Oberkommissar Samejima, 36, ist Idealist: Er schert sich weder um den Ehrenkodex der Yakuza, noch um die Bereitschaft vieler seiner Kollegen wegzusehen, wenn es um deren Geschäfte geht. Korruption, dunkle Machenschaften und Absprachen sind für ihn unvereinbar mit dem Job als Polizist. Das kostet ihn allerdings die Karriere. Er wird ins härteste Revier nach Shinjuku abgeschoben. Sein kompromissloses Vorgehen bringt ihm bald den entsprechenden Spitznamen ein: Der Hai von Shinjuku.
Bloß kein Bandenkrieg!
Wer in der Unterwelt ermittelt, dem eröffnet eine interessante Spur oft eine Verknüpfung zu anderen kriminellen Tätigkeiten. Durch solch eine zufällige Verknüpfung wird auch Samejima auf eine merkwürdige Aktivität in seinem Revier aufmerksam. Im Stadtteil Okubo observieren der Eingreiftrupp und die Abteilung für öffentliche Sicherheit ein Wohnhaus, in dem illegales Glücksspiel angeboten wird. Drahtzieher sind Yakuza aus Taiwan, die sich parallel zu den japanischen Yakuza etablierten und oft auch geschäftliche Beziehungen miteinander unterhalten.
Während der Observation fällt ein Mann besonders auf, dessen Härte sogar durch die Videokamera spürbar ist. Durch Zufall erkennt Samejima den Mann kurz darauf vor einem taiwanesischen Restaurant wieder. Er setzt sich instinktiv auf seine Fährte und erfährt dadurch von einem taiwanesischen Rachefeldzug, der demnächst auf Tokyos Straßen stattfinden könnte.
Denn die Yakuza vom Ishiwa-Clan beherbergen offenbar das taiwanesische Clanoberhaupt Ye Wei, mit dem sie seit Jahren beim Schmuggel zusammenarbeiten. Nachdem Ye einen Auftragskiller verraten hatte, steht er selbst auf dessen Abschussliste und findet in Tokyo Unterschlupf. Aber Ye weiß, dass der Killer geduldig warten kann und seine Opfer bisher nie verfehlt hat. Ye weiß auch, dass dieser „Giftaffe“ seine Spur in Tokyo finden wird. Ein taiwanesischer Elitepolizist, ähnlich hartnäckig und unnachgiebig wie Samejima, sucht in Japan auf eigene Faust nach jenem Killer. Samejima will verhindern, dass der Killer auf seinem Rachefeldzug einen Bandenkrieg der Yakuza anzettelt. Denn sobald Yakuza sterben, werden alle anderen Clans nervös.
Arimasa Osawa zeigt direkt und illusionslos, was hinter den Kulissen des organisierten Verbrechens passiert. Samejima jagt gleich zu Beginn einen Händler von Glue, Lösungsmittel und Verdünner, die zum Schnüffeln eingesetzt werden. Dabei erklärt Osawa nicht nur die Organisation des Geschäfts, die Folgen des Glue-Konsums, sondern eben auch, warum außer einem wie Samejima kaum ein Polizist seine Mühen auf die Verfolgung des Glue-Handels verschwendet. Obwohl die Folgen gleichermaßen verheerend sind wie bei anderen Drogen, bringt Glue wenig Lorbeeren auf der Karriereleiter ein und viele Polizisten kümmern sich daher nicht um dieses für die Yakuza einträgliche Geschäft.
Eine Organisation gerät außer Kontrolle
Die japanische Yakuza arbeitet streng reglementiert. Es gibt Hierarchiestufen, Absprachen, klare und akzeptierte Grenzen. Es ist daher kein Problem, wenn in einem Haus verschiedene Clans in verschiedenen Etablissements agieren. Dagegen ist die Arbeitsweise der Taiwanesen spontaner und härter. Und mit der Denk- und Arbeitsweise des Giftaffen kommen die Yakuza erst recht nicht zurecht.
Ye kann als Gast nichts in der Befehlskette ausrichten und ist besorgt, ob sich seine Geschäftspartner richtig vorbereitet haben. Er spürt, dass sich Hata, einer der wichtigsten Köpfe der Ishiwa, sehr wundert, weil Ye vor einem einzelnen Mann solche Angst hat. Erst nach dem Tod mehrerer Yakuza begreift Hata, dass Giftaffe nicht nach japanischem Usus spielt. Erst da kann Ye die Gegenwehr ein wenig steuern, aber dafür ist es schon zu spät. Zu diesem Zeitpunkt haben Ishiwas Leute vor lauter Wut schon längst die Kontrolle verloren und bekommen das Heft von einem Killer aus der Hand genommen, der mit einem Knowhow und einer Effizienz arbeitet, auf die die Yakuza nicht vorbereitet ist.
Samejima erfährt eher durch Zufall, dass der Giftaffe mit seinem Rachefeldzug angefangen hat. Der taiwanesische Polizist Guo identifiziert die Todesursache eines der Opfer als einen speziellen Taekwondo-Tritt, das Markenzeichen des Giftaffen. Die Suche nach dem Killer wird zu einem Wettlauf gegen die Zeit. Beide Gruppen, sowohl um Ye als auch um Samejima, verstehen, wie der Killer vorgegangen ist und nach welcher Strategie sie ihn finden können. Schon bald greifen nervöse Yakuza andere Asiaten an, weil ihnen jeder verdächtig erscheint, der chinesisch spricht.
Darin offenbart sich — neben den Arbeitsweise der taiwanesischen Clans — ein weiterer cultural clash in diesem Buch. Japan und China sind historisch über verschiedene Schnittpunkte verbunden und es sind zwei Länder, die sich nicht sonderlich mögen. Besonders deutlich wird das am Beispiel von Nami, einer Hostess. Als Kind einer japanischen Mutter in China aufgewachsen, ist sie doch nach ihrer Rückkehr nach Japan eine Außenseiterin. Sie lernt, ihre Vergangenheit zu verstecken, um nicht angefeindet zu werden. Die so genannten „Kriegswaisen“ wie Nami sind nach nur einer Generation im Ausland schon nicht mehr gern gesehen.
Ein starkes Krimipaket

Osawa spart am Showdown überhaupt nicht. Die kriminelle Energie ballt sich unweigerlich zu einem explosiven Knoten zusammen, der gar nicht anders zu lösen ist als mit einem Ausbruch aller Wut und Rachsucht, die sich in Giftaffe, Ye und den Yakuza angestaut hat. Im Shinjuku Park entscheidet sich, ob die Yakuza Giftaffe erfolgreich eine Falle stellen können oder ob der ehemalige Elitesoldat seine zahlreichen Gegener alleine zu eliminieren vermag.
Im Lauf der Zeit nimmt das Buch enorm an Tempo auf und bietet vier Charaktere, deren Schicksal nicht gleichgültig bleibt. Nicht nur Samejima und Guo gehören ganz selbstverständlich dazu. Auch Nami entwickelt sich zu einer Identifikationsfigur, der man beistehen möchte. Selbst der Giftaffe zeigt an einigen Stellen eine Persönlichkeit, für die sich mit der Zeit Sympathien entwickeln.
„Der Giftaffe“ ist ein starker Krimi, der nur einen entscheidenden Nachteil hat: Es gibt keine Fortsetzung. Außer den zwei existierenden Übersetzungen dieser Serie (eben Giftaffe & Der Hai von Shinjuku) gibt es, anno 2016, keine weiteren Werke Osawas zu lesen. Selbst im Englischen, wo man sonst mitunter mehr Glück hat, findet sich nichts. Dann machen wir es so: Erfreuen wir uns daran, dass wir uns immerhin von diesen zwei Bücher fesseln lassen konnten statt gar keine von Osawa je kennengelernt zu haben.
Bibliografische Angaben
Verlag: Pendragon
Originaltitel: Shinjukuzame 2 – Dokuzaru, 毒猿 新宿鮫
Erstveröffentlichung: 1991
Deutsche Erstveröffentlichung: 2007
Übersetzung: Katja Busson
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