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Alexa Hennig von Lange – Kampfsterne

Alexa Hennig von Lange – Kampfsterne

Alexa Hennig von Lange - Kampfsterne

Neubausiedlungen wie jene, in der Rita lebt, gibt es viele. Man kennt sich, die Kinder spielen miteinander. Es gibt Gartenfeste und den Schnack am Zaun. Und natürlich hockt man schon ganz schön eng aufeinander, in so einer praktisch dörflichen Struktur. Hier ist ständig greifbar, was die anderen machen und das fordert heraus. Die Kinder werden zu Intelligenztests geschleppt und gefördert, wo es nur geht. Mittelmaß geht hier nicht. Wie in der Werbung: Mein Haus, mein Auto, mein Boot, mein Urlaubsdomizil, meine Kinder, mein Garten, mein Hobby. Alles wird verglichen. Ehemänner, Garten, Einrichtungsstil. Job, Familienverhältnisse, Kleidung.

Hier sind Röcke mit gebügelten Blusen angesagt, Perlenohrringe. Schicke Frisuren. Was man eben so macht, wenn man in der modernen Gesellschaft eine angemessene Rolle spielen will.

Zehn der Bewohner lässt Alexa Hennig von Lange in ihrem Roman erzählen. Mit ihnen baut sie ein Kaleidoskop der Eindrücke auf: Jede Person erzählt aus ihrer Perspektive, die Abschnitte sind teils nur sehr kurz. Die Menschen berichten, was passiert. Die Abschnitte greifen ineinander und vermitteln das Bild von Menschen, die schick leben, aber im Innern unzufrieden sind.

Reden geht, aber nicht miteinander

Das Gefühl, dass alles falsch läuft, macht bei Hennig von Lange weder vor den Erwachsenen noch vor den Jugendlichen Halt. Was fehlt, ist ein Miteinander, das einen wohlwollenden Blick auf den anderen zulässt. Darüber sagt Alexa Hennig von Lange selbst:

Über die Eltern im Buch heisst es Gibt es einen Ort an dem man grösser scheitern kann als in den Erinnerungen seiner Kinder?
Oh ja! In ihrem Kosmos gehen sie in ihren Monologen nicht gerade zimperlich miteinander um. Es herrscht wenig Verständnis für die Handlungsweise des Gegenübers. Bei so wenig Mitgefühl ist es kein weiter Weg bis zu dem Punkt, an dem Eltern in den Augen der Kinder total scheitern. Dabei sollte man immer schauen, wie der Blick auf die anderen gerät. Ist er stimmig oder ist es ein subjektiver Blick, der ganz Vieles nicht erkennt?

Die Figur, mit der sie den Roman eröffnet, ist Rita. Die nimmt den Leser gleich mittenrein in das Leben dieser Siedlung. Damit eröffnet sie auch einen Blick auf sich selbst: Da haben sich Träume nicht erfüllt und sie ist so unglücklich, dass sie nach Kräften über andere herzieht, um sich selbt ein bisschen besser fühlen zu können. Es tut richtiggehend weh, von soviel Selbsthass und Unzufriedenheit zu lesen und — zumindest mir geht es so, — dass Bekannte aus meiner Vergangenheit auftauchen, die „Rita“ waren.

Schubladen funktionieren hier nicht

Die Geschichte schaukelt sich innerhalb kurzer Zeit hoch. Da ist es geradezu harmlos zu lesen, dass Eltern pikiert langjährige Spielkameraden ihrer Kinder aussortieren und sogar identische Kleider für jene kaufen, die ihnen genehm sind. Zu leichteren Identifikation für die einen, als klare Demütigung für die andern. Die Mutter kommt natürlich total doof rüber, aber so einfach hat man’s in dem Roman nicht.

Hier trägt jeder sein Rucksäckchen und wenn man einfach wegliest, übersieht man schnell, dass hinter solchen depperten Aktionen (die später zum Glück torpediert wird) Ängste und Frustrationen stecken. Nur fallen den Charakteren entweder keine klugen Ventile dafür ein oder sie haben sich selbst so hochgeschraubt, dass ihnen ein wenig mehr Empathie wie ein Sturz vorkommen würde. Am Ende lässt Hennig von Lange keine der Familien raus aus der Falle: Es geschehen schmerzhafte Verbrechen, die ein Umdenken erzwingen.

Meine Mutter soll endlich dafür sorgen, dass ich nicht mehr verletzt werde. Sieht sie nicht, dass ich längst gefesselt auf dem Scheiterhaufen ihrer gesammelten Versäumnisse stehe?

Gibt es Aussicht auf Besserung? Der Roman deutet am Ende nur an, dass es klappen könnte. Es passt eigentlich auch nicht zur Story, hätte Alexa Hennig von Lange ihnen ein Happy End irgendeiner Art gegönnt. Dem Licht am Ende des Tunnels entgegen (so viel liefert die Autorin dann doch), da müssen die Ritas, Ullas, Georgs und Rainers alleine durch.

Ein ausführliches Interview mit Alexa Hennig von Lange gibt es auf thurgaukultur.ch: «Hinter Neid steht oft Bedürftigkeit»

Bibliografische Angaben

Verlag: DuMont Buchverlag
ISBN: 978-3-8321-9774-2
Erstveröffentlichung: 2018

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