Martin Walker – Grand Prix
Fall Neun für den smarten Polizisten aus Saint-Denis wartet mit einer Oldtimer-Parade auf: Bruno Courrèges begegnet Auto-Enthusiasten aus ganz Europa und weltbekannten Rallye-Fahrern. Einige davon nutzen ihren Abstecher ins Périgord, um dort einen verschollenen Bugatti 57 SC Atlantic zu suchen, der in der Umgebung von Saint-Denis vermutet wird. Außerdem taucht mal wieder Isabelle aus Paris auf, um nach Geldgebern und Geldwäschern für internationalen Terror zu suchen. Ein typischer Walker-Mix wird daraus mit einer Affäre für Bruno und viel gutem Essen und ohne Lokalpolitik geht natürlich auch dieses Buch nicht zu Ende.
Das kann in diesem Maßstab gar nicht gut gehen. Das ist im Prinzip beim ersten Toten klar, bei dem man als gewiefter Bruno-Kenner nicht nur ahnt, sondern bereits sicherer weiß als Bruno selbst, dass es nicht mit rechten Dingen zugegangen ist. Mein Vorteil: Ich muss vor Staatsanwälten nicht mit vagen Vermutungen kostspielige Untersuchungen einfordern.
Die Zeitschiene aus den 1930er und 1940er Jahren spannt Walker über eben jenen Bugatti ein, der während der Kriegsjahre tatsächlich verschollen ging. Dass die beiden letzten bekannten Fahrer des Wagens zugleich Mitglieder der Résistance waren, ist für Walker die perfekte Steilvorlage: Die alten Männer aus Saint-Denis könnten sich möglicherweise an Einzelheiten erinnern, denn es leben nach wie vor Schulkameraden von Résistance-Mitgliedern, Verwandte oder Angestellte aus früheren Résistance-Standorten. Auch akribische Archivare und Historiker hat die Gegend noch zuhauf.
Es wäre kein Bruno-Krimi, wenn Saint-Denis nicht alles einen Tick besser lösen würde als die Nachbarorte, wenn Bruno nichts ordentliches zu essen bekäme, wenn er nicht nach Mondkalender gärtnern und mit Hector ausreiten könnte und wenn er nebenher nicht noch ein paar Buben aus dem Ort das Grünzeug hinter den Ohren wegputzen würde. Das Rezept der lockeren Krimi-Unterhaltung mit „Ich will auch mal nach Saint-Denis“-Effekt funktioniert noch.
Eine Übersicht über die Chronologie der Bruno-Serie findet ihr in der Buchvorstellung von Bruno, Chef de Police.
ISBN: 978-3-257-06991-4
Erstveröffentlichung: 2016
Deutsche Erstveröffentlichung: 2017
Verlag: Diogenes
Übersetzung: Michael Windgassen
Thomas Raab – Der Metzger sieht rot
Seine geliebte Danjela schafft es, Willibald Adrian Metzger ins Fußballstadion zu kriegen. Das Lokalderby steht an, Kicker Saurias Regis gegen SK Athletik Süd. Was Metzger im Stadion antrifft, gefällt ihm gar nicht. Das liegt aber nicht am Sport (wobei der einen erklecklichen Anteil hat). Die Fankurve der Saurias-Kicker zeichnet sich durch einen horrenden Rassismus gegenüber dem eigenen Torhüter aus, einem Supergoalie aus Ghana. Nach der Halbzeit kippt jener tot um und Metzger schockiert das Ereignis Fußball gleich doppelt. Danjela wittert etwas Ungewöhnliches und geht mit ihrer Freundin Suzanne, Chefin der Putztruppe im Stadion, auf Erkundungstour. Von der kommt sie allerdings nicht zurück: Sie landet zusammengeschlagen auf der Intensivstation.
Obwohl der Krimi schon zehn Jahre auf dem Buckel hat, hat er an Aktualität oder Brisanz nichts verloren. Beim sozialen Miteinander beweist Raab scharfe Beobachtungsgabe. Hass und Rassismus überhaupt und Rassismus im Fußball im Speziellen; Fußball als Machtapparat, in dem Gelder verschoben und Menschen manipuliert werden. Gerade läuft die Fußball-WM und nichts könnte als Hintergrund besser passen. Um den Weltfußball steht’s ja in keiner Hinsicht besser. Erschreckend ist, im Buch wie in der Realität, wie viel an Informationen bekannt ist oder durchsickert, und der aufgeblähte Apparat trotzdem erhalten bleibt. Hinter Geld und Popularität lässt sich viel verstecken. Auch zum Beispiel ein französischer Starkicker, der mit Minderjährigen ins Bett steigt — statt dessen jagen wir lieber eine Vierzigjährige durch die Medien, die einen knapp dreißigjährigen Liebhaber hat. Der Radsport hat nach all den Skandalen tatsächlich an Populatrität eingebüßt und muss sich mehr Kontrollen gefallen lassen. Beim Fußball steht der große Knall noch aus.
Sprachlich bietet Raab einen Ausflug, der zwischen den knappen Schilderungen, die ich in der Regel bevorzuge, geradezu üppiges Barock ist. Und mir gefällts, denn manche Beobachtungen gewinnen paradoxerweise in der Länge an Schärfe:
Das Gewissen ist ein seltsamer Zeitgenosse. Für gewöhnlich bleibt es auf Schritthöhe, nicht dass gleich ein verliebtes Händchenhalten oder ein vernarrtes Arm-in-Arm-Dahinschlendern daraus wird. Viel eher gleicht dieses Nebeneinander dem Trab zweier Rösser, die einmal schwerfällig, einmal leichtfüßig den Karren durch das unwegsame Gelände zwischen Geburt und Tod ziehen. Das ist der Plan. Wird es nun abgehängt, das Gewissen, kann es schon eine schwer pubertäre rotzige Art an den Tag legen, lässt sich einschgeschnappt noch weiter zurückfallen, außer Sichtweite versteht sich, so nach dem Motto „Na, jetzt schau einmal, wie weit du kommst ohne mich!“
ISBN: 978-3-492-25463-2
Erstveröffentlichung: 2009
Verlag: Piper
Jean-Patrick Manchette – The Gunman. Position: Anschlag liegend
Martin Terrier setzte sich vor genau zehn Jahren ein Ziel: Ausreichend Geld verdienen, um danach seine Jugendliebe Anne abzuholen. Er weiß, ohne Geld hat er bei der Tochter aus wohlhabendem Haus keine Chance. Nach dem Unfalltod seines Vaters verlässt er die kleine Stadt, verdingt sich zunächst als Söldner, später als Auftragskiller für „die Firma“.
Nun ist es soweit und er übermittelt seinem Kontaktmann Cox seine Zukunftspläne. Nur: Einfach so kündigen gehört in der Branche nicht zu den üblichen Ausstiegsmöglichkeiten. Terrier wird durch halb Frankreich gehetzt, Fallen lauern allüberall, Bekannte und Freunde sterben überdurchschnittlich oft.
Terrier zieht sich aus der Affäre, wie er es gelernt hat: Schachzüge setzen, effizient sein, schnell sein, kaltblütig sein. Aber das war es dann auch. Das Buch reiht die Aktionen rasch aneinander und bleibt dabei ausgesprochen sachlich. Oft genug wird Terrier einfach nur „der Mann“ genannt, der kaum eine Regung zeigt. Vielleicht einmal ein Stirnrunzeln. Abgesehen von den Fehlern, die seine Gegner naturgemäß machen müssen, um Terrier das Buch bis zum Ende durchstehen zu lassen, sind die ebenso wenig zimperlich, hervorragend organisiert, schnell und personalstark. Wirklich packen lässt sich keine der Figuren. Die Geschichte ist von Prinzip her so gestrickt, wie man es aus Filmen kennt; zu viele Figuren spielen ein doppeltes Spiel, manch eines ist seit langem bekannt und wird geduldet, solange nur Handlanger dabei drauf gehen. Ernst wird es nur, wenn einer der Spieler seinen eigenen Kopf zu sehr durchsetzen will.
Erst ganz am Ende bekommt die Geschichte eine Perspektive, die sie interessant macht: Man sollte die Geschichte von Martin Terriers Vater und dessen Freund Dédé nicht aus den Augen verlieren. Manchette zitiert beim Junior den Senior auf eine Art, die mich an den raffinierten Schlussaufbau von Getaway erinnert — auch, wenn beide Bücher sehr unterschiedlich funktionieren, steckt in beiden jeweils ein sehr cleveres Plotdetail. Dabei wäre es interessant zu wissen, ob es Martin selbst klar ist, auf welche Art ihn seine familiäre Geschichte einholt. Letztlich aber es ist über das ganze Buch gesehen für mich nur diese eine brillante Idee für das Ende, die wirklich Klasse hat.
ISBN: 978-3-923208-89-0
Erstveröffentlichung: 1981
Deutsche Erstveröffentlichung: 2003
Verlag: Distel Literaturverlag
Übersetzung: Stefan Linster
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