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Zwischen Wahnsinn und Kawaii

Zwischen Wahnsinn und Kawaii

Ein Buch, auf das ich seit seinem Erscheinen ziemlich neugierig war, ist Dennis Gastmanns „Der vorletzte Samurai“. Vor Kurzem zog es ins Haus ein, es lag auch nicht lange träge rum. Unbedingt wollte ich wissen, wie Gastmann das Land seiner Familie erlebt und was er darüber schreibt: Seine Frau Natsumi ist Tochter einer Japanerin und auf der Hochzeitsreise lernt er deren Onkel und Tanten in verschiedenen Landesteilen kennen, kombiniert mit den wichtigsten touristischen Zielen Japans. Bis dahin kannte er Japan nur aus Erzählungen und von einer Stippvisite in seiner Funktion als ARD-Reporter.

Irgendwann erwähnt Gastmann, dass er sich mit einem Freund in Tokyo treffen will, Christoph Neumann. Im Kopf ratterten in jenem Augenblick die Synapsen: Moment mal, liegt das Neumann-Buch wegen seines Titels nicht schon seit Ewigkeiten gekonnt ignoriert auf dem Stapel? Na, dann hole ich es eben doch heraus …

Das verstaubte Buch

Selten fand ich einem Buchtitel nämlich so doof wie „Darum nerven Japaner“, also verschwand das Buch erst einmal im Regal (mein Exemplar hat wegen der „Lagerzeit“ auch ein anderes Cover als die aktuelle Ausgabe). Der Titel lag sicher sechs Jahre dort herum. Ich bekam ihn, bevor ich nach Japan zog und im Nachhinein war es gar nicht so schlecht, das Buch nicht vorher gelesen zu haben. Jetzt aber, mit ein bisschen eigener Japan-Erfahrung, war es eine großartige Idee, das Buch aus der Versenkung zu heben.

Christoph Neumann zog als Austauschstudent nach Japan, studierte und promovierte in Tokyo in Computerlinguistik. Mehrere Jahre lang trat er in einer wöchentlichen TV-Show als Studiogast auf (im verlinkten Video taucht er selber auf). Name der Sendung: ここが変だよ日本人, in etwa: Die spinnen, die Japaner! Seit ich das weiß, verwundert der Buchtitel schon gar nicht mehr so sehr; ich hab’s nur viel zu spät kapiert. Das Buch erschien zuerst auf Japanisch und war, sagt „Noiman-san“, ebenso populär wie die Sendung.

Das Leben zwischen Kontrasten

Unterschiedlicher könnten die Bücher und Erfahrungen der beiden Autoren kaum sein. Umso spannender ist es, die beiden Bücher nacheinander zu lesen, um die Kontraste zu erfahren. Gastmann schreibt über ein Japan, wie wir es aus Erzählungen kennen: Voller Rituale und dem Nebeneinander von magisch anmutender Tradition und knalliger bis supertechnischer Moderne. Voller Rätsel, die sich alleine schon aus der Betrachtung der Schrift ergeben. Das Japan, das man als Tourist erlebt, ist ziemlich spannend. Mit seiner Frau besucht er eine Bar in Kagoshima. Dort wird er mit Staunen empfangen:

„Also das habe ich noch nicht erlebt. Da sitzen wir seit dreißig Jahren an diesem Tresen hier, und zum ersten Mal spaziert ein Ausländer zur Tür herein.“

Dennis Gastmann wird quasi Ehrengast an diesem Abend und alle haben einen Heidenspaß. Ganz anders läuft das bei Christoph Neumann. Auch ihm wird eine Sonderbehandlung zuteil: Im Schwimmbad kommt extra ein Bademeister, um ihn darüber zu belehren, wie die Bahnen zu ziehen sind. Dabei war Neumann schon eine Weile „korrekt“ im Wasser unterwegs. Das hätte der Bademeister merken können (hat er vermutlich auch). Das Gespräch mit dem Gaijin lief in fließendem Japanisch ab (der Gaijin war also auch in der Lage, Hinweise zu lesen) und dennoch: Ein Ausländer kann die Gepflogenheiten unmöglich kennen und richtig machen und muss folglich erzogen werden. Neumanns Buch ist voll von Begegnungen dieser Art.

Das ist geregelt!

Überhaupt ist in Japan alles geregelt. Eine andere Schwimmbadanekdote von Neumann erzählt, wie er ein Bad verlässt. Von der Umkleide aus kann man links oder rechts an der Kasse hinausgehen. Er wählt, in Gedanken, jene Seite, auf der er auch hereingekommen ist. Das ist leider nicht das, was die Schilder vorschreiben! Damit das unbedingt seine Ordnung hat, ordnet der Kassierer an:

„Bitte gehen Sie noch einmal zurück in die Kabine und kommen Sie dann auf der richtigen Seite heraus.“

Damit die Japaner bloß nichts vergessen, hängen überall kleine Tafeln mit weiteren Ermahnungen und —was mir dank rudimentärer Sprachkenntnisse komplett erspart blieb— die Leute setzen auch sehr gerne auf belehrende Durchsagen. Gastmann trifft auf einen ganz besonders seltsamen Auswuchs der Regelungswut in Beppu: Eine der „sieben Höllen“ dort (so heißen dort sieben Sehenswürdigkeiten) ist ein Geysir mit einer Fontänenhöhe von mehr als dreißig Metern. Davon zu sehen ist leider nichts. Damit die Fontäne nicht „unkontrolliert ausbricht“, wurde der Geysir in eine Steinhülle (Video) gepackt, die der imposanten Naturgewalt nach ganz wenigen Metern ein Ende setzt.

Zwei Bücher, zwei Impressionen, ein Land

Welches Buch soll’s nun sein? Ganz einfach: Beide, am Besten in der Reihenfolge Gastmann-Neumann. Auch danach wird das „Bild“ noch nicht vollständig sein, aber man erwischt auf alle Fälle deutlich mehr Facetten. Sehr spannend ist in diesem Zusammenhang ein Kommentar, den ich zur TV-Sendung „Die spinnen, die Japaner“ gelesen habe: Kritik wird in Japan sehr zurückhaltend geübt. Die Sendung sei daher eine Möglichkeit, mit Show-Elementen kritische Themen auf den Tisch zu bringen und über die Hintertür zur Diskussion anzuregen. Neumanns Buch, das unter anderem durch seine TV-Beteiligung inspiriert wurde, wurde ebenso heiß und innig diskutiert.

Das Buch von Dennis Gastmann symbolisiert den Beginn aller Japan-Erfahrungen, jenes von Christoph Neumann den Alltag davon. Ich stecke irgendwo dazwischen, zwischen Faszination und Kopfschütteln, und müsste ich ein Buch über Japan schreiben, es läge irgendwo in der Mitte.

Bibliografische Daten

Dennis Gastmann – Der vorletzte Samurai
Verlag: rowohlt Berlin
ISBN: 978-3-7371-0011-3
Erstveröffentlichung: 2018

Christoph Neumann – Darum nerven Japaner
Verlag: Piper
ISBN: 978-3-492-24508-1
Originaltitel: Iketenai nippon – Nihonjin no honto no tokoro
Erstveröffentlichung: 2001
Deutsche Erstveröffentlichung: 2002


Foto: Jason Ortega, unsplash

2 comments

  1. Es gehört zum guten Ton von Auslandkorrespondenten, ein Buch über das Gastland zu schreiben. Leider wurden die guten Bücher durch noch bessere Youtube Videos ersetzt, die bis zu drei, vier Millionen Aufrufe haben. So schnell geht’s. Grüße aus Tokio!
    Thorsten J. Pattberg, Autor der Lehre vom Unterschied

    1. Bettina Schnerr says:

      Da hast du sicher Recht, Thorsten, bewusst hätte ich diese Tradition gar nicht wahrgenommen.

      Bei Gastmann schätze ich die zunächst ungeplante Verbindung, die sich zu Japan durch die Liebe ergeben hat – als Korrespondent hatte er mit dem Land ansonsten ja nicht viel zu tun. Aber mit dem Hintergrund dieses „guten Tons“ warte ich natürlich, ob Uwe Schwering liefert 😉

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