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Mick Herron – Slow Horses

Mick Herron – Slow Horses

Mick Herron - Slow Horses

Was passiert mit Mitarbeitern, die heilloses Chaos anrichten? Nachschulen? Kündigen? Beim britischen Geheimdienst MI5 würde man ja gerne letzteres, aber durch die eng gewordenen Budgets entstand eine neue Abteilung. Würde man die fehlbaren Mitarbeiter kündigen, käme sicher eine Stellenstreichung hinterher. Da ist es sicherer, sie mit sterbenslangweiligen Aufgaben einzudecken, die sowieso erledigt werden müssen. Damit die Chaoten auf keinen Fall mehr im Haupthaus gesehen werden müssen, arbeitet sie sogar in einer Außenstelle: Slough House.

Auslagern, bis sie vielleicht von selbst kündigen

Einer der ausgemusterten Agenten ist River Cartwright. Er legte bei einer Übung den Bahnhof King’s Cross lahm, als er eine falsche Zielperson verfolgte. Bis heute ist er stinksauer und überzeugt davon, mit einer falschen Angabe über’s Ohr gehauen worden zu sein. Dass er noch MI5-Mitglied ist, liegt an seinem Großvater. Jener zählt zu den „Legenden“ im Betrieb und an einen Rauswurf des Enkels war nicht zu denken. Umso mehr hofft Cartwright auf eine Rückkehr in den normalen Betrieb.

Eines Tages taucht ein Video im Internet auf: Entführer bereiten eine Exekution vor, die sie live übertragen wollen. Die Zeichen stehen auf Terroristenabwehr, jedenfalls bis herauskommt, wer das geplante Opfer ist. Das Opfer passt nämlich nicht in die aktuelle Lesart, in der seit Ende des Kalten Krieges außer Terroristen keine anderen „Feinde“ existieren. Wer steckt, bitteschön, hinter der Entführung eines jungen Studenten, der in keines dieser Feindbilder beim MI5 passt? Die Mitarbeiter vom Slough House sind nicht weniger alarmiert als die ehrenwerten Kollegen im Regent’s Park. Allerdings erwartet man vom Slough House Stillhalten, Daten sortieren, Müll durchwühlen, Telefonate transkribieren.

Die glorreichen Haudegen

Chef der ausgemusterten Agenten ist Jackson Lamb. Eigentlich ein sehr gewiefter Kopf, der seinen Job offenbar hinter dem Eisernen Vorhang gelernt hat. Warum er in Slough House gelandet ist, weiß nur er selbst. Der Hacker Roderick Ho versucht seit seiner Versetzung zu Lamb den Hintergrund herauszufinden, landet aber in einer Informationssackgasse. Er kennt von seinen Kollegen ansonsten alle Ursachen bis auf zwei und das nagt an seinem Hackerstolz. Die zweite Unklarheit ist Sid Baker, die noch nicht lange dabei ist und sich das Büro mit Cartwright teilen muss. Zu den Kollegen gehört unter anderem Jed Moody, mindestens genauso undurchsichtig wie Lamb. Oder Catherine Standish, die den Laden am Laufen hält. Sie war einst fast im Zentrum der Macht tätig, bis sie ein Selbstmord im engsten Umfeld aus der Bahn warf.

Sie waren durch das Schicksal und falsche Entscheidungen zusammengewürfelt worden und hatten noch nie zuvor Team agiert. Irgendwie war es ironisch, dass sie gerade jetzt damit begannen, als das Team beträchtlich geschrumpft war.

Von den Mitarbeitern in der Außenstelle sorgt keiner für eine passabel kollegiale Atmosphäre. Niemals würden sich zwei Kollegen gemeinsam in der Kaffeeküche aufhalten. Dass die Leute aus Slough House plötzlich ihre alten Fähigkeiten entdecken, geschieht eher durch Zufall. Plötzlich hängen sie in der Geschichte um den Entführten drin. Und Lamb riecht den Braten: Wenn etwas schiefläuft, wird man es ihnen anhängen.

Schachpartie zwischen David und Goliath

„Slow Horses“ hätte man übersetzen können, sollte man besser nicht. „Lahme Gäule“ klingt nicht, „lahme Klepper“ genauso wenig, „langsame Pferde“ trifft es nicht. Zumal die Klangähnlichkeit zu Slough House verschwunden wäre. Ich bin froh, dass der Verlag den Originaltitel gelassen hat. Man darf gespannt sein, wie der Verlag die kommenden Titel löst, denn Mick Herron hat inzwischen eine mehrteilige Serie aufgebaut und die wird in Zürich sicher fortgesetzt.

Wie Slough House sich am Ende behauptet, wird nicht jedem in Regent’s Park schmecken, aber sie haben für sich selbst zu einer Stärke zurück gefunden, die sie, verkrochen in einem abgehalfterten Bürohaus, vermutlich schon gar nicht mehr gesehen haben. Bis dahin hat man als Leserin schnelle Wendungen und unvorhersehbare Kniffe zu stemmen, die ausgezeichnet zur Spannung beitragen. Ohne die Raffinesse von Lamb oder die Reaktionsgabe seiner Mitarbeiter wäre ich als MI5-Niete nicht einmal neben Lamb gelandet, sondern nach spätestens zwei Schachzügen draußen gewesen. Vorhersehen konnte ich gerade einmal, dass es River Cartwright am Ende ganz sicher gut gehen wird.

Bibliografische Angaben

Verlag: Diogenes
ISBN: 978-3-257-07018-7
Originaltitel: Slow Horses
Erstveröffentlichung: 2010
Deutsche Erstveröffentlichung: 2018
Übersetzung: Stefanie Schäfer

Slough House – Die Serie

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