seltsamen Situation sein dürfte.

Londoner Regeln, Taverner. Wenn du so offen bist, einen Fehler einzugestehen, bist du dumm genug, einen weiteren zu machen.

Und sie ist es tatsächlich nicht. Diana Taverner, die seit „Joe Country“ endlich die lang ersehnte Leitung des Geheimdienstes übernehmen durfte, schlägt in ihrem Machthunger über die Stränge und fängt an, gefährliche Fehler zu machen. Nicht, dass sie die zuvor nie gemacht hätte. Aber inzwischen reiht sie sich in die Reihe derer ein, die sich – einmal an die Macht gekommen – für unverwundbar halten und die ihnen zugestandenen Kompetenzen auf dem Posten für viel zu mickrig. Ihre neuen Kontakte, eingefädelt von einem alten Weggefährten, sind den Anforderungen eigentlich nicht gewachsen.

Ein Liebling im Bücherregal

Die Serie ist inzwischen sieben Teile alt und kein bisschen müde. Mick Herron begeistert mich mit bissigen Seitenhieben und pointierten Kommentaren – hier und da gestreut in den Charakterstudien und Dialogen.

Und faszinierend ist und bleibt die Personenkonstellation. Warum der brillante Lamb überhaupt ein Slow Horse wurde, ist nach wie vor unklar. Herron spart mit Hintergründen. Gleichzeitig bewahrt er den Überblick über ein komplexes Netz an Verstrickungen und Verbindungen. Namen tauchen aus der Versenkung auf, Leute erscheinen auf der Bildfläche und verschwinden wieder, und Lamb kann jeden kleinen Fetzen Information zuordnen, die richtigen Schlüsse ziehen und seine Leute wahlweise richtig in Position bringen oder aus der Schusslinie ziehen. Er entpuppt sich jedes Mal als die einzig ideale Figur, um Slough House aus den Spielchensumpf der Zentrale zu fischen.

Mick Herron - Slough House; Band 7 der Serie "Slow Horses"

Das Verhältnis zwischen Lamb und Taverner ist sehr speziell. In der Vergangenheit hatte er bereits mehrfach ungünstige Informationen über ihre Aktionen in der Hand und diese als Verhandlungsgrundlage schlugen schlussendlich immer zugunsten seines Teams aus. Das klingt, als könnte Taverner eines Tages unrettbar im Galopp über die eigenen Ambitionen stolpern. Nämlich dann, wenn jemand anders als Lamb die ganze Tragweite ihrer Entscheidungen begreift. Denn Lamb geht es vorrangig um das Wohlergehen seines Teams; wer den MI5 schlussendlich leitet, scheint ihm egal zu sein.

Aber viel reizvoller wäre doch die Frage: Ist Lamb am Ende womöglich der einzige, auf den sich eine Diana Taverner in einem künftigen Ernstfall wird verlassen können? Und wäre Lamb bereit, der Chefin trotz der vielen Fallen und Finten tatsächlich die Hand zu reichen und ihren Hals zu retten?

Ich gebe die Hoffnung ganz sicher nicht auf, Jackson Lambs Geschichte irgendwann auf die Schliche zu kommen. Noch ist es nicht so weit – ich weiß nur, dass ich unglaublich staunen und traurig zugleich sein werde. Denn in dem Augenblick, in dem Mick Herron die vielschichtige Story hinter den Slow Horses auflösen wird, dürfte das auch der letze Teil der Serie sein.

Die Serie im Überblick

Bibliografische Angaben

Verlag: Diogenes
ISBN: 978-3-257-30111-3
Originaltitel: Slough House
Erstveröffentlichung: 2021
Deutsche Erstveröffentlichung: 2024
Übersetzung: Stefanie Schäfer

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