Anthony McCarten – Going Zero

von Bettina Schnerr
4 Minuten Lesezeit
Fingerabdruck: Header für "Going Zero" von Anthony McCarten. Foto: Immo Wegmann, unsplash
Going Zero - Anthony McCarten

Die Idee für das Spiel „Fusion“ klingt verlockend: Schafft man es, dreißig Tage lang vom Radar zu verschwinden und sich so zu verstecken, ohne vom Suchtrupp des Veranstalter erwischt zu werden? Wem das gelingt, winkt ein Preisgeld von drei Millionen Dollar. Die Veranstalter, das sind der US-Geheimdienst CIA und der Social-Media-Mogul Cy Baxter, Betreiber von „WorldShare“. Zehn Menschen werden es auf den Befehl „Go Zero“ hin versuchen und eine davon ist die Bibliothekarin Kaitlyn Day aus Boston.

Als Day per SMS den Befehl zum Abtauchen erhält, wittert Cy Baxter eine leichte Beute. Die junge Frau hebt Geld am Automaten ab. So kann sie identifiziert werden und zuerst von den allgegenwärtigen Kameras und schon wenig später vom Suchtrupp verfolgt werden. Doch Day schlägt den Fusion-Leuten ein Schnippchen nach dem anderen. Sie zeigt sich gut über zahlreiche Suchmethoden informiert und hat während der Vorbereitungszeit ihre Hausaufgaben äußerst gründlich gemacht — genau genommen: viel zu gründlich. Für Baxter wird die clevere Frau Tag für Tag bedrohlicher, denn es geht für sein Unternehmen um richtig viel Geld.

Profile und Bankdaten als Tech-Spielzeug

Denn „Fusion“ ist Cy Baxters Betatest für ein Sicherheitskonzept, das er dem CIA verkaufen möchte. Es kombiniert Geheimdienstmittel mit dem gigantischen Datenschatz aus seinem Social-Media-Unternehmen. Während der CIA Daten nur in einem juristisch eng festgelegten Rahmen sammeln und nutzen kann, verfügt ein Social-Media-Unternehmer wie Baxter über Daten, an die der CIA niemals herankäme. Und der Clou: Die Menschen haben all diese Informationen freiwillig herausgegeben.

Fusion kann also nicht nur Kameraaufnahmen oder Konten prüfen. Musikvorlieben, die durch die sozialen Medien bekannt sind, können ebenso getrackt werden wie Lebensmittelkäufe und die künstliche Intelligenz kann sogar Ganganalysen vornehmen. Den Stromverbrauch eines Hauses auf Auffälligkeiten tracken? Quasi ein alter Hut. Kann man in so einem Umfeld seine Datenspuren auf Null reduzieren?

Ungebremst, unreguliert, unverstanden

Zu Beginn zeigt Anthony McCarten sein „Going Zero“ tatsächlich noch als cleveres Spiel. Aber der Autor zeigt schnell, dass die Datensammlung und -auswertung praktisch keinen Spielraum mehr lässt, gerät man einmal in den Filter. Das eigentliche Business ist eben die ständige Weiterentwicklung der Datenanalyse und -korrelation. Shumeet Baluja hat in Silicon Jungle vor Jahren bereits Google aufs Korn genommen und McCarten übernimmt das nun für Dienste wie Facebook.

Diese Tech-Giganten können tun und lassen, was sie wollen, konnten in den letzten zwanzig Jahren ungehindert Wissen über die Erfahrungen ihrer User und ihre persönlichen Daten aneignen, im Prinzip stehlen, sie verwalten und manipulieren, und niemand aus der Regierung hat auch nur ‚buh‘ gesagt. Ist es da überraschend, dass sie heute die fast vollständige Kontrolle über die Produktion, Organisation und Präsentation von Informationen auf diesem Planeten haben?

Cover der US-amerikanischen Ausgabe von „Going Zero“ in Anlehnung an die häufig eingesetzte Gestaltung von George Orwells Überwachungsdystopie „1984“ mit einem Auge.

Eine Alternative haben allerdings selbst online-abstinente Menschen nicht, Spuren hinterlassen sie unweigerlich. Facebook ist bekannt dafür, über Menschen Schattenprofile anzulegen, die keinen eignen Account besitzen. Auch „Fusion“ wird sich bei seinen Analysen nicht auf die Spielteilnehmer beschränken. Das geschieht so selbstverständich nebener, dass man dieses Ausmaß kaum bemerkt. Im Gegensatz zu den zehn Mitspielern haben sie jedoch keine Vereinbarung mit dem Veranstalter getroffen. Der Zugriff auf Daten ist für „WorldShare“ so selbstverständlich, dass die Analysten nicht eine Sekunde zögern.

Das Wohl der nationalen Sicherheit?

Cy Baxter ist vollends davon überzeugt, seine Datenauswertung sei Dreh- und Angelpunkt der nationalen Sicherheit. Eine Gewichtung von Privatsphäre gegenüber Sicherheit meint er zu wahren, doch seine Haltung zeugt von einer tiefen Naivität. Die Verzerrung geht auf einen persönlichen Verlust zurück und wird mit technischem Knowhow kaschiert. Baxter folgt der Illusion, totale Kontrolle bedeute totale Sicherheit.

So kommt der Social-Media-Tycoon zu dem äußerst kippeligen Standpunkt, Datenmissbrauch als unvermeidliche Kleinigkeit abzutut, solange „seine“ Sicherheit gewährleistet ist. Wahrscheinlich auch aus der irrigen Annahme heraus, solch ein Datenmissbrauch würde ihn nicht treffen – wie so viele andere Dinge, von denen wir meinen, sie stießen nur anderen zu. Er unterteilt Datensammlung in „gut“ und „schlecht“, bekommt – das spürt er selbst – die Grenze nicht zu fassen und merkt nicht, dass er die fatale Konsequenz seiner Arbeit längst kennt.

Das ist Überwachung vom Feinsten. Und auf die amerikanische Art, nicht dieses pauschale Alles-immer-überall-Aufnehmen der Chinesen.

Vom Nehmen und Nicht-Geben

Kaitlyn Day ist genau jener Mensch, der beweist, dass der Besitz von Informationen keinen Schutz bedeutet. Sie ist jemand, der dem Staat oder Social Media zahlreiche Daten überlässt, ob nun freiwillig oder unfreiwillig, vom Staat aber alleine gelassen wird. Die Gleichung vom Geben und Nehmen geht auf staatlicher Ebene nicht auf. Das liegt nicht daran, dass es nicht gehen würde. Sondern dass es einfach nicht gewollt ist.

Anthony McCarten verpackt die Aspekte von Datensammlung und Datenschutz in einen unglaublich spannenden Roman. Einen, in dem man mit Kaitlyn Day mitfiebert und hofft, dass sie für jede Gefahr den richtigen Ausweg vorbereitet hat. Einen, den man als Leserin und Leser mitspielt und überlegt, wie man so ein Versteckspiel selbst anpacken würde. Allerdings nur, um dann zu merken, dass man einer so fein vernetzten Überwachungstechnologie nichts entgegenzusetzen hat.

Am Ende passiert parallel zur rasanten Unterhaltung das, was McCarten in einem Interview zu „Going Zero“ gesagt hat: „Meine Wut wurde größer, je mehr ich mich damit beschäftigte.“ Obgleich auf Titeln wie „Going Zero“ oder GRM auch „Roman“ stehen mag, ist die unkontrollierte Datenbearbeitung im Hintergrund längst da. Und die Romane verhandeln folglich die Frage, wie lange und wie weit wir als Gesellschaft die Kontrolle noch aus der Hand geben wollen und mit welchen Konsequenzen.

Bibliografische Daten

Verlag: Diogenes
ISBN: 978-3-257-07192-4
Originaltitel: Going Zero
Erstveröffentlichung: 2023
Deutsche Erstveröffentlichung: 2023
Übersetzung: Manfred Allié, Gabriele Kempf-Allié

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